Eine Blockhütte, umgeben von Wald, See und Bergen. Diese Idylle am äussersten Ende der Welt, im kanadischen Yukon, hat sich Beat Glanzmann ausgesucht als Wohnort. «Ich suchte lange danach, und als ich diesen Ort sah, war klar: das ist es.» Vielleicht habe ihn unbewusst auch inspiriert, dass es ähnlich aussah wie am heimatlichen Thunersee. Das Haus liegt gleich neben dem Kluane-Nationalpark, in Sichtweite ist ein massives Küstengebirge mit dem höchsten Berg Kanadas, Mount Logan, als Kernstück (5959 m. ü. M.). Menschen sind in dieser Region Fehlanzeige. «Wenn ich nach Westen schaue, weiss ich: das nächste Haus steht in Sibirien», sagt Glanzmann.

Vor 20 Jahren sagten sich Glanzmann und seine Partnerin Eva: Dorthin, in die Natur, wollen sie auswandern. Er kaufte sich das Grundstück. Glanzmann wollte den hiesigen Alltagszwängen entfliehen und in der Natur leben. «Ich hatte genug von den griesgrämigen Gesichtern an der Bushaltestelle, niemand schaut einen an.» Der Würfel war gefallen. «Uns war völlig egal, was die Leute sagten. Wir wollten das einfach durchziehen, um jeden Preis», sagt Glanzmann. Doch Auswandern ist aufwändig und vor allem auch nicht billig. «Wir haben in Thun auf dem Markt einen Stand aufgebaut, wo wir all unsere Sachen verkauft haben», sagt Glanzmann. Besonders schmerzhaft für ihn war, seine geliebten Schallplatten wegzugeben. Auch das Visum für Kanada zu erlangen war eine grosse bürokratische Hürde. So wurde der Antrag von Eva zuerst abgelehnt. «Daher haben wir schnell geheiratet, weil wir so als Familie einfacher reinkommen konnten.» Anschliessend klappte es. Nur mit zwei Rucksäcken und der Fotoausrüstung im Gepäck stiegen sie ins Flugzeug. Weg von der Schweiz. Ab nach Kanada. Ohne Bedauern. Nur die Familie und die Freunde zu verlassen war schmerzlich. «Das war das erste Mal, dass ich meinen Vater weinen sah», sagt Glanzmann.

<drupal-entity data-embed-button="media" data-entity-embed-display="view_mode:media.teaser_big" data-entity-embed-display-settings="[]" data-entity-type="media" data-entity-uuid="f5230a0f-8cb2-4a73-b9c9-bdc1e24cbc9d" data-langcode="de"></drupal-entity>
 Beat Glanzmann. Bild: zVg 

Schwierige Anfangszeit
Als sie in der Wildnis ankamen, 200 Kilometer von der nächsten grösseren Siedlung Whitehorse entfernt, erlebte Glanzmann ein Glücksgefühl: «Ich spürte, hier bin ich zuhause», sagt er. «Noch nie zuvor hatte ich eine solch grenzenlose Stille erlebt. Es war herrlich.» Doch die erste Zeit war sehr schwierig. Das Paar traf auf eine baufällige, undichte Hütte. Die erste Nacht war eine Qual. Mäuse hatten es sich in der Hütte bequem gemacht und waren überall, im Schlafsack und auch im Essen. Am nächsten Morgen mussten sie eine Säuberungsaktion durchführen. Doch hielt sie diese Unbill nicht davon ab, in Kanada zu bleiben; ans Aufgeben dachten sie nicht. «Wir wollten dieses Leben unbedingt», sagt Glanzmann. Doch mussten sie alles aus eigener Kraft leisten, auf Hilfe von aussen konnte man nicht warten. Sie bauten selber eine neue, stabile Blockhütte, legten sich einen kleinen Garten an und holten sich Tiere. Gänse, Hühner und vor allem Huskies. Mittlerweile besitzt Glanzmann 26 davon. Er hat sie selber erzogen und zu Schlittenhunden ausgebildet.

Das Paar erkämpfte sich seine eigene kleine Heimat, weit weg von der Zivilisation; völlig ohne die Bequemlichkeiten des technischen Fortschritts. Im Winter manchmal bei Kälte von bis zu -40 Grad. Zuerst gar ohne Strom und fliessendes Wasser. Aber dafür inmitten einer der wohl unberührtesten Flecken der Natur, die man auf dem Planeten Erde noch finden kann – das Leben in dieser Umgebung überstrahlte die Mühsal. Die erste Zeit war aber gar nicht einfach für das Paar, so hatten sie in den ersten 12 Jahren kein Telefon, nur mit dem Funkgerät konnten sie Kontakt zur Aussenwelt aufnehmen. Da konnte jeder mithören, der auf der gleichen Frequenz funkt, von Privatsphäre konnte da keine Rede sein. Besonders die Verbindung zur fernen Familie in der Schweiz war stark erschwert. Mittlerweile ist Glanzmann etwas moderner eingerichtet. Er verfügt auf seiner Hütte über ein kleines Solarpanel, damit kann er Strom erzeugen. «Für vieles reicht es aber nicht, ich muss mich sehr einschränken», sagt er. «Aber dieses Leben habe ich gewollt.»

Einnahmequellen sind Fotografie und Wildnistouren
Kinder wollten beide nie. «Kinder müssen irgendwann unter Leute, sonst werden sie wunderlich», erklärt Glanzmann die Beweggründe. Mit anderen Worten: Letztlich hätte das Paar sein Wildnisdasein aufgeben müssen, um mit der Familie in die Zivilisation zu ziehen. Das kam nicht in Frage. Ihr Einkommen bestritten sie mit den Einkünften der Fotografien von Glanzmann, die in Büchern, Magazinen und als Werbeposter erscheinen. Seine Motive sind die Natur um ihn herum und die dort wohnhaften Tiere, am liebsten Elche und Bären, Adler und Wölfe in Aktion; auch Nordlichter lichtet er gerne ab. «Ich fotografiere, was ich will, und nicht was irgendwelche Auftraggeber wollen», sagt er. Zudem verdienen sie noch Geld mit dem Leiten mehrwöchiger Touren in der Wildnis, an denen vor allem Schweizer teilnehmen. Im Sommer lassen sie sich mit dem Flugzeug herausfliegen an einen entlegenen Fluss und machen dort Kanutouren oder Wanderungen; im Winter unternimmt er mit den Gästen ausgedehnte Fahrten mit seinen Schlittenhunden. Bei diesen Touren sollen die Teilnehmer die Wildnis mit all ihren Konsequenzen kennen lernen. Viele der Teilnehmer seien mittlerweile gute Freunde geworden.

Vor fünf Jahren trennte sich Glanzmann aber von seiner Frau Eva. «Wir hatten eine wunderschöne Zeit zusammen, aber die grosse Beanspruchung und der ständige Kampf um die Existenz war wohl zuviel für unsere Beziehung», versucht sich Glanzmann mit einer Erklärung. Die Trennungszeit war sehr schmerzhaft, Glanzmann fiel kurzzeitig in ein Loch. Doch fanden beide dann wieder einen Weg miteinander klarzukommen, sie leben nun beide nach wie vor auf dem acht Hektaren grossen Grundstück; sie am einen, er am anderen Ende. «Sie und ich wollten unbedingt dort bleiben», sagt er. «Heute sind wir gute Freunde und unterstützen einander, so gut wie es geht». Denn alleine käme man in der Wildnis nicht «zschlag», sagt Glanzmann. Doch ist er nun viel mehr allein als vorher, ergänzt er. «Allein, nicht einsam», betont der Auswanderer. Denn einsam ist er in der Tat nie. Wenn er aus seiner Haustüre geht, muss er immer aufpassen auf Wildtiere: In seiner Gegend lebt die grösste Grizzly-Konzentration weltweit. 

«Einmal öffnete ich, und ein junger Bär sass vor dem Eingang. Ich erschrak, doch der kleine noch viel mehr; er rannte schleunigst davon», erzählt Glanzmann. Der Kontakt mit grösseren Tieren wie Elchen und Bären gehört zu Glanzmanns Leben. Er muss sich den Regeln der Natur unterwerfen. Glanzmann respektiert daher die «Privatsphäre» der Tiere und kommt ihnen nicht zu nah. «Ein Bär greift nur an, wenn er sich bedroht fühlt», sagt er. Jeder Bär hat wie der Mensch auch einen individuellen Charakter. «Daher muss ich jede Begegnung wieder neu beurteilen.» Es könne trotzdem manchmal gefährlich werden. So müsse man ruhig bleiben, wenn ein Bär auf einen zukomme. «Sonst weckt man seinen Jagdtrieb.»

Er habe aber mittlerweile gelernt, wie die Tiere kommunizieren und welche Signale sie senden, deshalb sei ihm auch nie was passiert. «Ich weiss nun sogar, mit welchem Ruf man Elche anlockt.» So steht er oft am Waldesrand und ruft hinein. «Die hören das über mehrere Kilometer Entfernung.»

Disziplin ist gefordert
Das Leben in der Wildnis ist kein Zuckerschlecken, und auch die völlige Freiheit ist nicht ohne Tücken. Glanzmann hat sich eine klare Tagesstruktur auferlegt, um die Freiheit zu ertragen. Ausschlafen liegt nicht drin. Denn bei Einheimischen habe er gesehen, was passiert, wenn sie zuwenig zu tun haben. «Sie fangen an zu saufen und nehmen Drogen.» So stellt sich Glanzmann für jeden Tag einen Plan auf mit Arbeiten, die er zu erledigen hat. «Es gibt mehr als genug zu tun, langweilig wird es nie», sagt er. So muss Holz gehackt werden fürs Heizen des Hauses, der Garten in Stand gehalten und Nahrung besorgt werden. Auch administrative Tätigkeiten wie etwa das Beantworten von Anfragen sowie das Bereitstellen von Fotografien gehören dazu.

Glanzmann ist weitgehend Selbstversorger. «Pro Jahr esse ich 40 Lachse und einen Elch» sagt er. Die Tiere jagt und fischt er selbst, das ist ihm sehr wichtig. «Ich will einen Bezug haben zu meiner Nahrung.» Es kommt für ihn nicht mehr in Frage, das Fleisch einfach aus dem Kühlregal zu nehmen. Jagen sei für ihn blosse Essensbeschaffung, er habe kein Verständnis für sogenannte «Lustjagd». Die Fische räuchert er über dem Feuer. Ausserdem sammelt er im Wald brauchbare Beeren und Kräuter. Doch ganz ohne die Produkte aus dem Supermarkt wie etwa WC-Papier oder Müesli kommt er nicht aus. «Alle drei Wochen fahre ich nach Whitehorse und gehe dort einen Tag einkaufen.» Sein Leben ist sicher nicht für jedermann gedacht. «Wenn man ein solch entbehrungsreiches Leben will, ist es heaven. Wenn nicht, ist es hell», sagt er schmunzelnd. Die Strapazen sind ihm aber kaum anzusehen, ausser vielleicht dass sein Haar schon grau geworden ist. Doch seine sportlich-schlanke Statur, die wettergegerbte Haut und seine kräftigen Hände lassen darauf schliessen: Dieser Mann ist sicherlich kein Stubenhocker.

Bereits als Kind war Glanzmann begeistert von der Natur. Vater Alfred sagt dazu: «Beat äusserte schon früh den Wunsch, dass er mal bei den Bären leben will.» Glanzmann ist in einfachen Verhältnissen aufgewachsen, der Vater war Schreiner. Er wuchs in Oberhofen am Thunersee auf. »Er machte früh alles was Gott verboten hat», sagt sein Vater. So war Glanzmann schon als Jugendlicher Deltaflieger und auch Bergsteiger. Mit 16 Jahren kletterte er in der Matterhornnordwand, mit 18 in der Eigerwand. «In der Schule war mir langweilig, ich schaute nur aus dem Fenster hinaus», sagt Glanzmann. «Ich wusste, ich muss raus in die Natur.» Er begann früh zu fotografieren, arbeitete aber zuerst als Verkäufer in einem Bergsportgeschäft. Bis er dann voll auf die Karte «Fotografie» zu setzen begann. Glanzmann begann, ausgedehnte Fotoreisen zu unternehmen, vor allem nach Kanada und Alaska. «Mich hat die Landschaft und die Fauna in diesen Ländern schon immer mehr fasziniert als beispielsweise Afrika oder Asien», sagt er. Der Wunsch, dort zu leben, war also schon immer da. Jetzt ist Kanada sein Zuhause. 

<drupal-entity data-embed-button="media" data-entity-embed-display="view_mode:media.teaser_big" data-entity-embed-display-settings="[]" data-entity-type="media" data-entity-uuid="89ac18b5-800f-4eac-adbd-d121e7da6380" data-langcode="de"></drupal-entity>
 Glanzmanns Multivisionsshow «Ein neuer Horizont»
 Bild: zVg 

Multivisionsshow in der Schweiz
Nun ist Glanzmann für kurze Zeit in die Schweiz zurückgekehrt – er bleibt drei Monate, von Dezember bis Februar. So lange war er seit 20 Jahren nicht mehr hier. Der Lärm und die Hektik hierzulande macht ihm schon zu schaffen. «Ich höre in der Nacht jedes Geräusch wie etwa das von vorbeifahrenden Autos.» Dennoch will er das Positive sehen und geniesst es bei der Familie zu sein und alte Freunde zu treffen. «Die Schweiz bleibt auch ein Teil von mir, schliesslich bin ich hier aufgewachsen», sagt Glanzmann. Der Grund für den Aufenthalt in seiner ehemaligen Heimat: Seine Multivisionsshow «Ein neuer Horizont.» Es ist eine 100-minütige aufwändige, professionelle Produktion, in der Glanzmann seine Lebensgeschichte erzählt und die besten Fotos seiner bisherigen Zeit in Kanada präsentiert. Er wohnt daher derzeit wieder in seinem ehemaligen Kinderzimmer bei seinen Eltern in Oberhofen. Glanzmann hofft sehr darauf, dass seine Show, die in 13 verschiedenen Schweizer Orten laufen wird, von möglichst vielen Besuchern besucht wird. «Ich habe sehr viel Geld investiert, ein Misserfolg könnte mich ruinieren», sagt Glanzmann. Wie auch immer: Anfang März wird er wieder nach Kanada zurückkehren, in «seine» Wildnis. Er will in Zukunft sicher schauen, dass er wenigstens einmal im Jahr in die Schweiz kommen kann. «Meine Eltern werden auch nicht jünger», sagt Glanzmann. «Ausserdem habt ihr hier feinen Bergkäse und gutes Brot, sowas kriege ich bei mir nicht», sagt der Neo-Kanadier. Hier zu leben, kann er sich überhaupt nicht mehr vorstellen. «Ich bin in der Wildnis so glücklich wie am ersten Tag und habe meinen Entscheid noch keine Sekunde bereut», sagt Glanzmann und seine Augen leuchten.