Jahrzehntelang wurden Pferde von der Forschung unterschätzt. Dafür gibt es einen geschichtlichen Grund. Dem «klugen Hans», einem Wallach aus Berlin, wurden um die Jahrhundertwende geistige Höhenflüge nachgesagt. Das Pferd konnte angeblich zählen, rechnen und buchstabieren. Vor erstauntem Publikum klopfte es so lange mit den Hufen, bis die richtige Antwort erreicht war. Durch Tests konnte jedoch nachgewiesen werden, dass Hans die richtigen Antworten an der Mimik seines Fragestellers ablas. Hatte das Pferd Scheuklappen auf und konnte den Fragesteller nicht sehen, scheiterte es. Für die Erforschung der kognitiven Fähigkeiten von Pferden war das ein Trauma. Fast hundert Jahre wagte sich niemand mehr an dieses Thema.

Gefühle und Gedanken seines Gegenübers zu erspüren, ist an sich bereits eine beachtliche geistige Leistung. «Pferde nehmen die Stimmung von Menschen unvorstellbar fein und schnell wahr», erläutert Christa Wyss, wissenschaftliche Mitarbeiterin aus der Forschungsgruppe Pferdezucht und -haltung am Schweizer Nationalgestüt in Avenches VD. Pferde seien evolutionsbedingt soziale Tiere. «Sie sind äusserst talentiert, die Sprache anderer Tiere und Menschen interpretieren zu lernen.»

Pferde bitten um Hilfe
Seit mehreren Jahren werden die kognitiven Fähigkeiten von Pferden wieder erforscht. Eine aktuelle Studie aus Japan fand heraus, dass Pferde nicht nur die Körpersignale des Menschen interpretieren, sondern ihre eigene Kommunikation sogar darauf abstimmen. Um an Futter zu gelangen, das für sie unerreichbar in einem Eimer versteckt war, baten sie ihre Pfleger um Hilfe, indem sie zu ihnen liefen, sie anschauten und, wenn nötig, anstupsten. 

Ein ähnliches Experiment in Wien zeigte, dass Pferde ihrem Anliegen mit Kopfbewegungen Nachdruck geben und die Aufmerksamkeit des Menschen mit Blickwechsel zwischen Eimer und Pfleger auf das gewünschte Objekt zu lenken versuchen. In beiden Studien zeigten sich die Pferde besonders ausdrucksvoll und ausdauernd, wenn der Pfleger nichts vom versteckten Futter wusste. 

Wyss weiss um die kommunikative Kreativität von Pferden. «Pferde versuchen mit Blicken, Kopfschütteln, Scharren oder Brummeln die Aufmerksamkeit ihrer Bezugsperson auf sich zu ziehen.» Maya Kellenberger aus Oberhasli ZH, Führungs- und Motivationstrainerin von Pferden, kennt solche Situationen ebenfalls: «Wenn ich mit meiner erfahrenen Stute Epilogue Bodenarbeit oder Reitunterricht gebe und ein Reitschüler die Aufgabe noch nicht korrekt umsetzen kann, schaut mich meine Stute oft hilfesuchend an. Manchmal seufzt sie ganz tief und zeigt damit, wie viel Geduld und Toleranz sie aufbringt.»

Laut einer norwegischen Studie lernen Pferde auch die Bedeutung von unterschiedlichen Zeichen und benutzen diese, um ihre Wünsche zum Ausdruck zu bringen. So entschieden sich die Pferde durch Anstupsen der entsprechenden Symbole freien Willens bei schönem Wetter gegen eine Decke, an kalten, regnerischen und windigen Tage hingegen für eine Decke. Manche wollten, dass ihnen die ungefragt übergelegte Decke wieder abgenommen wird («Tierwelt Online» berichtete).

Kommunikativ, sensibel und aktiv 
«Manche Pferde sind von Grund auf sehr kommunikativ, wenn sie Gelegenheit dazu haben, dies ausdrücken zu dürfen», erläutert Kellenberger. In der Regel seien Pferde mit hohem Vollblut-Anteil schneller im Umsetzen von Aufgaben. Schnell denkende Pferde seien aber auch sensibel und aktiv. «Sie fordern eine abwechslungsreiche Arbeit vom Menschen», warnt die Expertin. Seien sie geistig nicht ausgelastet, dann könnten sie stereo­typische Untugenden entwickeln. 

Pferde lernen zudem extrem schnell und können laut Kellenberger etwa 40 Wörter unterscheiden. Wie bei Menschen gibt es auch unter Pferden verschiedene Lerntypen. «Jeder muss differenziert trainiert und gefördert werden», sagt sie. Während der eine wiederholende Aufgaben brauche, um Sicherheit zu gewinnen, würde es dem anderen jedoch bereits nach dem zweiten Mal langweilig.

Bezüglich Motivation vergleicht Kellenberger die Lernsituation mit der aufmerksamer Betriebsmitarbeiter: «Werden Verbesserungsvorschläge angesehen, geprüft und gelobt, wird der Mitarbeiter weiterhin motiviert nach Lösungen suchen. Werden jedoch alle neuen Ideen als nichtig abgetan, wird er sich hüten weitere Vorschläge zu bringen.» Ebenso bräuchten Pferde Toleranz und Lob für neue Ideen, insbesondere wenn das Pferd Lösungen anbiete und kreativ sei.

Das Gelernte vergessen Pferde offenbar nicht. Bei einer Lernveranstaltung hatte Wyss einem ihr unbekannten Pferd vor Publikum beigebracht, einen roten Teppich auszurollen. «Als ich dasselbe Pferd ein Jahr später wieder einsetzen durfte, ging es ohne Aufforderung zu einer schwarzen aufgerollten Gummimatte und begann diese auszurollen.» Die Besitzerin des Pferdes hatte in der Zwischenzeit nie ähnliche Übungen mit ihrem Tier durchgeführt. 

Erstaunliches hat auch ein deutsches Wissenschaftlerteam nachgewiesen. Allein durch Beobachtung des Menschen hatten die Pferde gelernt, einen Lichtschalter zu bedienen, um ans Futter zu gelangen. «Heute weiss man, dass Pferde nicht nur durch Konditionierung, sondern auch durch Imitation eines anderen Pferdes oder Menschen lernen», sagt Christa Wyss. Pferde seien dankbar für geistige Beschäftigung. «Sie lieben es, neue Aufgaben zu lernen. Aufgaben aber, bei denen Pferde aktiv selber die Lösung finden müssen, regen sie erst richtig zum Mitdenken an. Verstecktes Futter zu finden, ist eine ihrer Lieblingsaufgaben.» 

Mehr über Maya Kellenbergers Arbeit erfahren Sie auf pferdekommunikation.ch.