Handschuhe, Arbeitskleidung, ein leerer Abfallsack: Mehr braucht Luciano Sansano nicht für seinen Einsatz als Waldputzer. Nur die Augenlider sind an diesem Samstagmorgen Mitte Mai noch schwer. Die Party vom Vorabend hat ihre Spuren hinterlassen. «An der Feier nach Abschluss der schriftlichen Wirtschaftsmatur wollte ich nicht fehlen», entschuldigt sich der 19-Jährige und blinzelt in die Morgensonne. Marco Agostini, mit dem er sich am Bahnhof Aesch BL verabredet hat und dessen Verein Suuberewald er tatkräftig unterstützt, nickt verständnisvoll. Nur Hund Coco hat es eilig. Ungeduldig zieht er an der Leine und drängt zum Aufbruch, als hätte er geahnt, wie viel Arbeit an diesem Tag auf die Waldputzer wartet.

Wenige Minuten später ist Sansano hellwach. Bei der Feuerstelle, gleich hinter den Gleisen am Waldrand, wartet eine unschöne Überraschung auf ihn. Der Platz gleicht einer Müllhalde. Papier, Milchpackungen, Essensreste und eine verbeulte Pfanne liegen am Boden verstreut. Im Gebüsch hängen Plastikfolien. «Hallo, wer macht denn so etwas?», ruft Sansano kopfschüttelnd. Er feiere ja mit seinen Freunden auch hin und wieder draus­sen. Doch für sie sei es selbstverständlich, sämtliche Abfälle mitzunehmen.

Ein eingebuddeltes Motorrad
Dass nicht alle so denken, daran hat er sich in den letzten drei Monaten gewöhnt, seit er mit Agostini und dem Dutzend Freiwilligen aus der vereinseigenen Whatsapp-Gruppe durch die Wälder um seine Wohngemeinde Reinach BL streift. Stets mit dem Ziel vor Augen, die Natur vom Abfall zu befreien. Plastik, Eisenrohre und Papierabfälle hat er gefunden. Aber auch Autos, Diebesgut und sogar ein eingebuddeltes Motorrad. 

Vereinspräsident Marco Agostini erzählt im Podcast von Mülldeponien aus den 1960er-Jahren:

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Gelegentlich stösst man als Waldputzer auch auf eine derjenigen Mülldeponien, welche die Schweizer Gemeinden in den 1950er- und 1960er-Jahren angelegt hatten. «Davon gibt es mehr als 5000. Früher wurde der Müll eben nicht konsequent verbrannt, sondern man vergrub ihn einfach», weiss Sansano. 

Durch Erdrutsche werden solche Ablagerungsstätten immer öfter freigelegt. Sie zu finden sei zwar gewiss ein «Kick». Aber in erster Linie gehe es ihm darum, dass der Abfall aus dem Wald geschafft werde. Dazu trägt Sansano seine Entdeckungen auf der Karte der Suuberewald-Website ein und meldet sie der Gemeinde. Sie ist in einem solchen Fall für die Entsorgung zuständig. 

Kleinere Abfallmengen hingegen sammle er selber ein, erzählt er und zieht sich die Handschuhe über. Ein kurzer Seufzer, während der Blick noch einmal über den verschmutzten Grillplatz wandert. Dann greift er beherzt in den Abfallberg und beginnt damit, ihn im Abfalleimer neben der Sitzbank zu entsorgen. Kollege Agostini ist derweil mit Hund Coco hinter der nächsten Kurve des Waldwegs verschwunden. Er wird weiter oben für Ordnung sorgen. 

Auch wenn die Arbeit manchmal etwas «gruusig» ist, wie Sansano sagt: In Momenten wie diesen bereut er es trotzdem nicht, früh aufgestanden zu sein. «Schliesslich muss jemand mit gutem Beispiel vorangehen und anderen zeigen, wie wichtig es ist, der Natur Sorge zu tragen», ist er überzeugt. Erstaunliche Worte für einen Jugendlichen, der Mitglied der kantonalen FDP ist. Doch Freisinn und Umweltschutz sind für Sansano keine Gegensätze. Eine funktionierende Wirtschaft sei ihm zwar wichtig, sagt er. Ohne intakte Natur allerdings sei der Wohlstand langfristig gefährdet, davon ist er überzeugt. 

Diese Meinung vertritt er auch auf kommunaler Ebene bei der FDP Reinach, für die er nächstes Jahr für den Einwohnerrat kandidiert. Zeit habe er nach der Matur jedenfalls – auch, um sein Engagement für Suuberewald auszubauen. «Ich will nur Teilzeit arbeiten, am liebsten bei einer Institution, welche das politische Interesse bei Jugendlichen fördert», ergänzt Sansano. 

Es geht nicht um Wählerstimmen
Unweigerlich drängt sich die Frage auf, ob ihm sein ehrenamtliches Engagement für den Wald einfach Wählerstimmen sichern soll. «Nein, das ist nicht meine Absicht», entgegnet Sansano, während er sich mit einer verbeulten Pfanne in der Hand aus dem Dickicht hinter der Feuerstelle quält. Die Liebe zur Natur und die Überzeugung, dass man sie sauber halten muss, hegte er schon lange, bevor er politisch aktiv war. Er ist in der Nähe von Wäldern und des Rheins im Baselland aufgewachsen, mit der Natur vor der Haustüre. Und überhaupt, zwischendurch müsse man die Politik doch einfach vergessen und sich daran erinnern, was der Wald den Menschen gibt. 

Dass sich Sansano an der Beseitigung von Abfällen beteiligt, ist einem weiteren freiwilligen Engagement zu verdanken. Als Juniorcoach betreut er an Wochenenden gelegentlich Jugendliche, die sich im Rahmen von «Midnight Sports» in der lokalen Turnhalle treffen. Dabei lernte er vor ein paar Jahren Marco Agostini kennen, den Präsidenten des schweizweiten Sportprojekts. Er erzählte Sansano von seinen Plänen, den Verein Suuberewald zu gründen. Und dieser war sofort begeistert von der Idee.

Immer mehr Jugendliche packen an 
Sansanos Enthusiasmus scheint ansteckend zu sein. Unter der rasch wachsenden Anzahl neuer Unterstützer, auf welche der Verein zählen kann, befinden sich immer öfter auch Sansanos Freunde. Dass viele von ihnen eine andere politische Einstellung haben als er, eher links denken und regelmässig an Klimademos gehen, spielt für Sansano keine Rolle. 

Nur er selber mag nicht an Kundgebungen gegen die Mächtigen aus Wirtschaft und Politik wettern. «Lieber packe ich vor Ort tatkräftig an und leiste einen Beitrag zum Naturschutz», sagt er und stopft die letzte Milchpackung in den Abfalleimer. Der Grillplatz ist nicht wiederzuerkennen. Nichts erinnert mehr daran, dass es hier noch vor Kurzem ausgesehen hat wie auf einer Müllhalde. 

Ein Schluck Wasser, kurz durchatmen, und schon geht es weiter. «Wir müssen durchs Dickicht», ruft Sansano. Abseits der Wege, die von den Gemeinden geputzt werden, sei der meiste Abfall zu finden. Tatsächlich dauert es nicht lange bis zum nächsten unappetitlichen Fund. Die schimmligen Sandsäcke, die in einem Bach mitten im Naturschutzgebiet lagern, gehören nicht hierher. Sansano wirft sie ans Ufer. Später wird er die Gemeinde bitten, sie zu entsorgen. 

Als er bei der nächsten Rast einen Blick auf sein Mobiltelefon wirft, huscht ein Lächeln über sein Gesicht. Eine Kollegin, die er nur flüchtig kennt, will per Whatsapp wissen, wie sie bei Suuberewald Mitglied werden könne. «Cool!», ruft er. Zwei Hände mehr, die mithelfen, die Wälder sauber zu halten.