Des Lockdowns müde, träumen viele Menschen in Grossbritannien wieder von besseren Zeiten. Kein Wunder, dass der grosse Feel-Good-Film dieses Sommers «Dream Horse» (Traum-Pferd) ist. Er erzählt eine entzückende, herzerwärmende Geschichte von einer Frau, die auf einer kleinen Parzelle hinterm Haus in einem früheren Grubenort in Süd-Wales ein Pferd aufzieht. Sie überredet andere Ortsbewohner, einen kleinen Geldbetrag beizusteuern, um ein Syndikat zu gründen, einen Trainer anzuheuern und das Pferd auf die Rennbahn zu führen. Dann geschieht, was niemand für möglich hält: Das Pferd ist erfolgreich – und siegt beim Grand National in Wales.

Der Film ist pure Unterhaltung à la Hollywood. Aber die Story basiert auf einer wahren Begebenheit. Jan Vokes wohnt mit ihrem Ehemann Brian in Cefn Fforest, einer kleinen Gruben-Gemeinde, die wegen des Kollapses der Kohleindustrie am Boden zerstört ist. Sie arbeitet tagsüber in einem Supermarkt und nachts als Schankkellnerin im örtlichen Arbeiterklub, um finanziell über die Runden zu kommen. Dort hört sie eines Abends, wie der Buchhalter Howard Davies erzählt, dass er einem Syndikat, also einer Gruppierung von Personen angehörte, die ein Rennpferd besass.

Vollblutstute zum Schnäppchenpreis
Es war allerdings eine traurige Geschichte: Das Pferd war nämlich nicht dafür geschaffen, irgendetwas zu gewinnen. Die Ausgaben waren enorm, und Davies verlor eine Menge Geld. «Da dachte ich mir: Das müsste ich doch schaffen, ohne Geld zu verlieren. Ich finde eine Art und Weise, wie sich das gut und günstig machen lässt», sagt Vokes heute. «Als Howard an die Bar kam, sagte ich: «Hör mal, ich werde ein Rennpferd züchten. Er sagte: Viel Glück. Nahm sein Bier und zog ab.»

Der Trailer zum Film «Dream Horse»

[IMG 2]

Vokes aber mochte sich die Idee nicht aus dem Kopf schlagen. Als Kind hatte sie Sporttauben ins Rennen geschickt, und später preisgekrönte Windhunde aufgezogen. Sie wusste nichts über Rennpferde, war sich aber sicher, dass sich das Nötige lernen liess. Zuerst überredete die mutige Frau ihren Mann, ans Gesparte zu gehen und das Geld für den Kauf einer Vollblutstute namens Rewbell auszugeben. Sie bekamen sie zum Spottpreis von 300 Pfund, weil die Stute schlimme Narben hatte und äusserst launisch war. Aber Vokes gefiel sie. Und so kam es, dass Rewbell in ihrem «Kleingarten» Einzug hielt. Dort schien das Pferd zufrieden mit seiner neuen Umgebung zu sein, die früher einmal eine Schlackenhalde gewesen war.

In der Folge studierte Vokes Rennergebnisse und hielt Ausschau nach einem geeigneten Hengst, um der Stute zu einem Fohlen zu verhelfen. Sie ging Davies erneut an, um eine Interessengemeinschaft zu bilden. «Das Reizvolle war – es schien ein Ding der Unmöglichkeit», sagt Davies. Sie hoben ein Syndikat aus der Taufe, an dem 23 Mitglieder des Arbeiterklubs beteiligt waren. Alle waren bereit, 10 Pfund pro Woche beizutragen, um Besitzer eines Rennpferds zu sein.

Arbeiterklub vs. Rennpferd-Elite
«Wir alle wollten sehen, ob das funktioniert», sagt Davies. Vokes fand den Hengst Bien Bien, und wenig später wurde «Dream Alliance» (Traum-Bündnis) geboren. Den Namen erhielt das Fohlen, weil das Syndikat sich als Bund Gleichgesinnter begriff, der einem unmöglichen Traum anhing. «Wir besassen ein Pferd aus der Arbeiterklasse, das gegen die Besten antreten sollte», erklärt Davies. Das Syndikat eines Arbeiterklubs in Wales wollte sich zur Elite des britischen Rennsports dazugesellen, um auf den grossen Rennplätzen der Nation mit dabei zu sein.

Dream Alliance, kastanienbraun und weissbestrumpft, wurde so auf dem kleinen Gelände aufgezogen, zusammen mit Gänsen und Enten. Er war in einem selbst gebastelten Schuppen untergebracht. Er wurde schnell zu einer regelrechten Persönlichkeit vor Ort, mit einem steten Strom von Besuchern. Und im Dorf wurden nicht länger Essensreste weggeworfen: Die Leute kamen einfach und warfen alles über den Zaun. «Wir wussten nicht, ob er viel zustande bringen würde», sagt
Vokes. «Er war gross und schlaksig und etwas schwer von Begriff. Aber er hatte Charakter. Wir dachten, er könne ein paar Rennen hier in der Gegend gewinnen. Ein guter Trainer kann viel herausholen, auch aus einem mittelmässigen Pferd.»

Der Trainer Philip Hobbs wirkte tatsächlich Wunder. Bei seinem ersten Rennen kam Dream Alliance bereits als Vierter ins Ziel. Danach gab es eine Reihe weiterer schöner Erfolge. Dann aber kam es zu einer Katastrophe. Als er im Vorlauf des Grand National in Aintree ins Rennen ging, verletzte sich das Pferd schwer an einer Sehne, und die Tierärzte wollten ihn einschläfern. Die Besitzer aber lehnten das ab. «Wir wollten ihn nur retten», sagt Vokes. «Uns war egal, ob er jemals wieder in ein Rennen gehen würde.»

Pension in Somerset
Dream Alliance überlebte, und das Team hörte von einer neuartigen Stammzellen-Behandlung, mit der die Sehne zu heilen war – für 20 000 Pfund. Alle waren sich einig. «Das Geld war vorhanden. Und wir fanden, dass Dream Alliance es ehrlich verdient hatte.» Eine 16-monatige Rehabilitation folgte, bis Dream Alliance das erste Pferd in Grossbritannien wurde, das nach einer solchen Behandlung wieder an einem Rennen teilnahm. Danach errang er beim Grand National von Wales sogar einen historischen Sieg.

Er kam in seiner Karriere auf über 137'000 Pfund an Preisgeldern, aber die Syndikats-Mitglieder erhielten jeweils nicht viel mehr als 1000 Pfund. «Wir haben es nicht fürs Geld gemacht, sondern weil es Spass brachte. Er hat viele Leben hier bereichert. Und das ist ja auch was wert», sagt Vokes.

Mittlerweile ist Dream Alliance aus dem Rennsport ausgeschieden. Er lebt auf einem Gehöft in der Grafschaft Somerset, wo er weiter geritten werden kann. Vokes arbeitet noch immer im Supermarkt. Aber schon gibt es einen neuen Traum in Cefn Fforest. Mit Hilfe eines neuen Syndikats setzt Jan Vokes grosse Hoffnungen auf ein vierjähriges Pferd namens Phoenix Dream. Es wird in Kürze in die Obhut von Trainer Philip Hobbs kommen. Und jedermann in Süd-Wales freut sich schon auf «Dream Horse 2».

«Dream Horse», Drama, 113 Minuten, Verleih: Ascot Elite, ab sofort im Kino.