Es braucht nicht immer Körperkontakt, um menschliche Wärme zu spüren. Bei Hans Rüttimann reichen bereits Worte aus, um diese wohlige Wirkung zu erzielen. In seiner sanften Stimme und seinen bedacht formulierten Sätzen liegt eine unnachahmliche Herzlichkeit. So wie die
Erzählungen des Malers die Ohren verwöhnen, sind seine Werke ein Augenschmaus. Mit beidem geizt der 80-Jährige an diesem Nachmittag in seinem Haus in Bremgarten bei Bern nicht. Passend zu den audiellen und visuellen Genüssen serviert seine ebenso gastfreundliche Frau Martha feines Gebäck und herrlich duftenden Kaffee. 

Als Kaufmann nicht glücklich
Auch sie lauscht gespannt, als Hans Rüttimann beginnt, aus seinem Gedächtnis Episoden einer bewegten Künstlerkarriere hervorzuholen. Diese nahm so richtig Schwung auf, als der Hersteller und Vermarkter von Sammlerartikeln, Bradford Exchange Ltd., 1994 eine Serie von Porzellantellern mit Katzenmotiven herausgab.

Die darauf zu sehenden Katzen, unter dem Titel «Auf leisen Pfoten», stammen von ihm. «Das war sicher ein Höhepunkt meines Schaffens», sagt der Berner mit einem verlegenen Lächeln. Vorsichtig nimmt er zwei der wertvollen Teller von der Wand und betrachtet sie. «Für die schwarze Katze stand unsere damalige Miezi Modell. Ich habe sie in verschiedenen Positionen gemalt: sitzend, liegend und stehend.» 

Dass ein renommiertes Unternehmen wie Bradford ihm für seine Katzenmalerei ein lukratives Angebot unterbreitet hat, sei gros­ses Glück gewesen. «In einem Katzenmagazin war ein Artikel über meine Kunst. Jemand von Bradford hat ihn gelesen und ist dadurch auf mich aufmerksam geworden», erinnert sich Rüttimann. Das sei eine verrückte Zeit gewesen. Einmal habe ihn sogar ein Fahrer mit einem Porsche für einen Termin abgeholt.

Er lacht herzhaft, als diese Bilder vor seinem geistigen Auge erscheinen. Gleichzeitig merkt man aber auch, dass ihm solch ein Luxus nicht viel bedeutet. Denn Rüttimann weiss, dass der Beruf des Künstlers viele andere Seiten hat. Auch Schattenseiten, die er zur Genüge kennt. Lange Zeit konnte der Naturfreund nämlich nicht alleine von der Malerei leben.

Als gelernter Kaufmann arbeitete Rüttimann in Banken und Steuerverwaltungen, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Glücklich wurde er dabei aber nicht. «Am schönsten war es, wenn ich von Hand Ordner anschreiben konnte», sagt er, und fügt an: «Äs Splitterli Kreativität». Dank seiner Frau Martha, die als Hebamme arbeitete und mitverdiente, konnte sich Rüttimann ab den 1990er-Jahren mehr dem gemeinsamen Sohn Patrick und seiner Kunst widmen. «Das funktionierte vor allem, weil wir einfach lebten. Doch es hat mich erfüllt, und ich würde es wieder genauso machen.»

Inspirationen in der Natur
Obwohl der gebürtige Münsinger von der Mücke bis zum Elefanten eine breite Palette an tierischen Vorlagen nutzt, hat es ihm die Katze besonders angetan. «Sie ist für mich das vielseitigste und unerschöpflichste Tier in der Kunst», sagt Rüttimann. Ihr Formenreichtum sei immer wieder überraschend. «Und während blaue Pferde irgendwie fremd wirken, tun das bunte Katzen nicht.» Daher sind auch seine mit dem Bleistift vorgezeichneten und mit Tinte ausgemalten Katzen bei Weitem nicht alle schwarz wie auf der Porzellanserie.

Ein paar Kostproben unterstreichen, was der Künstler meint. Da ist zum Beispiel eine elegant sitzende, edel anmutende Katze. Auf ihrem dunklen Fell erstrahlen unzählige kleine Müsterchen in unterschiedlichen, leuch­tenden Farben. «Die Astralkatze», wie Rüttimann das Bild nennt, scheint gleichzeitig echt und traumhaft-unwirklich zu sein. «Diese Art des Surrealismus finde ich wunderbar», sagt der Maler. Überhaupt liebe er alles, was mit Kreativität zu tun hat. Das war schon als Kind so. «Ich habe mir an der Seite meines Vaters in der Natur Inspirationen geholt und dann ganze Hefte mit Zeichnungen von Vögeln, Hasen, Füchsen oder Mardern gefüllt», erzählt Rüttimann. Seine Mutter lehrte ihn dann das Malen auf Postkarten.

Der Schüler erwies sich dabei als äusserst talentiert und schaffte es bereits im zarten Alter von 13 Jahren, das Matterhorn mit Öl auf die Leinwand zu bringen. Wie beachtlich das Frühwerk ist, lässt sich im Fernsehzimmer nachvollziehen. Dort hat es noch heute einen Ehrenplatz. Genau wie viele weitere seiner Grafiken, Aquarelle und Zeichnungen in seinem urchigen, rund hundertjährigen Haus.

Früher war es gemütlicher
«Früher hatte ich noch ein Atelier in der Wankdorfstrasse», sagt Rüttimann. Sein Gesichtsausdruck verrät, wie glücklich er ist, wenn er von seiner Stadtberner Zeit erzählt. Nach einer kurzen Pause bietet der Feingeist noch mehr Einblicke in die Vergangenheit. «Unvergessen ist der wöchentliche Philosophentreff in den Sechzigerjahren. Da kam alles zusammen. Vom Büezer bis zum höchsten Akademiker.»

Besonders die gemeinsamen Momente mit seinem Seelenverwandten, dem Autor, Publizisten und Mythenforscher Sergius Golowin, liessen das Herz des Katzenmalers höherschlagen. «Wir diskutierten in verrauchten Beizen über den Sinn des Lebens und hatten einen grossartigen Austausch», erzählt Rüttimann mit funkelnden Augen. Damals sei die Zeit gemütlicher gewesen. Und damals haben die Galerien und Auktionshäuser auch Kunstförderung betrieben. Heute interessiere nur noch der Marktwert eines Bildes. Das gebe ihm zu denken.

In die kritischen Bemerkungen mischt sich keinerlei Zorn. Lediglich ein Hauch von Traurigkeit. Diese verfliegt aber schnell wieder und macht Platz für einen optimistischen Ausblick. «Es ist nicht alles schlecht geworden. Immer mehr Menschen wenden sich in dieser hektischen Zeit wieder der Natur zu und sehen in ihr die Schönheit, das Harmonische, das Ideale.» Rüttimann spricht diese Worte wieder in seinem typischen sanften Tonfall aus. Voller Herzlichkeit und Wärme, sodass man am liebsten sofort mit ihm zusammen die besagten Schätze der Natur entdecken möchte.