Wenn man eine Flöte nicht richtig stimmt, klingt sie immer nach orientalischem Bazar», sagt Felix Immler, steckt sich die Schilfflöte in den Mund und fängt an zu blasen. Das gute Dutzend Frauen und Männer, die auf Tritt­hockern um ihn herum sitzen, lachen und witzeln, jetzt krieche dann gleich eine Schlange aus dem Korb. Es sind Lehrerinnen und Lehrer, die sich an dem Workshop an einem Waldrand bei Lenzburg AG Tricks und Tipps für das Schnitzen mit dem Sackmesser zeigen lassen. «Sie sind meine Multiplikatoren» sagt Immler und zeigt ihnen, wie man allerhand Praktisches, Lustiges und Kurioses zaubern kann.

Für sein neues Buch hat er in einem Waldstück am Rotbach im Appenzellischen ein ganzes Outdoor-Wohnzimmer samt Sofa, Kühlschrank und Tisch fabriziert – mit dem Taschenmesser als einzigem Werkzeug. Sogar ein wasserbetriebener Drehspiess war dabei: Der Spiess über zwei Astgabeln war über eine Welle mit einem Wasserrad verbunden, welches das Poulet über der Glut drehte.

Das Projekt hatte nicht auf Anhieb funktioniert, aber das sei sekundär, meint Immler: «Das Erlebnis ist wichtiger als das Ergebnis.» Manchmal köchelt über dem Feuer eine Suppe, während die Kursteilnehmer schnitzen. «Wenn sie dann die Suppe mit dem selbst gemachten Löffel essen, schmeckt sie herrlich, selbst wenn sie nicht ganz gelungen ist.»

Material aus der Natur
Für den Vater von drei Kindern ist das Draus­sensein, das gemeinsame Verwirklichen von Projekten, wertvolle Beziehungszeit. Das war schon so, als ihn vor ein paar Jahren der Messer-Virus packte. Er arbeitete damals in einem Kinder- und Jugendheim und versuchte, die Jugendlichen für die Natur zu begeistern. «Doch sie sagten mir: ‹Geh du alleine Bäume anbeten, wir chillen lieber.›» 

Da entdeckte Immler, dass die Jugendlichen sich doch für etwas begeistern liessen: für das Schnitzen. Also zeigte er ihnen, wie’s geht, erfand einen «Sackmesser-Führerschein» und unzählige Projekte, die sich mit Materialien aus der Natur herstellen lassen: Das Schilf für die Flöte stammt vom Bodensee, Immlers Heimat. Hasel- und Holunderstöcke holt er von der Hecke eines benachbarten Bauern. Gibt es etwas zu verbinden, findet er biegsame Wurzeln, Nielenranken und klebriges Harz im Wald. Manchmal verwendet er auch Materialien wie Schnur,
Pet-Flaschen oder Robidog-Säcklein.

Felix Immler ist am Wald aufgewachsen, «da gehörte das Schnitzen dazu». Doch habe er damals eine «normale» Beziehung zum Taschenmesser gehabt. Es entstanden die üblichen Dinge: Cervelatspiess, Pfeil und
Bogen, Steinschleuder. «Aber mit so wenigen Projekten kann ja Schnitzen keinen Spass machen!» Also wurde er kreativ. Bald stellte er Wasser- und Windräder her, Spielzeug­autos, Armbrüste, ein Floss, mit dem er den Lauerzersee befährt, ein Saxofon mit einem Ballon als Rohrblatt, eine Vorrichtung, um Fallschirme weit in die Luft zu schleudern, bevor sie gemütlich zu Boden schweben. «Ich laufe mit dem Fokus durch die Welt: Was kann man noch machen?»

Dass er dabei die Tendenz hat, etwas über die Stränge zu schlagen, ist ihm bewusst. «Ich brauche eine Partnerin, die mich ab und zu ein wenig bremst.» Als er seine Bücher schrieb, sei er fast Tag und Nacht daran
gesessen. Er durchstöberte Bibliotheken und Brockenhäuser, suchte im Internet und
unterhielt sich mit alten Leuten, für die das Schnitzen von klein auf dazugehörte. Vor vier Jahren erhielt er die Gelegenheit, sein Hobby zum Beruf zu machen. Heute ist er im Auftrag der Taschenmesser-Herstellerin Victorinox unterwegs. Seine Mission: Den Schnitzvirus verbreiten und das leicht antiquierte Image des Schnitzens aufzumöbeln. 

Konzentration und Ausdauer gefragt
Das tut der 44-Jährige , indem er regelmässig Schnitzkurse für Lehrerinnen, Sozialtherapeuten oder Eltern mit ihren Kindern gibt. Früher waren es oft reine Kinderkurse, doch heute zieht er Erwachsenen-Kinder-Kurse vor. «Wenn ich in einem Kurs ein Dutzend Kinder habe, kann ich nicht alle im Auge behalten, ob sie das Messer richtig in die Hände nehmen.» Immerhin kam es schon vor, dass Kinder einen Schnitt nähen lassen mussten. «Während eines Kursnachmittags kann ich den Kindern zeigen, wie es geht. Routine und Sicherheit erlangen sie aber erst mit dem Üben. Da ist es von Vorteil, wenn eine erwachsene Person auch Bescheid weiss.»

Dass Schnitzen nicht nur Spass macht, sondern auch ein bisschen gefährlich ist, findet er aber durchaus nicht nur negativ. «Das fasziniert, an dieser Herausforderung wächst ein Kind.» Doch er weiss auch, dass die Arbeit mit dem Messer Konzentration und Ausdauer erfordert – Eigenschaften, die Kinder nicht in jedem Fall mitbringen. Auch dafür brauche es die Eltern, damit sie das Kind zum Weitermachen ermutigen, selbst wenn nach einer Stunde noch kein Resultat vorliegt.

Die Lehrkräfte am Kurs in Lenzburg sind da ausdauernder. Eigentlich gäbe es jetzt, gegen Ende des Workshops, einen Zvieri: einen Gugelhopf, am offenen Feuer gebacken. Doch längst nicht alle Teilnehmenden haben Lust darauf. Viel lieber bleiben sie sitzen, schnitzen, raspeln und sägen weiter. Der Sackmesser­virus hat sie offensichtlich angesteckt.

 

<drupal-entity data-embed-button="media" data-entity-embed-display="view_mode:media.teaser_big" data-entity-embed-display-settings="[]" data-entity-type="media" data-entity-uuid="3161817e-b021-4c53-b135-32f933fac8b3" data-langcode="de"></drupal-entity>

Felix Immler: «Outdoor mit dem Taschenmesser» 
ISBN: 978-3-03800-851-4
Einband: Gebunden Umfang: 208 Seiten
Gewicht: 849 g Format: 19.2 cm x 24.5 cm Lieferbar in 3-5 Arbeitstagen
Preis: ca. 29.90 Fr.  

AT-Verlag