Ungeduldig wiehert der 26-jährige Wallach Micky, als ihm Edi Hess den Kummet über den Kopf stülpt. Daneben schüttelt der 22-jährige Volero seine Mähne, und der fünfjährige Honi blickt schon gespannt über den schneebedeckten Abhang. «Sie wissen, dass es am Nachmittag rausgeht, und freuen sich schon auf die Beschäftigung», sagt Bauer Hess und tätschelt den beiden braunen, stämmigen Freibergern und dem kräftigen Burgdorfer Pferd nacheinander liebevoll auf den Hals.

In einem schmucken Haus vor der Kirche des Dorfes Rueras in der Gemeinde Tujetsch in der Surselva ist der kleine Leon Berther, kaum hat er gegessen, ebenfalls ungeduldig. Der Dreijährige will raus, er will zu Edi Hess und seinen Pferden.

«Ah, hier kommt unser treuster Kunde», sagt Hess lachend, als er den Kleinen durch den Schnee stapfen sieht. Leon zieht seine Skier an, die klein wie Zündhölzer wirken. Er weiss bestens, wie es geht. «Schön auf die Seite stehen!», ruft Edi Hess. Zehn Kinder warten knapp unterhalb des Pulverschnees auf der Piste, greifen nach einem kleinen Bügel, der an einem Seil befestigt ist, und blicken erwartungsvoll nach vorne. Edi Hess nimmt auf dem kleinen Schlitten hinter den Pferden die Zügel in die Hand und ruft «Hü!». Micky, Volero und Honi setzen sich in Bewegung, ein Ruck, der Rössliskilift läuft und die Kindergesichter wirken konzentriert. Ganz zuhinterst hängt der kleine Leon mit ausgestreckten Armen am Seil.

Für Einheimische ist es der Biolift
Sonnenstrahlen glitzern auf dem Neuschnee, etwas weiter oben quietscht eine Komposition der Matterhorn-Gotthardbahn vom Oberalppass kommend über ein Viadukt talabwärts, die Kantonsstrasse unten ist schneebedeckt und die dunklen Tannen an den Berghängen tragen dicke Schneeschichten wie Watte. Die Glöcklein um den Hals der Pferde klingeln noch intensiver, als die Tiere trabend das letzte Stück in Angriff nehmen. Oben angekommen, entspannen sich die Gesichter der Kinder, beim Heruntersausen strahlen sie, während die drei Wallache über einen schneebedeckten Weg oberhalb der Piste gehen und langsam wieder abwärtstrotten.

Als die Pferde wieder bei den Kindern sind, gibt es für alle eine Pause. Freudig streckt ein Mädchen seine Hände nach den Pferdenüstern. Honi schnaubt laut, das Kind staunt ihn mit grossen Augen an. «Einen Skilift streichelt ihr sonst wohl nicht», sagt Edi Hess zufrieden. Sein Skilift ist ein ganz besonderer, eben der Rössliskilift von Rueras oder der Biolift, wie ihn die Einheimischen nennen. Heute vergnügen sich besonders Kinder von Leuten aus dem Dorf im Schnee mit den Pferden. «Während der Feriensaison machen natürlich viele auswärtige Kinder gerne mit», sagt Edi Hess.

Hess betreibt seinen wohl einmaligen Skilift seit zwei Jahren. Das besondere Erlebnis prägt sich vielen Kindern ein, und ihn freut es. «Ich wollte immer ein Bauer werden, der mit Pferden arbeitet», sagt der im Luzerner Seetal aufgewachsene Bauernsohn. Schon als Kind war er von Pferden fasziniert, mit 19 hatte er sein eigenes. Vor 30 Jahren kam er mit vier Haflingerpferden in Sedrun bei Rueras an und blieb bis heute im beschaulichen Tal. Silvia aus Rueras nahm bei ihm Reitstunden und wurde seine Frau. Seither bewirtschaftet er den Hof ihres Vaters und hat ihn zu einem vielseitigen Betrieb ausgebaut.

Bergkräuter statt Kraftfutter
Mit seinen Pferden zog er in bergigem Gelände auch Holzstämme aus dem Wald. Sein Rätisches Grauvieh, die Ziegen und Pferde haben auch im Winter Freilauf. Hess sagt: «Meine Philosophie ist, mit dem mir zur Verfügung stehenden Land etwas Sinnvolles zu machen. Was Freude macht, das rentiert.» Seine Tiere werden alle mit hofeigenem Futter versorgt. «Im Sommer Gras, im Winter Heu.» Er braucht kein Kraftfutter, die besonderen Bergkräuter genügen vollauf.

Vor zwei Jahren stiess Hess auf das Burgdorfer Pferd um. Diese Pferde wurden einst auf vielen Höfen als Arbeitstiere gehalten, gerieten dann aber mit der zunehmenden Mechanisierung in Vergessenheit, sodass die Rasse fast ausstarb. Mit Einkreuzungen zwischen Ardennern und Freibergern konnte sie wieder herausgezüchtet werden. Es sind mittelgrosse, stämmige Pferde, die gerne arbeiten. Hess setzt sie regelmässig auf dem Feld ein, pflügt, sät, eggt, schichtet Heu zu Walmen auf. Der Ertrag sei höher, als wenn er mit Traktoren arbeiten würde, die den Boden verdichteten, sagt Hess.

Insgesamt besitzt er mit Etoile, dem Pensionspferd, fünf Rösser, die alle nicht beschlagen sind. Sie können sich im Freilauf und im Stall frei bewegen und tauschen regelmässig soziale Kontakte aus. «Wenn ich Schlittenfahrten auf der Strasse unternehme, ziehe ich ihnen Hufschuhe aus Kunststoff an, heute aber, für den Rössliskilift, ist es besser für sie ohne», sagt Hess.

Überhaupt belebt der innovative Edi Hess vieles, was einst im Bündner Bergtal Brauch war. Sein Rätisches Grauvieh ist eine typische Zweinutzungsrasse, die selten geworden ist. Und die Tradition mit dem Rössliskilift lebt nun auch wieder auf. Schon früher hätten nämlich Einheimische Gäste auf Pferdeschlitten nach Tschamut geführt, erzählt Hess. «An den Schlitten waren Seile angemacht, Gäste liessen sich auf Skiern mitziehen.» Nun zaubert also er mit der originellen Idee Freude in die Kinderherzen. Und die Eltern stehen unten und schauen strahlend zu. «Wer seinem Kind helfen möchte, kann auch mitfahren und es zwischen die Beine nehmen», sagt Hess. Seine Pferde können maximal 15 Kinder aufwärtstransportieren.

Notstopp nach der Bruchlandung
Wieder stapfen die drei Pferde hangaufwärts. Honi hört das Wiehern der Stute aus dem nahen Stall, will zu ihr, verlangsamt seinen Trott und versucht auszuscheren. Hess ruft seinen Namen, treibt ihn mit Zurufen an, beruhigt die anderen beiden Pferde, bis sie wieder trotten. Doch der Ruck im Seil hat Marius aus dem Gleichgewicht gebracht. Er liegt im Schnee. Hess sieht ihn im Rückspiegel. Er wartet, bis sich der Bub aufgerappelt hat und wieder am Seil hängt, ruft «Achtung!» – und schon bewegt sich die Kolonne wieder vorwärts.

So geht es den ganzen Nachmittag, bis die Sonne hinter der Krete verschwindet. Nun ist die Ungeduld bei den Kindern und Pferden verflogen. Alle sind müde. Die Kinder freuen sich auf die warme Stube, die Pferde auf ihren Stall und eine tüchtige Portion Heu.

Rössliskilift
Edi Hess und seine Pferde sind mit ihrem besonderen Skilift bis Ostern jeden Donnerstag von 14 bis 16.30 Uhr zwischen Dieni und Rueras GR im Einsatz. Ausnahme: Am 23. Februar (Schmutziger Donnerstag) fällt der Rössliskilift aus und findet dafür am Mittwoch, 22. Februar, um die gleiche Zeit statt. Anreise: Von der Bahnstation Dieni auf die Kantonsstrasse hinunter, dann dieser Strasse entlang talabwärts, der Skihang befindet sich auf der linken Seite. Autos können vor der Garage links mit der Aufschrift «Schlittenfahrten» abgestellt werden. Kinder von Eltern mit Gästekarten und aus der Gemeinde werden kostenlos befördert. Auswärtige Kinder bezahlen 5 Franken pro Nachmittag. Das Angebot wird von der Tourismusregion und der Gemeinde Tujetsch finanziell unterstützt. Ein weiterer Winterplausch sind die Pferdeschlittenfahrten, die Edi Hess auf Anfrage organisiert:
www.biohof-edihess.ch
, Tel. 079 247 88 47

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