Vorsichtig schiebt Amanda Bossard das überdimensionale Vergrösserungsglas in die Mitte des Aquariums. Das 350-Liter-Salzwasserbecken dominiert das Zimmer der 22-Jährigen im Haus ihrer Eltern in Niederbüren SG. Die Farben der über vierzig Korallenarten sind überwältigend. Ein Putzerlippfisch macht seinem Namen alle Ehre und reinigt fleissig seine Mitbewohner. Winzige Seesterne hangeln sich von Stein zu Stein. Ein brauner Segeldoktorfisch weidet den an den Aquariumwänden wachsenden Algenrasen ab und von den Grundeln sind nur die Augenpaare im Sand zu sehen.

Mit einem vorfreudigen Lächeln im Gesicht blinzelt die Meerwasseraquarianerin durch die Lupe in eine fantastische Unterwasserwelt. Ein junger Clownfisch schiebt sich aus der Sicherheit der ihm Schutz gebenden Steinkoralle und schwimmt freudig auf sein «Frauchen» zu. «Im Meer leben Clownfische in Symbiose mit Anemonen», erklärt die sympathische Ostschweizerin und strahlt ihren Schützling an. «In meinem künstlichen Ökosystem mit so vielen Steinkorallen ist es leider nicht möglich, Anemonen zu halten. Sie würden umherziehen und die anderen Riffbewohner beschädigen», erklärt Bossard.

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Ein Aquarium vom Sackgeld
Die gelernte Automechatronikerin setzt sich auf einen Hocker und schaut dem bunten Treiben im Becken gespannt zu. Sie beginnt zu lachen, als ihr eine Anekdote aus ihrer Kindheit in den Sinn kommt: «Einmal, als ich schon lange im Bett war, weckten mich meine Eltern und flüsterten mir ins Ohr, dass eine Tierdokumentation über Orcas im Fernsehen laufe, und fragten, ob ich sie mir anschauen wolle.» Meeresbewohner faszinieren Amanda Bossard nämlich schon seit sie denken kann.
So war es kein Wunder, als sie als Erstklässlerin den Wunsch nach einem eigenen Aquarium äusserte. «Meine Eltern stimmten zu. Unter zwei Bedingungen: Ich musste weiterhin gute Noten nach Hause bringen und mir das Geld für das kleine Becken selbst verdienen.»

Ich suchte im Bach nach Krebsen und setzte sie zuhause ins Aquarium.

Amanda Bossard

So begann die junge Tierfreundin Woche für Woche den Lack und den Innenraum des Familienautos zu pflegen. Als Lohn der vielen Mühen stand nach einiger Zeit ein kleines Süsswasserbecken in ihrem Kinderzimmer. «Meine Eltern und ich liefen an einen Bach und suchten nach Krebsen, die wir zu Hause ins Aquarium setzten.» Auch eine junge Bachforelle fand den Weg ins heimische Kinderbecken: «Doch nach einigen Tagen wollte ich sie lieber wieder in die Freiheit entlassen.» Dadurch lernte sie früh, die Bedürfnisse der Kiemenatmer zu respektieren.
Diese Zeit und die gesammelten Erfahrungen waren sehr wertvoll für Bossard, wie sie heute sagt. Eineinhalb Jahrzehnte später ist sie eine der führenden Meerwasseraquarianerinnen des Landes und gilt als Expertin in Sachen artgerechte Haltung. Schon vielen angehenden Aquarienfreunden hat sie mit Rat und Tat den erfolgreichen Einstieg in dieses anspruchsvolle Hobby ermöglicht.

Zurück in die Gegenwart. Es ist Fütterungszeit. Einen Grossteil der täglichen Pflegeaufgaben übernimmt die hochmoderne Technik im Unterschrank des Salzwasseraquariums. Fast drei Dutzend verschiedene Mineral- und Nährstoffe werden über eine automatisierte Zuführanlage ins Wasser befördert. «Bei der Technik darf man nicht sparen», betont Bosshard. Da gebe es keine Kompromisse. «Nur durch die bestmögliche Versorgung kann die nachhaltige und artgerechte Haltung dieser grossartigen Lebewesen gewährleistet werden.» Bevor das «Abenteuer Aquarium» starte, sollten sich Interessierte laut der Aquarianerin einen Händler ihres Vertrauens sowie Rat bei praktizierenden Salzwasserfreunden, am besten in der Region, suchen.

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Der Traum von Down Under
So ausgefeilt die Technik auch ist: Einige ihrer Meeresbewohner bekommen eine kulinarische Sonderbehandlung. Sie öffnet einen Kühlschrank und entnimmt ihm ein weisses Schälchen, gefüllt mit kleinen Krebsfleischstückchen. Mit einer langen Pinzette greift sie einen der Leckerbissen und taucht ihn ins Wasser. «Jetzt gut aufpassen», sagt sie verheissungsvoll und wartet gespannt, was passiert. Die dreifarbige Steinkoralle beginnt zu pulsieren, öffnet sich und präsentiert ihren sonst verborgenen Schlund in leuchtenden Farben. Jeden Tag aufs Neue wissen die Riffbewohner die Aquarianerin zu begeistern. Schon lange war es ihr Traum, diese in ihrer natürlichen Umgebung zu besuchen.

Wie einst mit ihrem Kinderbecken machte sich Amanda Bossard daran, sich auch diesen Traum zu verwirklichen. Nachdem die Reisekasse gefüllt war, flog sie im vergangenen August an die australische Ostküste nach Cairns. «Ich wollte das Great Barrier Reef einmal im Leben mit eigenen Augen sehen.» Drei Monate verbrachte sie in Down Under. Von dort aus unternahm die St. Gallerin mehrere Expeditionen zu den entlegensten Orten.

Ihr Abenteuer endete schliesslich auf den Fidschi-Inseln. Bei einem Schnorchelausflug überraschte ihr Wissen auch die australischen Guides. «Sie fragten mich, ob ich nicht die Tour leiten möchte, und so erzählte ich den Teilnehmern vieles über die bedrohten Korallen, die Fische und den Artenschutz. Ich erhielt sogar ein Jobangebot als Tourleiterin», sagt Bossard mit einem Lächeln.

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20'000 Fans auf Instagram
Aufklärungsarbeit für den Schutz der Meere zu leisten – das würde ihr gefallen. Denn am allerwichtigsten ist ihr, dass die wilden Verwandten ihrer Beckenbewohner auch in ferner Zukunft noch die Möglichkeit haben, in ihrer natürlichen Umgebung frei zu leben. Daher möchte sie in einem Jahr mit dem Züchten von Korallen beginnen und diese für den Verkauf in der Schweiz anbieten. «Jede Koralle, die nicht in unsere Heimat importiert werden muss, ist ein Gewinn für die Meere», sagt die leidenschaftliche Tierschützerin.
Für mediale Aufmerksamkeit für ihre Anliegen sorgt sie heute schon im Netz. Sie möchte die Menschen für die Schönheit der Natur aufmerksam machen und gleichzeitig ihr Wissen bezüglich der artgerechten Haltung weitergeben. Auf Instagram hat «Sweety Reef» bereits mehrere tausend Follower, und ihre sehenswerten Beiträge verfolgen bis zu 20'000 Fans.
Langsam wird es draussen dunkel. Amanda Bossard nimmt ihr Handy zur Hand und öffnet eine App. Über diese kann sie die Lichtverhältnisse im Becken steuern. Mit einem Klick wird es Nacht in der Unterwasserwelt. Nur die fluoreszierenden Korallen erleuchten das Zimmer noch.

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