Der Aal ist ein Tier, das die meisten wohl nicht sonderlich attraktiv finden. Er ist glitschig, schleimig und gleicht eher einem Wurm oder einer Schlange als einem Fisch. So dachte auch der norwegische Schriftsteller, Journalist und Sportfischer Torlof Edgar Kroglund, wenn er in seiner Kindheit auf der Insel Frøya ab und zu statt der gewünschten Forelle einen Aal am Haken hatte. Später jedoch sieht Kroglund seinen Cousin Frode in einer Lokalzeitung: Er steht vor einem Haufen Aale, von den Turbinen eines Wasserkraftwerks zersachreddert wurden. Dort prangert er die gegenwärtigen Zustände an und beschliesst, sich auf die Spur des geheimnisvollen Fisches zu begeben.

So beginnt Kroglunds «Reise mit Aal». Um mehr über den mittlerweile vom Aussterben bedrohten Europäischen Aal herauszufinden, macht er sich auf und besucht Experten in ganz Europa. Wir erfahren, dass man eigentlich noch nicht viel über den Aal weiss. In fast allen Kulturen ranken sich Mythen um ihn, meist wird er jedoch als Seeschlange gesehen. In der nordischen Mythologie gibt es beispielsweise die Midgard-Schlange, welche die Welt im Meer umspannt und sich in den Schwanz beisst. Auch die Legende vom Loch-Ness-Monster Nessie soll auf Aale zurückzuführen sein, wobei dies, wie Forscher kürzlich zeigten, gar nicht so weit hergeholt zu sein scheint («Tierwelt Online» berichtete).

Faszinierender Lebenszyklus
Der Aal ist aber keine Schlange, sondern ein Fisch. Und zwar einer mit einem ziemlich faszinierenden Lebenszyklus. Alle Europäischen (Anguilla anguilla) und Amerikanischen Aale (Anguilla rostrata) werden nämlich in den Tiefen der Sargassosee östlich der Küste Floridas geboren. Als winzige, durchsichtige Weidenblattlarven treiben sie mit dem Golfstrom nach Europa, wo sie bis zu drei Jahre später als junge Glasaale ankommen.

In den Flüssen und Seen Europas wachsen sie über Jahre – oder gar Jahrzehnte – zu subadulten Steigaalen heran. In diesem Stadium sehen sie dann endlich wie «richtige» Aale aus. Mit dem Erreichen der Geschlechtsreife verändern sie sich schliesslich noch ein letztes Mal: Das Maul wird spitzer, die Augen werden doppelt so gross, die Haut wird fester. Als sogenannte Blankaale wandern sie durch den Atlantik wieder zurück in die Sargassosee – ohne zu fressen und gegen den Golfstrom. In der Sargassossee paaren sie sich, laichen und sterben dann. Das glaubt man zumindest, denn kein Mensch hat es je gesehen.

Wertvoller als Elfenbein
In seinem Leben erwartet ein Aal viel Ungemach: Nicht nur sind die Flüsse in Europa oft verschmutzt und mit Wehren, Dämmen und Kraftwerken so verbaut, dass es für Fische kaum mehr ein Durchkommen gibt. Es gibt zudem einen regelrechten «Elfenbeinhandel» mit europäischen Glasaalen, die in den Ländern gegessen werden, in denen sie auf die europäische Küste treffen. In der fernöstlichen Küche gilt erwachsener Aal als Delikatesse. 

Um mehr darüber herauszufinden, trifft sich Kroglund mit einem Experten in Berlin. Der Export von Aalen von Europa nach Asien sei seit 2010 verboten. Gleichzeitig seien aber die Bestände des Japanischen Aals (Anguilla japonica) eingebrochen und die Nachfrage nach Aal in Japan sei riesig. Ein gut organisierter eruopäischer Schwarzmarkt versorge Asien daher mit Glasaalen, die dort grossgezogen werden, auf den Tellern landen und absurderweise auch wieder an japanische Restaurants in Europa exportiert werden.

Der Glasaalhandel tangiert auch die Schweiz: Am Genfer Flughafen wurden im letzten Februar 30'000 Glasaale beschlagnahmt, die dann im Murtensee wieder freigesetzt wurden («Tierwelt Online» berichtete). Der illegale Handel mit den Jungaalen bringt laut Kroglund mehr ein als Gold, Kokain oder Elfenbein.

Nachzucht unmöglich
Das eigentliche Problem dabei ist, dass es bisher noch niemandem gelungen ist, Aale in Gefangenschaft zu vermehren. Dies erfährt Kroglund, als er mit seiner Familie einen Aalzüchter in Dänemark besucht. Der Züchter bezieht wild gefangene Glasaale aus Frankreich und zieht sie gross. Er sagt, sein Gewissen sei rein, weil er die meisten Aale als Steigaale wieder freiliesse. Kroglund ist sich da nicht so sicher.

Der Aal ist ein Tier, dass von gleich mehreren aktuellen Umweltproblemen bedroht ist. Auf sehr spannende und anschauliche Weise erzählt Kroglund von seinen Reisen und Recherchen, mischt Wissenschaft und Politik mit persönlichen Anekdoten. So entsteht ein packendes Buch, über die Biologie eines Tieres, seinen Einfluss auf die menschliche Kultur und die grösseren Zusammenhänge, in die es verstrickt ist. Mit grossem sprachlichem Geschick gelingt es Kroglund, die Leser beinahe wider Erwarten für dieses schleimige Wesen zu begeistern und gibt den einen andern anderen Denkanstoss über unsere Lebensweise.

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Torlof E. Kroglund: Reise mit Aal –
auf den Spuren einer aussterbenden Art

1. Auflage 2019 
Gebunden, 224 Seiten 
Verlag: Edel Books, ca. 30 Franken 
ISBN: 978-3-8419-0681-6