Näher am «Berner Meer» könnte Jared Muralt nicht arbeiten: Kaum zehn Meter von seinem Schreibtisch entfernt rauscht die Aare in einem gemütlichen Bogen durch die Hauptstadt. Für Muralt gibt es nichts Schöneres, als an einem Sommertag einen «Schwumm» zu nehmen und erfrischt wieder an die Arbeit zu gehen. 

Oder vielleicht doch? Denn seine Augen beginnen noch mehr zu leuchten, wenn er auf das echte Meer zu sprechen kommt. Der Ozean übt auf den Berner seit seiner frühesten Kindheit eine grosse Anziehungskraft aus, die er selbst nicht ganz zu begründen vermag. Irgendwann jedenfalls hat sich Muralt eine tiefe Sehnsucht nach dem Meer geangelt. «Das Meer ist ein Gefühl, ein Zustand», sagt er. «Ich kann darin eintauchen, wenn ich nur daran denke.» Und nochmals eine andere Welt ist für ihn die Tiefsee.

Monster werden zur Leidenschaft
Dort, wo auch die stärksten Sonnenstrahlen nicht mehr hinkommen, dort beginnt Muralts Faszination. Tiere, die in der Tiefsee leben, müssen einen enormen Wasserdruck aushalten, mit einem minimalen Nahrungsangebot auskommen und sich in ewiger Schwärze zurechtfinden. Die Herrscher dieser Abgründe haben es dem Zeichner angetan: Tiefsee-Anglerfische. Unförmige, haarige, warzige Monster mit scharfen Zähnen, die mit ihrer Beute nicht wählerisch umgehen. Sie verschlingen alles, was ihnen vor die «Esca» gerät, ein leuchtender Köder, der an einer angewachsenen «Angelrute» vor ihrem Maul baumelt. Das ist Stoff für Alpträume, doch Muralt ist von den Anglerfischen wie besessen. Während mehr als eines Jahres verging kaum ein Tag, an dem er nicht eine der unzähligen Arten gezeichnet hätte. Was anderen Angst und Schrecken einjagt, ist für Muralt Meditation vor dem Schlafengehen. «Vielleicht war es meine Art von Schäfchenzählen», sagt er schmunzelnd. 

Mittlerweile haben sich in Muralts Zeichenbuch über 100 Anglerfische zusammengefunden; gezeichnet mit Tusche, in einer Punktiertechnik, die der Illustrator während seiner Fisch-Etüden perfektioniert hat. Er war zwar noch nie in einem Tauchboot und hat auch noch keinen lebendigen Tiefsee-Anglerfisch gesehen, trotzdem ist Muralt mittlerweile fast ein Experte auf dem Gebiet der Ceratioidei. Im Internet hat er Bilder und Videos der unterschiedlichen Arten gesammelt und sie gezeichnet. Anfangs nahm er es noch nicht so genau mit den Details, brauchte vielleicht eine Stunde pro Fisch. Nach und nach konzentrierte er sich aber mehr auf die anatomische Korrektheit der Tiere. Drei bis vier Stunden brauchte er am Schluss für ein einziges Exemplar. 

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 Jared Muralt: «Ceratioidei – Tiefseeangler», gebunden,
 88 Seiten, Verlag: Blackyard, Fr. 75.–

Katzen sind einfach zu langweilig
Seine Kollektion veröffentlicht Muralt nun als Buch. «Ceratioidei – Tiefseeangler» be­inhaltet Muralts Zeichnungen, ergänzt durch Texte von Simon Jäggi und Balts Nill, zwei Berner Musiker und Texter. Darin werden die unterschiedlichen Tiefseeangler-Arten auf leicht verständliche Weise beschrieben. Anders als in wissenschaftlichen Publikationen bleibt der Mythos des Tiefseemonsters erhalten, so könnten Kapitelüberschriften wie «Elf Schreckliche Familien» oder «Die Taschenlampe des Todes» auch gut für Krimifilme herhalten. Und auch die Namen der einzelnen Fische lassen einen erschaudern: Da gibt es etwa den «Teufelsangler» oder den «Peitschenangler». 

Jared Muralt wird’s recht sein. Für ihn ist das «Gfürchige» interessant. «Ich hasse es, Katzen zu zeichnen», sagt er. Obwohl er Katzen mag und früher selber welche besass, sind sie ihm zu brav, zu langweilig. Insofern ist Muralts «Monsterbuch» auch ein Gegenstück zu all den «herzigen» Katzenvideos, die das Internet beherrschen. Weg vom Flauschigen, hin zum Furchterregenden. Schliesslich sagt er selber: «Meine Faszination liegt dort, wo es wüst wird.» 

Der Reiz des Abstossenden begleitet Muralt auch weiterhin. In seinem nächsten Projekt widmet er sich den Luftschlachten im Zweiten Weltkrieg. Ein Comic, «der zum Denken anregt», sagt er selber. Zunächst sind aber noch die Anglerfische dran: Zur Buchveröffentlichung stellt der Illustrator einige seiner Zeichnungen im Grossformat aus. Inklusive einer Dunkelkammer, in der die Köder der Anglerfische leuchten. Dann, erst dann, hat Muralt mit seinen Tiefseemonstern abgeschlossen. Doch das Wasser wird ihn auch weiterhin beschäftigen. Schliesslich hat er in seinem Büro jeden Tag freien Blick auf die Aare.

Info:
Vernissage am 5. April, 16 Uhr im Grand Palais Bern.
Ausstellung bis am 18. April
www.grandpalais.ch