Reiter brauchen Pferde. Allerdings nicht unbedingt solche aus Fleisch und Blut. Auch auf Rössern aus Holz und Stoff, das wussten schon die alten Griechen, kann man hervorragend durch den Garten galoppieren oder über Baumstämme hüpfen. Sogar der berühmte Sokrates und sein Sohn Lamprokles sollen in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts vor Christus regelmässig auf ihre Steckenpferde gestiegen sein. Die Epoche der Antike ging zu Ende, die des Steckenpferdes aber nicht. Unbeirrt trabte es von einem Jahrhundert ins nächste und über unzählige Landesgrenzen hinweg. 

Traditionell unterscheiden sich die Pferdchen – je nach Gebrauch und Region – in ihrer Bauweise. Neben der einfachen, in Europa verbreiteten Variante, bei der auf einem Holzstiel ein Pferdekopf steckt, meist aus Holz oder Stoff, gibt es das Rahmenmodell. Bei diesem befestigt der Reiter den Vorderkörper samt Kopf des Pferdes – einen Holzrahmen mit Decke – an seiner Hüfte. Gelegentlich kommt auch noch das Hinterteil des Tieres samt Schweif dazu. Unabhängig von der Ausführung ist so ein Pferdchen vor allem für Kinder ein wunderbarer Zeitvertreib. Eine Tatsache, die sich bis heute in unserer Sprache spiegelt. Wir nennen vergnügliche Freizeitbeschäftigungen unser «Steckenpferd». Und auch die inzwischen gebräuchlichere Bezeichnung «Hobby» geht auf das Spielzeugpferd zurück, das im Englischen «hobby horse» heisst. 

Das Steckenpferd inspirierte verschiedene Künstler, Robert Schumann komponierte im 19. Jahrhundert sogar das Klavierstück «Ritter vom Steckenpferd». Neben seiner Rolle als Spielzeug und Muse etablierte sich das Spielzeugpferd in vielen Ländern und manchmal gegen den Willen der Kirche und Obrigkeiten als wichtiger Bestandteil magischer Rituale und Zeremonien. Einige davon gibt es bis heute, zum Beispiel ein auf den Malaiischen Inseln zelebriertes Tanzritual mit Steckenpferd, bei dem die Tänzer abhängig von der Region in Trance sind. 

Steckenpferde als Sportpartner
Der wohl gruseligste Brauch wird in Wales zur Neujahrsfeier praktiziert. Bei der «Mari Lwyd», was auf Deutsch so viel wie «Graue Stute» bedeutet, wird ein echter Pferdeschädel am Ende eines Holzstabes befestigt. Dieser und die Person, die die Mari Lwyd trägt, sind unter einem weissen Laken versteckt. Geführt wird die Stute von anderen Teilnehmern der Gruppe, die durch die Dörfer ziehen, an die Türen klopfen, Lieder singen und um Einlass bitten. Wird ihnen dieser gewährt, läuft die scheinbar nur schwer zu bändigende Mari Lwyd durch die Zimmer und schnappt gelegentlich sogar nach den Bewohnern – zu diesem Zweck wird der Kiefer zuvor mit Federn ausgerüstet. Die Darsteller werden mit Essen und Getränken belohnt, allen soll das Ritual Glück bringen.

Als Parodie auf die feine Gesellschaft entstand 2002 im deutschen Mannheim das Steckenpferd-Polo. Mit Crocketschlägern versuchen die Reiter, einen Softball ins Tor der gegnerischen Mannschaft zu befördern und müssen dabei laut Reglement unbedingt galoppieren, sprich hoppeln. Langsamere Gangarten und Fouls werden mit einem Straf-Sherry geahndet. Bei den Pferden sind alle Rassen erlaubt, die mit Batterien ausgestatteten Exemplare dürfen sogar wiehern. In Deutschland fanden seit der Gründung der neuen Ulksportart in unregelmässigen Abständen Turniere statt, 2013 wurde in Allenwinden im Kanton Zug das erste Schweizer Steckenpferd-Poloturnier veranstaltet.

Während die Polospieler ihre Steckenpferde in der Regel einfach im Spielzeugladen kaufen oder von ihren Kindern leihen, sind die Tiere, die beim neuen Trendsport «Hobby Horsing», dem Reiten auf Steckenpferden, antreten, fast immer Marke Eigenbau – besonders schöne Exemplare werden mit bis zu 250 Franken gehandelt. Genau wie bei ihren vierbeinigen Vorbildern gehören sie unterschiedlichen Rassen an, sie bekommen Namen, Stammbäume, Charaktereigenschaften und ihre ganz persönliche Geschichte. Und es werden immer mehr: Laut Venla-Maria Uutela, Sprecherin der SKY («suomen keppihevosyhdistys»), der Finnischen Vereinigung der Steckenpferdreiter, wächst das Interesse am Hobby Horsing seit etwa 2000 stetig. «Vor rund fünf Jahren ist die Popularität noch mal sprunghaft angestiegen und in diesem Jahr wurde auch vermehrt in den Medien über uns berichtet», sagt Uutela.

Steckenpferd-Reiter gibt es inzwischen in aller Welt, besonders aber in den skandinavischen Ländern. Allein in Finnland sollen es rund 10 000 sein, überwiegend Mädchen zwischen zehn und 18 Jahren. 200 Reiter traten bei den Finnischen Steckenpferd-Meisterschaften im Frühling dieses Jahres gegeneinander an, 1000 Zuschauer klatschten. 

Schweisstreibende Angelegenheit
Was auf den ersten Blick recht kurios wirkt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als schweisstreibende Gymnastik. Denn die Steckenpferd-Reiter simulieren Passage und Piaffe mit ihren eigenen Beinen, zeigen Hufschlagfiguren in allen «Gangarten» und hüpfen über Mini-Oxer. Dressur und Springen sind zwar besonders beliebte Disziplinen, aber nicht die einzigen. «Was mit einem richtigen Pferd geht – das ist eigentlich unsere einzige Regel –, geht auch mit einem Steckenpferd. Und folglich gibt es auch Steckenpferd-Reiter, die sich fürs Westernreiten, den Renn- oder Fahrsport entscheiden», sagt Venla-Maria Uutela. 

Zuspruch erfuhren die Steckenpferdreiter sogar durch den finnischen Reiterverband, den mit den richtigen Pferden. Generalsekretär Fred Sundwall betonte mehrfach öffentlich, dass er es wunderbar finde, dass Hobby Horsing ein Phänomen und so populär geworden sei. Es gebe Kindern und Teenagern, die keine Pferde haben, die Chance, mit ihnen auch ausserhalb von Ställen und Reitschulen zu interagieren.

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