Unruhig beäugen manche Lipizzaner trotz beruhigenden Tätschelns ihrer Reiter die ausverkauften Ränge der barocken Halle der Spanischen Hofreitschule in Wien. Einem Hengst gehen dann doch die Nerven durch: Zu Walzerklängen steigt er auf die Hinterbeine und wirft seinen jungen Reiter ab.

Keine Show mit Levaden und Kapriolen, sondern das echte allmorgendliche Training, was Zuschauer seit dieser Woche wieder zu sehen bekommen – ab Mittwoch nun erstmals auch abends. Ein Experiment, um auch die arbeitende Bevölkerung der Stadt anzulocken, beschreibt es die Leiterin der Spanischen Hofreitschule, Sonja Klima. Die über 450 Jahre alte Institution in der Wiener Hofburg muss umdenken – das bisherige Modell funktioniert so nicht mehr.

385'000 Besucher kamen im vergangenen Jahr, um sich die erhaben auftretenden, steigenden und springenden Pferde und ihre jahrzehntelang ausgebildeten Reiter anzusehen. Neun von zehn Gästen waren Touristen, schätzt die Hofreitschule. Der Städtetourismus liegt in der Corona-Krise indes brach – weniger als ein Viertel der Übernachtungen des Vorjahrs zählte Wien im Juli. So hat auch die Hofreitschule ein Problem: «Es war alles hauptsächlich auf die Touristen ausgelegt und man sieht: Plötzlich sind sie weg und man braucht einen anderen Plan», sagt Klima.

Tradition und moderner Besuchermagnet: eine Zwickmühle
Traditionen bewahren und Besucher anlocken – für die «Spanische», so ihr Rufname, eine alte Zwickmühle. Die einst für den Krieg ausgebildeten spanischen Pferde kamen schon im 16. Jahrhundert als Statussymbol nach Wien. Die Eröffnung des prächtigen Reitschulbaus diente schon 1735 dem kaiserlichen Vorführen der eigens gezüchteten Lipizzaner. Und dass die Tradition nach dem Ende der Donaumonarchie 1918 überlebte, verdankte sie vor allem ihrer Öffnung für ein breites Publikum.

Heute ist die Bredouille eine andere: Längst ist die Erhaltung der Pferderasse und der Tradition der Hofreitschule im österreichischen Gesetz festgeschrieben, eine Million Euro gibt die Alpenrepublik jährlich für die Zucht aus. Zwischen Sisi und Sacher hat das Ballett der weissen Pferde einen festen Platz auf der Liste vieler Wien-Besucher, die Plätze bei Training und Vorstellungen waren im vergangenen Jahr zu 98 Prozent ausgebucht. Vor der Corona-Krise habe man den besten Januar und Februar jemals gehabt, berichtet Klima.

Doch die Hofreitschule mit dem Lipizzaner-Gestüt Piber und einem Trainings- und Sommerquartier sind seit 2001 ein eigenständiges Unternehmen der öffentlichen Hand mit rund 200 Mitarbeitern. Der letzte Jahresabschluss endete zwar mit sechsstelligem Plus, doch Millionenverluste vor allem aus den ersten Jahren schleppen sich weiter durch die Bilanzen.

Kritik von Tierschützern
Schon Klimas langjährige Vorgängerin Elisabeth Gürtler musste Ärger von mehreren Seiten einstecken: Versuche, dem Minus etwa durch mehr Vorstellungen beizukommen, riefen Kritik sowohl von Tierschützern als auch von Reitexperten auf den Plan, die die Fachkunst durch Kommerzialisierung bedroht sahen. Die Marketingexpertin und erfahrene Amateurreiterin Klima, deren Berufung Anfang 2019 in Fachkreisen für Diskussionen sorgte, hat das Problem geerbt – und nun fehlen auch noch die Touristen.

«Wir müssen die traditionelle Reitkunst erhalten, das ist ganz wichtig und dahinter stehe ich sehr. Aber man muss auch mit der Zeit gehen, wir müssen die Türen öffnen», sagt Klima. Mit dem Abendtraining etwa oder mit der Öffnung der historischen Stallungen für Besucher – so gab es im Stallhof vergangenen Winter erstmals einen Adventmarkt, bei dem neugierige Lipizzaner aus ihren Boxen-Fenstern dem Glühwein-Trinken aus sicherer Entfernung zusahen.

Bald könnten die berühmten Hengste der «Spanischen» auch an der frischen Luft zum Stadtbild gehören: Im Burggarten, einem öffentlich zugänglichen Park an der Hofburg, sollen vier Koppeln entstehen, auf denen Pferde unter Sicherheitsvorkehrungen grasen können sollen.

Auch das Tierwohl ist ein Punkt, den potenzielle Besucher zunehmend auf dem Schirm haben: So stehen rund 72 Tiere bislang während der Saison ausserhalb des Trainings weitgehend im Stall – erst alle zwei Monate geht es für sie aufs Trainingslände, wo es auch Koppeln gibt.

Die Suche nach neuen Finanzierungsmöglichkeiten 
«Man muss ganz offen und ehrlich sagen, die Haltung der Pferde in der Stadt ist eben, wie sie ist. Es ist Tradition und wir versuchen das Beste daraus zu machen», sagt Klima. Die Tiere würden geliebt, bestens umsorgt und bestmöglich tiermedizinisch betreut.

Auch ein neuer Stall für die Pferdesenioren und Umbauten am Gestüt in Piber sollen den Tieren ein schönes Leben verschaffen – doch dafür ist Geld nötig. Eine weitere Einnahmequelle sollen neben Sponsoren auch Auftritte ausser Landes sein. Der Planung für Tourneen hat die Pandemie allerdings zunächst einen Strich durch die Rechnung gemacht.