Früh am Morgen schlägt seine Stunde. Der Dorfälteste macht sich auf, im Hochland nach dem schönsten Schmetterling zu suchen. Er muss sich beeilen, möchte er rechtzeitig zurück sein, um den schillernden Falter dem Brautpaar zu überreichen – so will es der alte Indianerbrauch in den südamerikanischen Anden.

Auch weiter nördlich, in den USA, zelebrieren Hochzeitsgesellschaften Ähnliches gerne und oft. Allerdings steckt hinter diesem Zeremoniell eine ganze Industrie. Über tausend professionelle Züchter und Versandstellen soll es mittlerweile geben, auf der Website der IBBA, der Internationalen Vereinigung für Schmetterlingszüchter, lassen sich Schmetterlinge je nach Land und Region bequem ab Zuchtfarm in grossen Mengen bestellen. Für den Transport werden etwa die Monarchfalter, die gerne Schwärme bilden, auf sieben bis acht Grad heruntergekühlt, um sie länger haltbar zu machen.

Falter ist nicht gleich Falter
Was sich im Westen als Trend entpuppt, braucht meist seine Zeit, bis es den Atlantik überquert. Mittlerweile hat der Brauch auch in Europa und der Schweiz Fuss gefasst, respektive flattern auch hier Schmetterlinge um das Brautpaar. Doch Schwärme von Faltern, die aus einer Kartonkiste zum Entzücken aller in die Höhe steigen, gibt es dennoch nicht. Das hat seinen Grund: Die in der Schweiz verbreiteten und geeigneten Arten, Admiral- und Distelfalter oder der Schwalbenschwanz, sind Einzelgänger. Sperrte man sie mit Dutzenden ihrer Artgenossen in eine ungekühlte Kiste, würden sie sich vor lauter Stress gegenseitig die Flügel kaputtmachen und elend zugrunde gehen. Kein schöner Anblick und tierschützerisch sowieso bedenklich.

Was tun? Die Antwort weiss Marc de Roche, der sich «Papa Papillon» nennt. Der Stadt-Berner befasst sich seit Jahren mit den kleinen Tieren, arbeitete in der Schmetterlingszucht-Anlage auf dem Hausberg Gurten, hat auch schon Falter für die Filmindustrie geliefert. Seit zehn Jahren geht er nun an Hochzeiten, hat den Trend einst in den USA aufgeschnappt. Mittlerweile bringt er seine Schmetterlinge an über 20 Hochzeiten im Jahr – ginge es nach seinen Kunden, könnten es bis zu 50 sein. Daneben auch Beerdigungen und Geburtstage. Hochzeiten sind für de Roche aber nicht einfach zu einem Geschäft geworden. «Im Gegenteil! Ich sehe mich vielmehr als Botschafter des Schmetterlings.»

Auf das Wetter kommt es an
Papa Papillon kühlt seine Falter nicht künstlich herunter und verschickt sie in grossen Mengen, sondern bringt sie gleich persönlich vorbei ans grosse Fest. Nicht 20 oder 40 Stück, wie viele seiner Kunden zunächst wünschen, sondern nur zwei bis sechs. Kostenpunkt: 350 Franken plus Fahrspesen. Das klingt teuer, doch de Roche relativiert: «Der Aufwand ist für mich beträchtlich.» Denn bevor die Schmetterlinge aus den Händen des Brautpaares davonfliegen, müssen sie einzeln in sogenannten Aerarium-Flugbehältern transportiert, davor als Raupe gefüttert, gehegt und gepflegt werden. Aus 40 Raupen werden am Ende nur 10 Schmetterlinge, sagt de Roche, und diese Zahl sei noch hoch, verglichen mit dem Verlust in freier Natur. Deshalb kann und will er Hochzeitsgesellschaften auch nicht in grossen Mengen beliefern.

Ist das Arrangement bei Papa Papillon einmal gebucht, ist es noch lange nicht definitiv, hängt das Gelingen doch von Faktoren wie schönem und warmem Wetter ab. Regnet es in Strömen, steigen zumindest draussen keine seiner Schmetterlinge. Entweder drinnen, und dann fängt sie der Züchter wieder ein, oder dann zu einem später vereinbarten Zeitpunkt. Er sagt denn auch: «Meine Arbeit ist naturabhängig.» In den Zyklus des Schlüpfens der Falter möchte de Roche nicht zu stark eingreifen. Setzt er einen Schwalbenschwanz der Braut auf die Hand, ist dieser am selben Tag geschlüpft und noch nie geflogen. Bis die Sonne seine Flügel aufgewärmt hat, vergehen bis zu zehn Minuten – Zeit genug, Erinnerungsfotos zu schiessen. 

Während der Zeremonie lässt es sich de Roche dann nicht nehmen, von seinem Wissensschatz zu berichten. Er möchte den Anwesenden das beliebte aber gar oft auch unbekannte Tier näherbringen. Werbung betreibt der Züchter keine, das Geschäft läuft grösstenteils durch Mund-zu-Mund-Propa­ganda. So ist er auch zu seinem ersten Auftrag gekommen, als er ein Brautpaar mit einem Schmetterling überraschte. Ein Riesenerfolg.

Gerade der Schwalbenschwanz eignet sich für Anlässe wie Hochzeiten, schlüpft er doch zwischen Mai und Oktober regelmässig und oft. Doch auch dieser natürliche Prozess hängt stark von äusseren Einflüssen ab: Als im Mai 2013 kalte Winde und Dauerregen durch die Schweiz fegten, mussten sich die Schmetterlingszüchter in Geduld üben. Bei de Roche war damals kein einziger Falter geschlüpft. An einer Hochzeit mit leeren Händen zu erscheinen sei zwar unangenehm, oft peinlich. Doch die Leute würden es verstehen, sofern er ihnen den natürlichen Zyklus erkläre.

Auch Rudolf Luterbacher hat sich durch Marc de Roche an einer Hochzeit von den schillernden Faltern begeistern lassen. Heute, wenn er Wilden Fenchel aussät, nistet sich in seinem Garten gerade der Schwalbenschwanz ein. In Aerarien hat Luterbacher begonnen, die Raupen vor Fressfeinden und Witterungseinflüssen zu schützen, bis sie sich verpuppen und als Schmetterlinge ausschlüpfen.

Städte sind besonders nahrhaft
Weniger Freude an der aus Amerika eingeschleppten Tradition haben die Tierschützer. Das Freilassen von Schmetterlingen an Hochzeiten würde keineswegs zur Artenvielfalt beitragen – dies bestreiten professionelle Züchter auch nicht. Zudem sei der Brauch eher zum Wohle der Menschen anstatt der Tiere gedacht, gibt Nathalie Dubois, Geschäftsführerin von «ProTier», zu bedenken. Der Transport und das Freilassen seien heikel und mit Stress verbunden. Dubois kann sich ausserdem nicht vorstellen, dass eine Hochzeit die richtige Plattform ist, um auf den Artenschutz aufmerksam zu machen.

Für Andreas Erhardt, Titularprofessor an der Universität Basel und ausgewiesener Schmetterlingskenner kommt es nicht infrage, exotische Falter an Hochzeiten freizulassen. Bei einheimischen Arten sieht er es etwas differenzierter. Selbst das Herunterkühlen der Tiere erachtet er als wenig problematisch, sofern es nur für kurze Zeit ist. Was geschieht aber mit den Tieren, wenn sie einmal in der Luft sind – mitten in der Stadt? Kein Problem, sagt Erhardt. «Es ist ein absurdes Paradox, aber das Nahrungsangebot ist in urbanen Gegenden deutlich besser als in ländlichen.» Schmetterlinge, selbst beim Zürcher Grossmünster freigelassen, würden in den vielen Gärten problemlos Nahrung finden.

Im mexikanischen Hochland beglückt nach wie vor ein einzelner Falter das Brautpaar und die Hochzeitsgesellschaft. Die Legende besagt, dass ein Schmetterling zwar keine Geräusche macht, dafür aber gut zuhören kann. Der Dorfälteste überreicht den Verliebten das Tier mit den Worten: «Flüstere deine Wünsche einem Schmetterling zu, er wird sie zu den Göttern tragen.