Es gibt Vogelscheuchen, vor denen nicht nur Vögel am liebsten die Flucht ergreifen würden. Ein solch gruseliges Exemplar mit dem passenden Namen «R.I.P» begrüsst die Besucher gleich am Eingang des Schlossguts Münsingen. Wem der Anblick noch keinen Schauder über den Rücken jagt, sollte den dazugehörigen Text lesen: «R.I.P ist ein Serienmörder. Er wurde zum Mörder, weil er sehr schlimm gemobbt wurde, weil er klein ist. Er wurde täglich zusammengeschlagen. Eines Tages hatte er keine Lust mehr, gemobbt zu werden, nur weil er klein war. Und ab diesem Moment wurde er zum Mörder, an diesem Tag hatte er alle, die ihn gemobbt haben, getötet.» Das Werk stammt von Schülern und erzeugt dadurch eine noch intensivere Wirkung, die nachdenklich stimmt.

Doch es bleibt zum Glück nicht viel Zeit, Trübsal zu blasen. Denn nur wenige Meter weiter warten fröhlichere Gestalten. Da sind zum Beispiel der gelbe Bart Simpson aus der gleichnamigen Zeichentrickserie, der rothaarige Wikingerjunge Wickie oder der grüne Jedi-Meister Yoda aus «Star Wars». Bei über hundert Vogelscheuchen ist für jeden Geschmack etwas dabei. Vom Eishockeyspieler über einen stilisierten Löwen mit einer Schlange als Gürtel bis zu Dr. Wackelzahn, der von einem Zahnarztpraxis-Team gebastelt wurde. Selbst politische Botschaften kommen nicht zu kurz, wie eine Donald-Trump-Figur mit dem Schriftzug «We need a wall around Trump» («Wir brauchen eine Mauer um Trump») beweist.

Vogelscheuchen sind überall zu Hause 
Die Idee für das farbenfrohe Vogelscheuchen-Festival stammt von Sonja Grossenbacher. Als sie auf einem Spaziergang im Emmental gleich mehreren skurrilen Vogelscheuchen begegnete, versank sie in Gedanken. «Die originellen Gebilde sind weniger geworden und drohen mit dem Einzug der mechanisierten Landwirtschaft zunehmend in Vergessenheit zu geraten», erzählt Grossenbacher. Um dem entgegenzutreten, entschloss sie sich, eine internationale Freiluftausstellung im Zeichen der Vogelscheuchen zu initiieren. «Es mag hochtrabend klingen, aber Vogelscheuchen sind auf der ganzen Welt zu Hause», sagt die Organisatorin. Tatsächlich liess das Interesse nicht lange auf sich warten. Schon bald gingen Anmeldungen aus Deutschland, Japan und den USA ein. 

Die Voraussetzungen für eine Teilnahme waren dabei einfach. «Es braucht vor allem Fantasie. Handwerkliches Geschick spielt nur eine untergeordnete Rolle», erklärt Grossenbacher. Deshalb stand die Tür für alle Interessierten offen: Einzelpersonen, Familien, Schulklassen, Vereine und Firmen. Diese fünf Gruppen bilden auch fünf Wettbewerbskategorien. Denn während des Festivals können das Publikum und eine Jury, zu der unter anderem die ehemaligen Schweizer Missen Linda Fäh und Bianca Sissing gehören, das schönste, einfallsreichste oder das hässlichste Exemplar wählen. Wer wolle, könne zudem seine Vogelscheuche versteigern lassen. Der Erlös fliesst genau wie die Einnahmen aus verkauften Plaketten und Büchern mit den schönsten Vogelscheuchengeschichten in das SOS-Kinderdorf. So dient das Vogelscheuchen-Festival nicht nur der Wiederbelebung eines alten Brauchtums, sondern auch einem guten Zweck.

as Vogelscheuchen-Festival auf dem Schlossgut Münsingen läuft noch bis zum 27. August. Weitere Informationen und Programmpunkte unter: www.vogelscheuchen-festival.com.