In der Vorstellung vieler Menschen in anderen Ländern ist jeder Schweizer reich, trägt viele Uhren, ernährt sich von Schoggi und Käse – und er jodelt. Jodeln ist zwar ein wichtiges Kulturgut der Schweiz; aus diesem Grund hat der Bundesrat diesen Herbst der Unesco auch vorgeschlagen, den Jodel in die Liste des immateriellen Kulturerbes aufzunehmen. Aber Jodeln ist deswegen längst nicht jedermanns Sache und ich würde darauf wetten, dass auch kein Bundesratsmitglied, nicht einmal die musikalische Simonetta Sommaruga, jodeln kann. Meine Wenigkeit übrigens auch nicht. 

Als eine, deren Musikgehör von Rolling Stones, Jimi Hendrix und anderen Rockmusikern geprägt ist, hätte ich auch nie gedacht, dass ich mich in meinen alten Tagen noch dem Jodel zuwenden würde. Aber die Ausschreibung für einen Jodelkurs für Einsteiger, die der «Tierwelt»-Redaktion zugeschickt wurde, ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Nach dem Motto «Es ist nie zu spät …» meldete ich mich schliesslich an. Zwei Tage, im schönen Entlebuch, das wegen seiner einzigartigen Moorlandschaften von der Unesco zum Biosphärenreservat erklärt worden ist. Und deswegen gibt es eine Organisation im Entlebuch, die sich mit verschiedenen Projekten darum kümmert, dass diese Biosphäre eine Biosphäre bleibt und auch als solche vermarktet werden kann. Dies ist deshalb wichtig zu erwähnen, weil von ebendieser Organisation auch der Jodelkurs organisiert wurde.

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 «Tierwelt»-Redaktorin Monika Zech (ganz links) im Jodel-Kurs.
 Bild: Samuel Hurni

Die Lehrerin ist ein Star
Wir treffen uns im Musikzimmer im Schulhaus Sörenberg, sieben Frauen, ein Mann. Eine der Frauen ist die Kursleiterin, Vreny Alessandri-Stadelmann. Volksmusikfreunden ist sie natürlich ein Begriff, denn sie gehört zu den bekanntesten Jodlerinnen in diesem Land. Die Liste ihrer Preise ist vielfältig: Goldene Schallplatten, goldene Noten, Kulturpreis, Prix Walo. Die 58-jährige Entlebucherin singt, textet und komponiert. Mit ihrem Bruder Franz bildet sie seit über 50 Jahren das wohl erfolgreichste Jodelduett, kann man nachlesen. Ja, schon als Vierjährige, bestätigt Vreny, sei sie, die Jüngste von sieben Geschwistern, zusammen mit ihnen und den Eltern auf der Bühne gestanden. 

Nun soll sie uns also in die Kunst des Jodelns einführen. Wie sich in der Vorstellungsrunde herausstellt, hat keine ihrer Schülerinnen Jodelerfahrung. Allen ist die Erleichterung darüber anzusehen. Denn es gibt nichts Schlimmeres als Fortgeschrittene, die sich in Anfängerkurse schleichen und die Anfänger dann blöd aussehen lassen. Vreny beginnt mit Theorie. Die richtige Atmung, sagt sie, sei das A und O. «Guet gschnuufet, isch halb gsunge.» 

Sie machts vor, atmet tief ein und lässt dann einen kleinen, fröhlichen Jodel vom Stapel, als ob es die einfachste Sache der Welt wäre. Mit einer Stimme, hell und klar wie eine Glocke. Wenn man die Luft langsam rauslasse und mit kurzen Schnappern immer wieder ein bisschen aufnehme, erklärt sie, «dann kann man stundenlang singen». Wir lachen verlegen, alle räuspern sich – denn nun will Vreny, dass wir ein Lied singen. «Halt, halt», ruft sie sofort. Hüsteln reize die Stimmbänder, diese müssten jedoch gedehnt werden. Deshalb sei leer schlucken vor dem Singen viel besser. Wir schlucken leer, holen tief Luft und beginnen zaghaft zu singen. Ab Blatt. Es ist ein Jodellied über die «Bärgwält», von Vreny getextet und komponiert.

Im Chor tönt es nicht mal so schlecht, vor allem aber, weil unsere Lehrerin mit ihrer grossartigen Stimme uns anleitet, sodass falsche Töne der einzelnen Sängerinnen – zum Beispiel meine – gar nicht mehr so hörbar sind. Beim Refrain «… muess i us Freud äs Jützi mache, dass es wit dürs Tal usklingt …» singen wir schon ganz mutig aus vollen Kehlen. Doch danach geht’s eben zu diesem angekündigten «Jützi», dem Jodel, über. «Jololo-ju-lo-julolo» oder so ähnlich hilft uns Vreny voraus, und wir stolpern hinterher. Aber Vreny lacht und lobt, das sei doch ganz ordentlich gewesen.

Vor allem ein Ausdruck der Freude
Ein Singjodel war das, einer von fünf Jodelarten. Die anderen vier, von denen die Meisterin uns je eine kurze Kostprobe schenkt und die wir später ebenfalls üben sollten, heissen Kehlkopf-, Chugeli-, Zungenschlag- und Tröhl­jodel. Je nach Region seien die einen, zum Beispiel die Berner, eher dem Singjodel und die Appenzeller dem Tröhljodel zugeneigt, erklärt Vreny. Wobei es auch bei diesen fünf Jodelarten lokal unterschiedliche Interpretationen gibt. «Der Toggenburger jodelt anders als der Entlebucher.» Dabei geht es aber um feine Unterschiede, die wohl nur die Kenner heraushören. 

Für Banausen wie mich ist Jodeln Jodeln, oder zumindest war es das bis jetzt: Eine volkstümliche Gesangskunst für Stimmakrobaten, die blitzschnell und erst noch zungenschlagend von tiefen in höchste Tonlagen wechseln können. Auch ganz wichtig ist, wie Vreny sagt, «das Spiel mit forte, laut – und piano, leise». Denn der Jodel sei aus der einstigen Kommunikationsform der Älpler in den Bergen entstanden. «Als es noch kein Telefon gab.» Da habe man sich von Berg zu Berg etwas zugerufen – je nach Standort und Echo tönte das mal laut, mal leise. 

Das Internetlexikon Wikipedia verortet den Ursprung des Jodelns sogar in den vorhistorischen Zeiten, als Hirten und Sammler, Waldarbeiter und Köhler sich mit jodelähnlichen Rufen untereinander verständigt hätten. Und zwar nicht nur in den Alpenländern, sondern in «wahrscheinlich allen gebirgigen und unwegsamen Regionen der Welt». So etwa auch bei den afrikanischen Pygmäen oder den Inuit in der Arktis. Aber der Jodel, wie wir ihn kennen, ist vor allem Ausdruck der Freude. Sprachforscher führen denn auch den Begriff Jodeln auf Jubeln und Johlen, also auf Freudengesänge zurück. Ebenso wie der Jutz, Jützi oder Juiz, wie die Jodel in bestimmten Gegenden der Schweiz genannt werden, vom Wort Jauchzer abgeleitet ist. 

So ist auch für Vreny Alessandri das Jodeln mehr als nur Gesang, «es ist ein Lebensgefühl». Dass dieses Lebensgefühl stark mit der Liebe zur Heimat, zur Natur und den Bergen im Besonderen, verbunden ist, scheint logisch. Denn die Lust zu jauchzen überkommt einen wahrscheinlich beim Blick auf auf Berge einfach eher, als wenn man im Nebel des Unterlands steckt. In diesem Sinn lockt uns Vreny zum Abschluss des Kurses nach draussen: Wir sollen unsere Jodel, die wir nun zwei Tage lang mehr oder weniger erfolgreich geprobt haben, in die winterweisse Berglandschaft hinausschmettern. Um dieses Glücksgefühl zu spüren, das einen erfüllt beim Singen unter freiem Himmel. Wir sind so frei, denn ausser uns ist weit und breit kein Mensch zu sehen. Ausserdem: Dafür, dass wir blutige Anfänger sind, tönt es erstaunlicherweise ganz passabel. Dank Vrenys kräftiger Unterstützung natürlich.

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Gut 10'000 Besucher kamen nach Schüpfheim, um der Tradition des Jodelns beizuwohnen. Bild: zVg 

2015 gibt Vreny Alessandri wieder Jodelkurse im Entlebuch – vom 12. bis 15. August für Einsteiger (da ist auch Vrenys Bruder Franz Stadelmann dabei) und vom 16. bis 18. Oktober für Fortgeschrittene. 
www.biosphaerenakademie.ch

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