Es dauert eine ganze Weile, bis die ersten Worte zu vernehmen sind. Bis dahin sind verschiedene Vögel in Volieren zu sehen und der ohrenbetäubende Lärm von Flugzeugen zu hören. Kurzer Schnitt, und ein junger, schüchtern wirkender Mann namens Antonin betritt die Bildfläche. Er schaut dem erfahrenen Rattenzüchter Paul im Vogelspital, dem Centre Ornithologique de Réadaptation (COR), in Genthod GE über die Schulter, als dieser gerade zahlreiche Nager von Transportbox zu Transportbox trägt. Der kurz vor seiner Pensionierung stehende Mann, der Antonin als seinen Nachfolger einarbeiten soll, tut dies mit einer Ruhe, die fast schon etwas Meditatives hat. Dabei ist klar, dass die Tiere als Mahlzeit für die Raubvögel enden, wie später zu sehen ist, als eine Maus zerlegt und an eine verletzte Schleiereule verfüttert wird. 

Kein leichter Job. Das merkt auch der nach einem langen Spitalaufenthalt chronisch müde Antonin schnell. Er muss sich an den Umgang mit den Nagetieren und den Vögeln erst einmal gewöhnen. Das gelingt ihm mit der Zeit immer besser, sodass er dank den Tieren und Menschen, die ihn umgeben, die Welt neu für sich entdeckt. Einblicke davon gibt er immer wieder mit seiner Stimme aus dem Off, die ein Tagebuch vorzulesen scheint. Es sind Einblicke in eine poetisch-politische Weltsicht, die zum Nachdenken anregen. Sie passen zum melancholischen Grundton des Films «L'île aux oiseaux» (zu deutsch «Die Vogelinsel»), der eine gewöhnliche Alltagshandlung mit fiktiven Elementen kombiniert.

Der Trailer zu «L’île aux oiseaux»

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«Diese Mischung aus Dokumentar- und Spielfilm entsprang unserem Wunsch, die Realität umzuwandeln, das Material, das uns zur Verfügung stand, zu vertiefen», erklärt die Schweizer Regisseurin Maya Kosa. «Um die Geschichte zuzuspitzen und die Einzigartigkeit dieses Ortes herauszustellen, führten wir mit Antonin eine Figur von aussen ein, die die Fiktion mitbrachte.»

Mit einem verletzten Vogel fing es an
Wahr ist dagegen, dass das Westschweizer Vogelspital COR unter seinem Leiter Patrick Jacot nicht nur kranke und verletzte Vögel aufnimmt, sondern auch beruflichen Wiedereinsteigern eine Tagesstruktur bietet. Ein reales Beispiel dafür ist Paul, der sich im Film selber spielt. Der Mentor des Protagonisten Antonin hatte in seinem Leben etliche Probleme, etwa Phasen sozialer Isolation und Drogensucht.

Kinotickets zu gewinnen!Wer bis am Montag, 20. Juli eine E-Mail an redaktion@tierwelt.ch oder eine Postkarte an «Tierwelt», Redaktion, Henzmannstrasse 18, 4800 Zofingen, schickt, gewinnt mit etwas Glück zwei Kinokarten für den Film «L'île aux oiseaux».

 Die Idee, eine Vogelpflegestation auf die grosse Leinwand zu bringen, kam Maya Kosa und ihrem Lausanner Regiepartner Sergio da Costa bereits vor sieben Jahren. Damals fanden die beiden Drehbuchautoren auf der Strasse einen verletzten Vogel, den sie ins ornithologische Reha-Zentrum von Genthod brachten. «Dieser Ort mit seinen etwas verloren wirkenden Angestellten hat mich sehr beeindruckt», sagt da Costa. Der chaotische Eindruck rührte vor allem von der Geräuschkulisse her: Es herrschte eine Spannung zwischen dem Lärm der Flugzeuge, die nur wenige Meter über den Volieren vorbeizogen, und den unaufhörlichen Schreien der eingesperrten Vögel, erinnert sich da Costa.

Die vom Bundesamt für Kultur als bester Dokumentarfilm 2020 nominierte Produktion nimmt sich trotz nur 61 Minuten Länge viel Zeit für Pausen und detaillierte Momentaufnahmen. Das sogenannte «Slow Cinema», also langsame Kino, fällt komplett aus dem Raster der immer temporeicheren Streifen.Genau das macht es zu einer willkommenen Abwechslung. Obwohl die Aussage des Films schmerzhaft ist. Denn der Zuschauer bekommt schonungslos vor Augen geführt, dass der Mensch Schuld daran ist, dass immer mehr Vogelarten verschwinden, weil er ihre Lebensräume zerstört und ihre Nahrung mit Pestiziden vergiftet. Laut Kosa und da Costa ist ihr Film eine Reaktion auf die zerstörerischen Kräfte des Menschen. 

«L'île aux oiseaux», Dokumentation / Spielfim, 61 Minuten, Verleih: Adok films, ab sofort in ausgewählten Kinos.