Der Wermut, dieser Anarchist unter den Pflanzen, wächst auf einmal im Blumenkistlein auf dem Brunnentrog. Er hat die Geranien, die Schweizer Bünzliblumen schlechthin, ins Gartenbeet verjagt, wo sie nun schön aufgereiht Spalier stehen. 

Môtiers ist die selbst ernannte Heimat des Absinths, der «Grünen Fee», wie der umstrittene Wermutbrand genannt wird. Hier wird alle vier Jahre die Ordnung eines verträumten Dörfchens im Neuenburger Jura auf den Kopf gestellt. Dann findet hier nämlich eine Kunstausstellung im und rund ums Dorf statt.  Und der Zwist zwischen Wermut und Geranium ist inszenierter Teil davon.

Marie und Pierre-André Delachaux sind die Eltern von «Art en plein air». 1985 kam das Lehrerpaar auf die Idee, den Menschen aus der Region ihr Dorf mit Kunst näherzubringen. Und den Dorfbewohnern die Kunst. Zunächst waren es meist Skulpturen aus Künstlerateliers, die in Môtiers ausgestellt wurden, heute bauen die Artisten ihre Werke gleich vor Ort, mit der Unterstützung der Einheimischen. «Die Leute in Môtiers sind sehr stolz auf ihr Dorf», sagt Pierre-André Delachaux, der die Ausstellung seit Beginn kuratiert. «Sie freuen sich, wenn am Wochenende volle Züge im Bahnhof einfahren.» Und sie stellen den Künstlern Ställe, Garagen und Gärten zur Verfügung, in denen diese ihre Installationen einrichten. 

Ein grosser Teil der diesjährigen, siebten Ausgabe von «Art en plein air» ist aber im Wald des Dorfes zu erwandern. Hier verschmelzen Kunst und Natur, etwa bei der Skulptur von Olivier Estoppey, die auf den ersten Blick aussieht wie eine Statue der Bremer Stadtmusikanten. In Wahrheit zeigt sie aber einen Wolf, der im Begriff ist, einen Hirsch zu reissen.

Ein Motto braucht es nicht
Mireille Fulpius wiederum hat ein Waldstück mit Holzlatten «überdacht». So fügt sie der vertikalen Landschaft eine horizontale Dimension hinzu. Aus demselben Material. Überhaupt wurde viel mit Holz gearbeitet, im Wald finden sich aber auch Objekte, die dort überhaupt nicht reingehören, aber irgendwie doch hinpassen. Eine übergrosse Jeanshose, über zwei Baumstämme gestülpt. Oder eine alte Leuchtreklame, die über einer Waldlichtung hängt.

Während die Ausstellung im Wald in geordneten Bahnen verläuft, verliert sie sich in der Ortschaft. Der Betrachter sieht plötzlich überall Kunst und fragt sich: «Ist der alte Traktor zufällig da?» Alte Skulpturen aus vergangenen Ausstellungen vermischen sich mit den neuen und die Dorfbewohner machen die Verwirrung mit eigenen kleinen Aktionen komplett. So sind im ausgetrockneten Bachbett plötzlich Hunderte von kleinen Steintürmen aufgereiht. «Irgendjemand hat damit angefangen», sagt Delachaux, «jetzt ist alles voll davon.» 

«Ein Motto hat die Ausstellung nicht», antwortet der Kurator auf Nachfrage. Mit Absicht. «Das würde nur die Freiheit der Künstler einschränken.» Aber trotzdem gebe es in Môtiers eine Menge Themen, die immer wieder aufgegriffen würden. «Wir haben hier alles, was der Jura zu bieten hat», sagt Delachaux. Berge, Wälder, Grotten, ein altes Dörfchen und – nicht zu vergessen – der Absinth.

Die Ausstellung «Art en plein air» in Môtiers kann noch bis am 20. September in rund drei Stunden erwandert werden. www.artmotiers.ch