Charly Bühler weiss, wie sich ein richtiger Gentleman benimmt. Da nicht jedes Navigationssystem den Standort seines Ateliers in Schalchen ZH auf der Karte hat, wartet er bereits auf der Einfahrt des etwas abgelegenen Grundstücks, um seinem Besucher den Weg zu weisen. Sofort erkundigt er sich, wie die Autofahrt verlief. Den höflichen Händedruck zur Begrüssung verhindert nur Corona. Der Herzlichkeit tut dies keinen Abbruch. Freundlich bittet Bühler, sein «Reich» zu betreten.

Und das hat es in sich. Der stilvoll eingerichtete Arbeitsplatz lädt zu einer optischen Entdeckungsreise ein. Dutzende gemalte Hühnerbilder zieren die Wände und erregen Aufmerksamkeit, ohne aufdringlich zu wirken. Im Hintergrund ertönen Jazzklänge, und ein knisterndes Kaminfeuer sorgt für eine angenehme Atmosphäre. Passend zu dieser Gemütlichkeit bietet Charly Bühlers Frau Margaritha frisch zubereiteten Kaffee und Gebäck an.

Schon als Kind ein gefragter Künstler
«Das Atelier war einst eine alte Scheune, die wir 1995 umgebaut haben», erklärt Charly Bühler. Sein zufriedenes Lächeln verrät, wie wohl er sich darin fühlt. Das tun auch seine Gäste, die hier regelmässig Ausstellungen zu seinen Hühnerbildern besuchen. Das letzte Mal war das im September möglich, als die Zahl der Coronafälle noch moderat war. «Uns hat diese Krise nicht so stark betroffen. Das ist keine Selbstverständlichkeit», zeigt sich Bühler gleichzeitig erleichtert und dankbar.

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Das gemeinsame Feiern von Weihnachten mit seiner gros­sen Familie stehe zu seinem Bedauern jedoch auf der Kippe. Das Problem haben viele andere Menschen aber auch, räumt er ein. Die Art, wie Bühler das sagt, verdeutlicht, dass Jammern bei ihm nicht auf der Tagesordnung steht. Viel lieber plaudert er ungezwungen über seinen Werdegang zum Hühnermaler, als der er seit vielen Jahren in der gesamten Schweiz bekannt ist.

Nachdem der 79-jährige gebürtige Luzerner mit seiner Familie als Primarschüler nach Lugano gezogen war, verstand er zunächst kaum ein Wort in der neuen Umgebung. «Weil ich kein Italienisch konnte, habe ich im Klassenzimmer oft Vögel gezeichnet. Zum Glück hatte ich einen Fensterplatz und konnte sie draus­sen beobachten», erinnert sich Bühler. Seine Augen funkeln dabei und machen spürbar, wie präsent ihm diese Lebensepisode immer noch ist. Schon damals sei nicht nur den Lehrern das grosse Zeichentalent ihres jungen Schülers aufgefallen. Auch Mitschüler bitten Carletto, wie er im Tessin genannt wird, ein ums andere Mal, Bilder für sie zu malen, um ihre Kunstnote aufzubessern. Als Lohn gibt es Schokolade.

Dass Bühler, der seine ersten sechs Lebensjahre in Küsnacht am Zürichsee verbracht hat, einst auch Geld mit seiner Kunst verdienen würde, ist zu dieser Zeit noch nicht absehbar. Zumal er polyvalent ist und auch ein Faible für handwerkliche Arbeiten hat. Bereits als kleiner Junge greift er seinem Grossvater, einem Bootsbauer, immer wieder geschickt unter die Arme und hilft in der Werft aus.

Ich habe die Hühner beobachtet und festgestellt, dass ihr Verhalten sehr menschlich ist.

Charly Bühler
Hühnermaler

Am Anfang war das Ei
So verwundert es nicht, dass Bühler später eine Lehre zum Feinmechaniker absolviert und im Werkzeugbau tätig ist. Seine wahre Berufung findet der Tösstaler schliesslich Anfang der 1970er-Jahre, als er die Kunstschule F+F in Zürich besucht und als Grafiker sowie Illustrator seine Brötchen verdient.

«Das ist schon ein verrückter Weg, den ich da gegangen bin», resümiert der Künstler und lacht herzhaft. «Aber ich möchte keine meiner Stationen missen.» Das gilt vor allem für seine ganz grosse Leidenschaft, das Malen von Hähnen und ihrer Hühnerschar. Dieser Passion frönt er mittlerweile seit fast 40 Jahren. Am Anfang habe er noch Eier und Tiere gemalt und diese bei Zoobesuchen mit seinen Töchtern skizziert. Ihn habe immer die Frage bewegt, ob zuerst das Ei oder das Huhn da gewesen sei. Die Antwort darauf gibt er gleich selbst: «Natürlich das Ei.» Also führt er eine Ausstellung rund ums Ei durch. Als Motive sind beispielsweise die berühmten Marlboro-Cowboys zu sehen, wie sie über ein Spiegelei reiten. Es ist sinnbildlich für die schalkische Humorseite von Charly Bühler. Eine Seite, die er sich bis heute bewahrt hat.

Den Wendepunkt, was seine Lieblingssujets betrifft, bringt schliesslich 1981 der Umzug von Greifensee ZH ins Tösstal nach Schalchen. «Wir haben ein grosses Fest zum Einzug veranstaltet. Als Geschenk gab es von Freunden Hühner, da das zum Landleben angeblich dazugehöre», erzählt Bühler und schmunzelt. Schnell findet er Gefallen an den gefiederten Tieren. «Ich habe die Hühner genau beobachtet und festgestellt, dass ihr Verhalten sehr menschlich ist», sagt der Maler. Der stolze Gockel erinnert ihn etwa an einen eitlen Mann und die Hühner mit ihren Bibeli an fürsorgliche Mütter mit ihren Kindern. Als logische Folge entscheidet sich Bühler, seine Eindrücke künstlerisch festzuhalen, indem er vermenschlichte Hennen und Hähne mit Öl und Farbe auf die Leinwand bringt.

Zu Hause wartet am Anfang stets eine leere Leinwand.

Charly Bühler
Hühnermaler

Spiegel der Gesellschaft
Danach habe er sich eine Frist von drei Jahren gesetzt, um zu sehen, ob diese humoristische Art ankomme. Das ist sie, und wie! Egal, ob die Darstellung eines Investmentklubs, bei dem sich Karrieregockel aufplustern, oder eines Verwaltungsrats, der aus vielen sich wichtig nehmenden Hähnen besteht, die auf einem Swiss-Flugzeug sitzen und auf das Personal herabblicken: Bühlers ironische Hühnerbilder halten der Gesellschaft häufig den Spiegel vor Augen und werden zu seinem Markenzeichen. Sie finden bei Preisen zwischen 300 und 10 000 Franken immer wieder Interessenten, sodass er bis heute davon leben kann.

Zwar halten die Bühlers seit einigen Jahren keine Hühner mehr, doch auch ohne die lebendigen Modelle gehen dem sechsfachen Grossvater die Ideen nicht aus. Wenn er zum Beispiel in der Stadt unterwegs sei, setze er immer seine imaginäre Hühnerbrille auf. Damit sehe er Szenen mit Frauen und Männern, die sich wie Hühner oder Gockel aufführen. «Ich nehme dann eine Serviette, um die Ideen festzuhalten. Was folgt, ist aber nicht immer einfach. Denn zu Hause wartet am Anfang stets eine leere Leinwand», sagt der Künstler ausnahmsweise mit nachdenklicher Miene.

Damit das nicht lange so bleibt, braucht Bühler vor allem eins: Ruhe. Dass er diese bekommt, verdankt er in besonderer Weise seiner Frau, die ihn nicht nur beim Bewirten von Gästen und als Kritikerin unterstützt, sondern ihm auch sonst den Rücken freihält. Margaritha Bühler organisiert nämlich die Ausstellungen und kümmert sich um alles Geschäftliche. Auch seine Biografie hat sie geschrieben. Dass diese noch um das eine oder andere Kapitel reicher werden wird, ist sehr wahrscheinlich. Denn Charly Bühler ist auch mit fast 80 Jahren kein bisschen müde vom Hühnermalen.

www.charly-buehler.ch