Kinder lieben Tiere. Sie tauchen gerne in die Welt der Tiere ein und können sich in ihre Lage versetzen. Tiere sind treue Freunde und verkörpern die Welt des Guten und Positiven. Sie sind damit die ideale Besetzung für ein kindgerechtes Vorabendprogramm. Und genau nach dem suchen Hollywoods Studiobosse in den 1950er-Jahren, als das Fernsehen als Massenprodukt hergestellt werden kann.

Noch hat sich zwar nicht jeder Haushalt einen Fernseher angeschafft – zu teuer die Apparate, zu bescheiden das Fernsehprogramm – aber wer keinen hat, ist gern gesehener Gast bei Familie oder Freunden mit Fernsehen. Angesichts der vielen Kriminal- und Westernserien für Erwachsene fordern besorgte Mütter-Komitees beharrlich ein Programm, das weniger Gewalt zeigt und familientauglich ist. Die Lösung der Produktionsfirmen: Die altgedienten Hollywoodkino-Zugpferde, die beiden Hundestars Rin Tin Tin und Lassie, sollen die Fernsehschirme erobern. Beide Hunde haben an den Kinokassen schon gezeigt, dass sie Gold wert sind.

Rin Tin Tin erobert die Welt
Schäferhund Rin Tin Tin ist in den 1920er- und 1930er-Jahren berühmter als die meisten menschlichen Schauspieler. Dabei ist er ursprünglich für eine ganz andere Karriere vorgesehen gewesen: Kriegshund. 1918 entdeckt der US-amerikanische Soldat Leeland Duncan in den Trümmern einer Zwingeranlage nahe dem französischen Verdun eine Schäferhündin mit sechs Welpen. Zwei davon, einen Rüden und eine Hündin, die er Rin Tin Tin und Nanette tauft, nimmt er mit in die USA. Nanette verstirbt nach kurzer Zeit; mit Rin Tin Tin steigt Duncan in die aufblühende Unterhaltungsindustrie ein. 

Duncan und Rin Tin Tin tingeln durch Varietés und Zirkusse, bis Filmleute auf das Duo aufmerksam werden. Bereits mit seinem zweiten Streifen, «Where the North begins», landet Rin Tin Tin einen Kassenschlager. In den folgenden Filmen und Jahren bringt der «Superhund» unzählige Ganoven zur Strecke und schafft auch den Sprung vom Stumm- in den Tonfilm – im Unterschied zu manchem zwei­beinigen Schauspieler. Doch auch ein Held wird einmal alt: Ein Jahr nach seinem letzten Film «The Lightning Warrior» (1931) geht Rin Tin Tin unter grosser öffentlicher Anteilnahme in die ewigen Hundejagdgründe ein.

Fast den ersten Oscar abgeräumt
Doch Rin Tin Tins Tod ist kein Grund, den Superstar abzuschreiben, im Gegenteil: Längst ist sein Name zur Marke geworden. Und so entwickelt Hollywood ein Fernsehserien-Konzept mit Rin Tin Tin als Titelhelden. 1954 läuft in den USA die Kinder-Wild-West-Serie «The Adventures of Rin Tin Tin» an. Erzählt wird die Geschichte des Waisenjungen «Rusty» und seines Hundes Rin Tin Tin, die im Wilden Westen der 1880er-Jahre dort stationierten Soldaten beim Kampf gegen Gesetzlose unter die Arme greifen. Am 16. Februar 1956 ist Premiere im Ersten Deutschen Fernsehen (ARD). Damit ist «Rin Tin Tin» die erste US-amerikanische Serie im deutschsprachigen Fernsehen.

Einige der ersten Folgen werden noch mit Rin Tin Tins Nachkommen gedreht, dann schlüpft ein neuer Hund in die Rolle des Stars: der Schäferhund Golden Boy Junior. Der tut das, was Trainer Frank Barnes ihm im Hintergrund souffliert, so gut und mimt Rin Tin Tin so glaubhaft, dass Barnes und er 1958 und 1959 mit dem Patsy Award (für: Picture Animal Top Star of the Year) ausgezeichnet werden. Dieser ist eine Art «Oscar» für Film- und Fernseh-Tierdarsteller.

Dem Originalhund blieb eine solche Ehre verwehrt. Zwar war Rin Tin Tin 1929 bei der ersten Verleihung der Academy Awards – also dem Oscar – als bester Hauptdarsteller vorgesehen. Aber die Jury wollte keinen Hund auszeichnen. Der Preis ging an Emil Jannings, einen 1884 in Rorschach SG zur Welt gekommenen deutschen Schauspieler. 1960 wird Rin Tin Tin dann doch noch geehrt: Mit einem Stern auf dem «Walk of Fame».

Dort glänzt auch der Stern des bekanntesten Hundes überhaupt: Lassie. Erfunden von dem amerikanischen Journalisten Eric Knight, erobert Lassie ab 1943 die Kinos. Der erste Film «Lassie come Home» (Heimweh) erzählt, wie sich Colliehündin Lassie, von ihrer armen englischen Familie nach Schottland verkauft, durch Wind und Wetter und aller Widerstände zum trotz zu ihrem jungen Herrn Joe zurückkämpft. Der Streifen ist ein Kassenschlager und legt nebenbei den Grundstein für die Hollywoodkarriere der mitwirkenden zehnjährigen Elizabeth Taylor.

Ab 1954 flimmert «Lassie» als Serie über die Bildschirme der USA. Das «Strickmuster» der einzelnen Episoden gleicht dem anderer erfolgreicher Serien: Lassie rettet ihr Herrchen aus einer misslichen Lage oder die beiden eilen Mensch oder Tier in Not zu Hilfe. In den ersten Jahren agiert Lassie an der Seite des Bauernjungen Jeff, dann ist sie die Hündin des adoptierten Timmy. Ab 1964 unterstützt Lassie den Ranger Corey Stuart und zu Ende der Serie geht sie – ganz im Sinne der aufblühenden Hippiebewegung – nur noch kurzzeitige Bindungen zu Menschen ein.

1973 ist das letzte Produktionsjahr von «Lassie», alte Episoden werden aber noch jahrelang wiederholt. Etliche andere Tiere locken ebenfalls Menschenscharen vor die Bildschirme: Mustang Fury (1955 bis 1960), Delfin Flipper (1964 bis 1967), Buschkänguruh Skippy (1966 bis 1968), Hengst Black Beauty (1972 bis 1974), Pferd Mr. Ed (1960 bis 1965) sowie Löwe Clarence und Schimpansin Judy (1966 bis 1969). Die Geschichte um Fury, den schwarzen Hengst, der mit seinem Herrchen Joey Abenteuer im Wilden Westen erlebt, ist übrigens eine der ersten Serien, die das Schweizer Fernsehen zeigt. Der Startschuss fällt am 7. Januar 1960.

Verführerische Illusionen
Die Tierserienklassiker werden bis in unsere Zeit ständig wiederholt, sei es als Neuauflage mit realen Darstellern oder als Zeichentrick- oder Animationsversionen. Beispiel Lassie: In der 2015 neu animierten Serie bleibt das Grundmuster zwar gleich, aber Lassie gehört nun nicht mehr einem Jungen, sondern einem Mädchen namens Zoé. An ihrer Seite stöbert sie Böswichte auf und legt Umweltsündern, Wilderern und Pferdedieben das Handwerk. 

Wie schon Jahrzehnte zuvor wird Lassie als Wesen gezeigt, das einen Willen und Gefühle hat und dem Menschen ganz ähnlich ist. Das ist nicht weit hergeholt: In der Realität haben viele, egal ob Kind oder Erwachsener, ein ähnlich inniges Verhältnis zu ihren Tieren wie die Kinder in den Tierfilmserien. Gleichzeitig schüren die Serien aber auch illusionäre Hoffnungen beim Wunsch nach dem eigenen Tier – Lassie etwa ist zwar klug und loyal, aber auch ziemlich anspruchslos – oft mit der Folge, dass Tiere unüberlegt angeschafft werden. Denn in der realen Welt trägt der Mensch die Verantwortung für das Tier, und nicht umgekehrt. 

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