Hunger, Einsamkeit und emotionale Kälte: Die Kindheit von Giovanni Segantini war kein Zuckerschlecken. Das wird beim Film «Giovanni Segantini – Magie des Lichts» bereits nach wenigen Minuten deutlich. Mit acht Jahren wird der 1858 im damals zu Österreich gehörenden Arco (Trentino) geborene Junge zum Vollwaisen. Er streift orientierungslos durch Mailand und landet schliesslich in einer Erziehungsanstalt. Um der Tristesse zu entkommen, verschreibt sich Segantini ganz der Malerei.

Die ländliche Natur, die Landschaft und das Leben der einfachen Menschen und ihrer Tiere bestimmen seine Bildwelt von nun an. Später zieht es Segantini in die Schweizer Alpen nach Graubünden. Immer höher dem Firmament zu, folgen die Lebensetappen in Savognin und zuletzt in Maloja. An das Engadin verliert er sofort sein Herz. «Ich werde Eure Berge malen, Engadiner, dass die ganze Welt von ihrer Schönheit spricht», verkündet der Künstler anlässlich der Proklamation zum «Alpentriptychon» 1897 in Samedan. Bereits zwei Jahre später stirbt er 41-jährig im Engadin unter dramatischen Umständen in einer Alphütte auf 2700 Meter Höhe.

Der Film von Christian Labhart geht Segantinis Lebensgeschichte nach. Der Regisseur vertraut ganz den Primärquellen, das heisst dem Fragment einer Autobiografie und Auszügen aus Segantinis umfangreicher Korrespondenz. «Seit Jahren beschäftige ich mich mit Segantini. Ich reiste an Orte, wo er gelebt und vor 120 Jahren seine Leinwand aufgebaut hatte, unter freiem Himmel – bei Wind und Wetter malend», erzählt Labhart, der gemäss eigenen Angaben fast alles gelesen hat, was von und über Segantini geschrieben wurde

Der Zuschauer spürt Mensch und Künstler
Die aufwendige Recherchearbeit hat sich ausgezahlt. «Durch Verzicht auf jegliche kunsthistorische Kommentare gewinnt der Film seine Authentizität», lobt der Kunstexperte Guido Magnaguagno, freier Kurator und Präsident Visarte Zürich. Tatsächlich spricht fast nur Segantini – mit der Stimme von Bruno Ganz. Er bedient sich dabei häufig einer bildhaften Sprache. Zitate wie «Es weht ein Ostwind, der stöhnt wie ein Tier, das in der Ferne stirbt» lassen den Zuschauer immer wieder innehalten. Er spürt von Minute zu Minute mehr den Menschen und den Künstler Segantini. Verstärkt wird dieses Gefühl durch eine hochauflösende Spezialkamera, welche die farbgetreue Wiedergabe der Original-Bilder gewährleistet.

Labhart nimmt Anteil an Segantinis inneren Prozessen und Krisen beim Malen, an seinem von finanziellen Nöten geprägten Alltag, an seinem widersprüchlichen Umgang mit Mutterliebe und Erotik und schliesslich an seinem verzweifelten Kampf gegen den Tod. Damit gewährt er einen emotionalen Blick in die Abgründe der zutiefst verletzten Seele des Künstlers, der erst kurz vor seinem Tod international erfolgreich war. Zu diesem Zeitpunkt wusste Segantini längst: «Die Kunst stirbt niemals.» Den Beweis dafür tritt Christian Labhart mit seinem biografischen Film eindrücklich an. Ihm ist nicht nur eine Hommage an Segantini, sondern ein eigenständiges Kunstwerk gelungen.

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