Tagelang werden die zwei Männer mit ihrem Hundeschlitten von den ausgehungerten Wölfen verfolgt. Ein Hund nach dem andern wird von einer Wölfin weggelockt und erbarmungslos verspeist. Schliesslich fällt der eine Mann den Tieren zum Opfer und um ein Haar wäre es dem zweiten ebenso ergangen. So bedrohlich schildert Jack London in seinem Buch «Wolfsblut» die Wölfe, und doch ist er ihnen nicht böse. Aus purem Hunger und nicht aus Bosheit lässt er sie blutrünstig werden. Protagonist des Romans ist ein Wolf-Hund-Mischling, der im Gegenzug nicht nur freundlichen Menschen begegnet, sondern bei einem Hundekampf beinahe ums Leben kommt.

Die Romane von Jack London, der am 22. November 1916 gestorben ist, spiegeln seine Biografie wider. Geboren ist er vierzig Jahre zuvor, im Jahr 1876, in San Francisco. In seiner Kindheit, geprägt durch Armut, war ihm sein Hund Rollo ein guter Freund. London war beeindruckt von der Lernfähigkeit des Tiers und stellte später in seinen Erzählungen und Romanen Hunde und Wölfe weit intelligenter dar, als es zu dieser Zeit üblich war.

Vagabund statt Schriftsteller
Das Verhalten der Wölfe in seinen Geschichten mag nicht immer den biologischen Fakten entsprechen, doch es zeugt vom Respekt, den der Autor diesen Tieren gegenüber zeigte. Die eingangs erwähnte Szene mit den Wölfen und den Schlittenhunden spielt im Yukonterritorium, jener Region, die London als 21-jähriger Goldsucher aufsuchte und ein Jahr später ohne Gold, stattdessen mit Skorbut und dem Kopf voller Geschichten wieder verliess. Der Goldrausch war nur eines der Abenteuer, von denen er in seinem Leben eines ans andere reihte. 

Mit 13 Jahren schon hatte er in der Konservenfabrik arbeiten müssen, um seine Familie zu unterstützen. Bald darauf stürzte er sich in eine lukrativere Tätigkeit: Er wurde zum Austernpirat, stahl in der Bucht vor San Francisco mit seinem Segelschiff Muscheln aus Zuchten. Daraufhin überquerte er als Matrose den Ozean – und war schockiert von der Robbenjagd, die er miterlebte: «Es war ein schonungsloses Abschlachten», schrieb er später im Roman «Seewolf» und benutzte auch das Wort «Morden» – wie es heutzutage unter Tierschützern gebräuchlich ist. 

Kurz nach der Rückkehr von hoher See gewann er mit einer Geschichte über einen Taifun 25 Dollar in einem Wettbewerb. Doch statt Schriftsteller wurde er vorerst Vagabund. Sein Erzähltalent kam ihm beim Betteln entgegen. Schliesslich landete er aber wegen Landstreicherei im Gefängnis, wo die Lebensbedingungen so schlimm waren, dass er zum überzeugten Sozialisten wurde.

Nach seiner Entlassung putzte er Fenster, mähte Rasen, schnitt Hecken und versuchte daneben unermüdlich, sich als Autor nicht nur finanziell, sondern auch gesellschaftlich hochzuarbeiten. Bis zu zwanzig Stunden pro Tag soll er geschuftet haben, und auch von stapelweisen Absagen liess er sich nicht entmutigen, seine Texte Zeitungen anzubieten. 

Mit «Wolf» unterschrieben
Und dann plötzlich, er war gerade 33 Jahre alt geworden, klappte es. Eine Zeitung kaufte ihm für 5 Dollar eine Geschichte ab – und dann ging es rasant aufwärts. Im Jahr darauf erschien sein erstes Buch und 1903 dann das berühmte «Ruf der Wildnis», in dem sich ein Hund einem Wolfsrudel anschliesst. Es folgten Bestseller wie «Der Seewolf» und «Wolfsblut» – wobei es in Ersterem für einmal nicht um Wölfe geht, sondern um einen Kapitän mit Vornamen Wolf. Jack London selber soll private Briefe mit «Wolf» unterzeichnet haben. 

Mit dem Erfolg kam das Geld, das er unter anderem in eine grosse Farm investierte. Doch langsam aber sicher hinterliess sein übermässiger Alkoholkonsum seine Spuren. Der ungesunde Lebensstil trug wohl zu seinem verfrühten Tod, dessen Ursache nicht ganz klar ist, bei. Das Vermächtnis aus vierzig Jahren intensiven Lebens: über fünfzig Bücher – und die Erkenntnis, dass Tiere sich als Hauptpersonen für Romane eignen.