Zeitlos. Das ist das Wort, das als erstes durch meinen Kopf geht, als ich das schwere, grossformatige Buch aufschlage und durch die Schwarzweiss-Bilder darin blättere. Da ist etwa ein schiefer Zaunpfahl zu sehen, der sich unter der Spannung eines Stacheldrahtzauns zur Seite neigt. Die Szene könnte um 1880 aufgenommen worden sein, als die Farmer Nordamerikas das Land mit dieser «Teufelsschnur» zu zerschneiden begannen. Es könnte aber auch gestern aufgenommen worden sein. Da ist auch eine alte Saloon-Baracke zu sehen, ein zerfallenes Zeugnis einer längst aufgegebenen Siedlung aus der Zeit, als der wertvollste Rohstoff der Region auf vier Beinen ging und ein Fell im Wert von 1,25 Dollar trug. Das Bild könnte von 1920 sein. Es könnte aber auch von gestern sein. 

Da sind aber vor allem Bisons zu sehen, die Hauptdarsteller und Erzähler ihrer eigenen Geschichte. Bisons von ganz nah, die mich mit ihren grossen Kuhaugen vielsagend anschauen; Bisons im Profil, mit imposanten Bärten vorne und mitleiderregenden Kahlstellen hinten; Bisons in der Totale aber auch, die in ihrer zigköpfigen Herde in der Prärie von South Dakota grasen. Jedes dieser Bilder füllt eine ganze Doppelseite. Die Naturfotografen Heidi und Hans-Jürgen Koch rühren in ihrem neuen Bildband «Buffalo Ballad» mit der grossen Kelle an. Und die beiden tun dies zu Recht. Denn ihre Bilder verdienen das Format, in dem das Buch daherkommt. Sie erzählen eine grosse Geschichte, nämlich die des Amerikanischen Bisons, des grössten Landbewohners Nordamerikas. 

Die Bilder zeigen das Wesen der Tiere 
Der Bison oder «Buffalo», wie das Wildrind in den USA auch genannt wird, ist der ursprüngliche König der Prärie. Bei der Ankunft des «Weissen Mannes» in Amerika zog er in dreissigmillionenfacher Ausführung durch das Grasland zwischen Kanada und Mexiko.  Während der Besiedelung des Mittleren Westens jedoch wurde das Tier Opfer eines ungeheuerlichen Schlachtfests: Fast die gesamte Population wurde durch die Siedler ausgerottet, nicht für ihr Fleisch, wohlgemerkt, sondern für ihr Leder. 1902 wurden noch 23 frei lebende Bisons gezählt und kurz darauf wurde eine Gesellschaft gegründet, um die Tiere vor dem endgültigen Aussterben zu bewahren. Die Bemühungen haben sich bezahlt gemacht: Heute leben in Nordamerika wieder 30 000 wilde Bisons.

Mit den Bildern der Bisons von heute erzählt «Buffalo Ballad» die Geschichte der Bisons von gestern. Von Wehmut will das deutsche Fotografenpaar aber nichts wissen: «Unser Bild des Bisons ist weder romantisch noch nostalgisch», sagen sie über ihr Buch. Vielmehr spiegeln die Schwarzweiss-Fotos das Wesen des Tieres wider: Sie strahlen die Ruhe aus, die ich in den Blicken der Büffel zu spüren glaube, wobei sich darin nicht zwischen 1850 und 2010 unterscheiden lässt. Vielmehr  scheinen die Bisons zu sagen: «Wir waren vor euch hier und wir werden auch nach euch noch hier sein.» Zeitlos eben. 

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Heidi & Hans-Jürgen Koch:

«Buffalo Ballad»

gebunden, 224 Seiten 

Verlag: Lammerhuber

ISBN: 978-3-901753-73-2 

ca. Fr. 140.–