Wie viel er für seine Jeans bezahlt habe, möchte ein indischer Agrar­ökonom vom Journalisten wissen. 80 US-Doller lautet die Antwort. Davon lande nicht einmal ein Dollar beim Produzenten und beim Rohstofflieferanten, klärt ihn der Agrarexperte auf. Kurzes Schweigen, dann wechselt die Szenerie. Die Stimmung bleibt gedämpft. Denn der Zuschauer bekommt Bilder serviert von schuftenden Bauern aus Südamerika und traurigen Kinderaugen aus Afrika. Schwere Kost. Genauso schwer verdaulich wie die eingeblendeten Zahlen. Tausend Bauernhöfe schliessen täglich in Europa. Mehr als 300 000 indische Bauern haben sich nach den letzten Missernten das Leben genommen, weil sie keine Chance mehr sahen, der Schuldenfalle zu entkommen.

Der Dokumentarfilm «Bittere Ernte» schockiert, weil er den vielen verzweifelten Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten, ein Gesicht und eine Stimme gibt. Er scheut nicht davor zurück anzuklagen. Ins Visier nimmt der Regisseur Mathieu Roy die neoliberale Freihandelspolitik. Sie beraube Kleinbauern auf der ganzen Welt ihrer Möglichkeit, ein annehmbares Einkommen zu verdienen, sagt der Kanadier. Die Preise würden nicht von den Bauern, sondern von einem halben Dutzend multinationaler Konzerne festgelegt.

Auch in der Schweiz ist das Leben als Landwirt kein Zuckerschlecken. So berichtet Claude Jaccoud, Mitglied der Solidarité Pay­sans Romandie, von der hohen Suizidgefahr in seinem Berufsstand. Er beklagt, dass alles nur noch auf Grossbetriebe zugeschnitten sei und die Ausbeutung der Natur und der Tiere überhandgenommen habe. «Früher hatten Kühe Namen, heute Nummern. Auch der Produzent wird bald nur noch eine Nummer sein.» 

Wirtschaftlicher Genozid
Andere Branchenkenner schlagen in dieselbe Kerbe. Die Profitmaximierung mache die Böden kaputt. Das erschreckendste Beispiel sei Indien, wo die Fruchtbarkeit der Böden massiv abgenommen habe, weil zu viel Pestizide und Düngemittel eingesetzt würden. Diktiert werde das von den Weltkonzernen. Als Konsequenz wandern unterbezahlte oder verschuldete Bauern in die Städte ab, in denen sie für einen Hungerlohn in Slums leben.

«Bittere Ernte» legt den Finger in die Wunde eines Berufsstandes, der rund die Hälfte der Weltbevölkerung beschäftigt. Er zeichnet das düstere Bild einer humanitären Katastrophe. Denn die meisten Bauern in den Entwicklungsländern produzieren zwar Nahrungsmittel, haben aber selbst nicht genug, um sich über Wasser zu halten. Der Film geht den Ursachen dieses Elends nach und zeigt Zusammenhänge auf, die auf unser kapitalistisches Wirtschaftssystem, aber auch auf die Schweiz als Sitz bedeutender agrochemischer Unternehmen und Knotenpunkt des Handels mit Lebensmitteln verweisen.

Der Regisseur Mathieu Roy vergleicht die betroffenen Landwirte mit einem unsichtbaren Volk. Wären sie tatsächlich ein Volk, würde man wohl von einem Genozid sprechen. «Mit meinem Film will ich diesem wirtschaftlichen Genozid Bilder und Gesichter verleihen, in der Hoffnung, der Gleichgültigkeit ein Ende zu bereiten», erklärt Roy. Es ist der einzige Hoffnungsschimmer der gesamten Dokumentation, liefert aber einen guten Grund, sich als Konsument im Supermarkt künftig (noch) mehr Gedanken über Billigprodukte und fairen Handel zu machen.

«Bittere Ernte», Dokumentation, 76 Minuten, Verleih: Vinca Film, ab 27. September in ausgewählten Schweizer Kinos.

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