Wer derzeit den Eingangsbereich der Nationalbibliothek in Bern betritt, traut sich gar nicht so recht, über den Teppich zu laufen, der hier ausgelegt ist. Dieser zeigt eine Schweizer Karte im Maxiformat, so detailliert, dass der Betrachter glaubt, sein eigenes Haus zu erkennen. Doch der Teppich kann noch mehr, wie Hannes Mangold beweist. Der Kulturvermittler der Bibliothek packt seinen Tabletcomputer aus, startet eine Anwendung und richtet die Kamera auf den Kartenteppich – und schon beginnen sich Alpen und Jura auf dem Bildschirm zu erheben. Die Namen von Gipfeln, Seen und Kantonen werden eingeblendet und über allem drüber schwebt ein altmodisch anmutender Gasballon.

Es ist der Ballon von Eduard Spelterini, dem Titelhelden der aktuellen Ausstellung. «Von oben» heisst sie und führt die Besucher auf eine Zeitreise durch die Geschichte der Luftfotografie. Da passt es ganz gut zum Thema, blenden sich auf der topmodernen App nun schwarz-weisse Alpenfotos von vor mehr als hundert Jahren ein.

Im kleinen und dicht vollgestellten Ausstellungsraum fällt der Blick sofort auf das handfeste Pendant zum digitalen Ballon auf dem Bildschirm vorhin. Ein Ballonkorb in Originalgrösse lädt ein, Spelterinis Alpenflüge in VR nachzuerleben. VR steht für «virtuelle Realität», in die Ausstellungsbesucher mithilfe einer Brille eintauchen können. Vor dem Auge erscheint dabei eine 360-Grad-Ansicht des Alpenpanoramas. Ein Gefühl, als wäre man selbst in luftigen Höhen. Und wer den Kopf senkt, hat das Gefühl, hier geht es weit nach unten. Wer nicht schwindelfrei ist, hält sich also besser gut am Korb fest. 

Vom Star zum Niemand
«Spelterini war ein Abenteurer, der einen riesigen Aufwand betreiben musste, um die Schweiz von oben zu fotografieren», sagt Mangold. Die erste Alpenüberfahrt überhaupt führte er 1898 durch. Zu jener Zeit war der Pionier ein echter Star, seine Ballonfahrten zogen Tausende von Schaulustigen an. Doch der Ruhm war von kurzer Dauer. Allmählich kamen Flugzeuge auf und machten Heissluft- und Gasballons überflüssig. Nach dem Ersten Weltkrieg geriet Spelterini in Vergessenheit. Er starb arm und einsam. 

Was von ihm blieb, waren Tausende von Schwarz-Weiss-Bildern von weit oben. Und das Interesse daran, die Schweiz von oben zu sehen. Nicht nur aus persönlichem Gefallen, sondern in erster Linie zu staatlichen und militärischen Zwecken. Schon während Spelterinis Ära begann das Bundesamt für Landestopografie (heute swisstopo) mit eigenen Ballons und später mit Flugzeugen zu experimentieren. Kein Wunder: Dank Luftaufnahmen liessen sich Landkarten viel schneller und genauer anfertigen als vom Boden aus.

Noch heute ist swisstopo im Besitz von zwei Fliegern, mit denen regelmässig jeder Quadratkilometer der Schweiz überflogen wird, um mit dem Kartenmaterial immer auf dem aktuellsten Stand zu sein. Dabei, das zeigt die Ausstellung «Von oben», die von swisstopo mitkonzipiert wurde, könnte es dem Flugzeug bald einmal ähnlich gehen wie dem Ballon vor rund hundert Jahren.

Zum einen gibt es heute Satellitenfotos, die uns aus dem All in Echtzeit zeigen, wie es gerade auf der Erde aussieht. Zum anderen ist eine neuartige Erfindung mächtig am Kommen: die Drohne. Eine davon – mit einer Kamera ausgerüstet – schwebt in einer Ecke des Ausstellungsraums und lässt sich vom Besucher in Echtzeit steuern. Mit ihr lässt sich sogar ein «Dronie» aufnehmen: So nennt sich das «Selfie» mit einer Drohne.

Dass Satellitenbilder und Drohnen die Foto-Flugzeuge endgültig ablösen werden, glaubt Martin Rickenbacher von swisstopo nicht: «Die Technologien schliessen sich gegenseitig nicht aus; sie werden sich in Zukunft immer mehr ergänzen.» Der Grund, wieso er auch künftig auf Flugzeug-Aufnahmen baut: «Mit ihnen können wir eine viel höhere Auflösung erreichen als mit Satellitenfotos.» 

Die Zeit der Luftaufnahmen aus dem Gasballon dürfte hingegen endgültig abgelaufen sein. Als Ausstellungsstücke zumindest sind sie auch heute noch schön anzusehen.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 28. Juni.