Sie war die Erste, die mir aufgefallen war, als ich im Juni die Kuhherde auf unserer Alp im Simmental kennenlernte. Damals sahen für mich noch all unsere Kühe grau aus, nur eben diese weckte meine Aufmerksamkeit, weil sie weit weg von allen anderen alleine auf der Weide lag. 0939 lautete die Nummer auf ihrer Ohrmarke, Birke ihr Name, wie ich in Erfahrung brachte.

Mir gefiel, dass sich dem Herdentrieb widersetzte. Jedoch fragte ich mich, ob ihr ungewöhnliches Verhalten auf einen schlechten Gesundheitszustand deuten könnte; ich befürchtete, sie werde bald sterben. Nun, die Sorgen um die Gesundheit waren unbegründet, die Ahnung von ihrem bevorstehenden Tod dagegen berechtigt. Wenn Sie diese Zeilen lesen, werden die Überreste meiner lieben Birke bereits als anonyme Wurstware vakuumiert in einem Kühlregal liegen. Zwei Jahre in Folge hatte die inzwischen 13-jährige Kuh kein Kalb ausgetragen und war damit unrentabel geworden.

Von Birke musste ich mich also endgültig verabschieden, von den 28 anderen Tieren muss ich es zumindest für einige Monate. Denn die Alpsaison geht zu Ende, in wenigen Tagen nimmt der Besitzer die Kühe wieder voll und ganz in seine Obhut. Schade, nicht nur weil mir das Leben mit meiner Familie zwischen Kuhhörnern, Weidezäunen und Misthaufen gefällt, sondern auch weil ich mich inzwischen eingearbeitet habe. Mit den schweren Maschinen gehe ich inzwischen einigermassen routiniert um, so dass ich mich bereits bemühen muss, nicht leichtsinnig zu werden – rasch ein paar Schritte am steilen Abhang mit laufender Kettensäge, mit dem Motorrad zügig den nassen Schotterweg hinunter, mit dem Traktor auch mal in höheren Gängen den Berg hoch.

Auch der Umgang mit den Kühen hat sich verändert. Was tue ich inzwischen, wenn eine Kuh mit leicht gesenkten Hörnern bestimmt auf mich zukommt? Ich packe sie am Halsband und führe sie an den ihr zugedachten Platz (obwohl, Hand aufs Herz, so ganz immer klappt es nicht bei jeder Kuh ...). Allerdings ist auch das jetzt vorbei, für den Rest der Saison kommen meine Kühe nicht mehr in den Stall, wir kontrollieren nur noch jeden Tag, ob sie vollzählig sind. Umso mehr freue ich mich, wenn sie in die Nähe der Alphütte kommen, mich neugierig beäugen und riechen kommen, wenn ich den Arm voller Pföstchen durch die Weide gehe.

Längst sind unsere Kühe nicht mehr nur grau, die meisten erkenne ich an den dunklen Flecken um die Augen oder den hochgebogenen Hörnern oder dem massigen Hals, und im Zweifel frage ich meinen achtjährigen Sohn, die Tiere sogar aus der Ferne von hinten unterscheiden kann. Am hübschesten ist natürlich die kleine Sira, das Kalb, das im Juli in unserem Stall geboren ist. Wir sind froh, ist sie ein Mädchen – wäre sie ein Stierli, käme sie schon bald in den Schlachthof.

Und doch, das Schlachten gehört zu jedem Betrieb mit Tieren dazu. Nun eben für die alte Birke.

Gerade während der körperlichen Arbeit der vergangenen Monate habe ich reichlich Gelegenheit gehabt, mir Gedanken über den Konsum von Fleisch und anderen tierischen Produkten. Ich verzichte an dieser Stelle auf eine Diskussion über Vegetarismus, sondern verabschiede mich mit dem einfachen Fazit: Wenn Fleisch, dann von Tieren, die so gelebt haben wie unsere Birke.