Eine Kuhherde auf einer Weide: Kälber jagen sich gegenseitig über das Gras, fordern sich zum spielerischen Hornen auf und messen sich in Kämpfchen. Zwischen dem übermütig auf und ab hüpfenden Nachwuchs weiden ihre Mütter. Einige alleine, die meisten zu zweit – und diese Paare sind fast immer dieselben. «Alle Kühe bevorzugen eine bestimmte Partnerin», heisst es in der bereits 1980 publizierten Studie «Untersuchung zum Sozialverhalten des Rindes», für die der Autor Viktor Reinhardt während zwei Jahren eine Herde Zebus (Bos indicus) beobachtete. Die Rinder – ein Bulle, 29 Kühe, 56 Nachkommen und ein verwaistes Kalb – lebten ganzjährig auf den Weiden einer Farm in Kenia.

Elsa und Flora beispielsweise waren so ein Paar. Lieber weidete Elsa alleine, als mit einer anderen Kuh. Bis zu 19 Mal pro Monat wurde sie dabei gesehen, wie sie während drei Stunden am Stück Seite an Seite mit Flora graste. Auch nachts ruhten die beiden Kühe nebeneinander. Reinhardt kam zum Schluss, dass «Kühe feste Bindungen eingehen». Bei allen Paaren waren die Rangverhältnisse geklärt, die Beziehungen unterlagen also streng der hierarchischen Ordnung. Doch sie hatten «den Charakter einer Freundschaft».

Zu diesem Schluss kam der Autor in einer Zeit, als Verhaltensforscher den Begriff «Freundschaft» ungern auf Tiere bezogen mit der Begründung, man vermenschliche sie. Auch Evolutionsbiologen glaubten nicht daran, sondern dass Tiere nur den einen Antrieb kennen: sich erfolgreich fortzupflanzen. Das Absprechen von Emotionen und Persönlichkeit machte es schliesslich einfacher, Kühe in Ställe zu sperren und als blosse Fleisch- und Milchlieferanten zu betrachten.

Kuh-Freundinnen sind oft zusammen aufgewachsen. Sie stecken immer zusammen, fressen und liegen nebeneinander.

Anet Spengler Neff
Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL)

Immer Paar-Gemeinschaften
In der Forschung ging es lange einzig darum, die Leistung der Tiere zu erhöhen. Doch die Wissenschaftler gewannen quasi nebenbei immer mehr Erkenntnisse zum Verhalten und zum Sozialleben ihrer Forschungsobjekte. Seit Rinder wieder vermehrt draussen leben, machen Landwirte und Forschende die gleichen Beobachtungen wie Reinhardt.

«Kühe sind sozial, neugierig, intelligent und haben ausgeprägt eigene Charakter», hört man von Mutterkuhhaltern immer wieder. Ein Bauer nennt seine zwei Muttertiere Rösli und Fiona «richtig gute Gspänli». Auch Anet Spengler Neff, die beim Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) in Frick AG die Themenleitung Tierhaltung und Tierzucht hat, bestätigt: «Ja, Kühe haben Freundinnen.»

Mit Ausnahme von Mutter und Tochter, deren Verhältnis auch dann innig bleibt, wenn die Tochter erwachsen ist, seien meist gleichaltrige Tiere miteinander befreundet. «Freundinnen sind oft zusammen aufgewachsen», sagt Spengler Neff. Die Beziehungen beginnen in jungen Jahren und halten ein Leben lang. Und es handelt sich immer um Paar-Gemeinschaften: «Sie sind zu zweit unterwegs, nicht zu dritt oder noch mehr.»

Warum genau die einen Kühe sich mehr mögen als andere, weiss man nicht. Antipathien gebe es weniger, sagt Spengler Neff, es gehe mehr um die Rangordnung. Vor allem Tiere mittleren Ranges kämpfen darum, in der Hierarchie etwas weiter oben zu stehen oder aufzusteigen. Solche Kämpfe gingen so lange, bis die Rangordnung geklärt ist. «Es kann auch ein paar Tage dauern.»

Ihre Sympathien füreinander aber zeigen Kühe auf vielfältige Weise: «Sie stecken immer zusammen, fressen und liegen nebeneinander.» Hinzu kommt die gegenseitige Körperpflege, wie Reinhardt schon bei den Zebus feststellte. Kühe haben ein grundlegendes Bedürfnis nach Körperkontakt – am häufigsten ist das «soziale Lecken». Eine Kuh beleckt dabei die Körperstellen einer anderen, die diese selber nicht erreichen kann, wie Hals, Schulter, Widerrist, Nacken oder Gesicht.

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Streit und Versöhnung
Streckt eine Kuh beispielsweise den Kopf zur Seite, lädt sie ihre Partnerin ein, ihr den Hals zu lecken. Den Akt selber empfinden ganz offensichtlich beide Tiere als angenehm: «Dafür spricht die geradezu geniesserische Hingabe der Beleckten und die Ausdauer der Leckenden», schreibt Reinhardt.

Auch wenn Kühe die Körperpflege mit wechselnden Partnerinnen betrieben, so hatten sie in seiner Studie doch klare Favoritinnen. Linette etwa liess sich am liebsten von Fanny belecken, ab und zu auch von Nora. Diese Beziehungen, so Reinhardt, waren über die zweijährige Beobachtungszeit hinweg dauerhaft.

Aller Harmonie zum Trotz – auch zwischen befreundeten Kühen kann es ordentlich krachen, wie der Besitzer von Rösli und Fiona erzählt. «Dann gehen sie aufeinander los und versuchen sich wegzustossen.» Ruhe auf der Weide kehre erst ein, wenn eine nachgebe, dann sei alles wieder gut. Auf Streit folgt also auch bei Rindern die Versöhnung.

Ein weiterer Hinweis darauf, dass zwei Kühe Freundinnen sind, ist schliesslich ihre Reaktion, wenn sie voneinander getrennt werden. Wenn eine zum Schlachthof gebracht wird, kann die Zurückgebliebene laut Spengler Neff richtig traurig sein, sich absondern und weniger fressen.

Wie Kühe auf Trennungen reagieren, hat auch Krista Marie McLennan von der University of Northampton in Grossbritannien untersucht. In ihrer Doktorarbeit von 2013 zeigt sie auf, dass die Anwesenheit der Freundin beruhigenden Einfluss hat: Wurden zwei Kühen vom Rest der Herde separiert, waren sie deutlich weniger gestresst, wenn ihre bevorzugte Partnerin dabei war. Sie hatten einen ruhigeren Puls, stampften nicht mit den Hufen und schaukelten nicht mit den Köpfen, wie dies Tiere taten, die mit irgendeinem anderen Herdenmitglied abgesondert wurden.

Kühe, so das Fazit, sind zufrieden, wenn sie mit ihrer Freundin zusammen sein können. Und dies hat schliesslich auch Auswirkungen auf den Landwirt, denn glückliche Kühe sind gesünder und geben mehr Milch.