Bei Hausbesitzern ist die Nacht auf den 1. Mai gefürchtet. Viele haben es schon erlebt, dass ihnen am nächsten Morgen ein Blumentopf, ein Velo oder gar das Gartenbänkli fehlte: Die Maibuben hatten es sich geschnappt und auf den Dorfplatz geschleppt – dorthin, wo sie den Mädchen zur Ehre auch den Maibaum aufgestellt hatten. Doch wer genau hinsieht, kann in der 1.-Mai-Nacht vielleicht noch andere Gestalten entdecken: Es ist nämlich auch die Nacht der Hexen.

Im Volksmund bekannt als Walpurgisnacht, bezeichnen Hexen diese Nacht als Maissabbat oder Beltane und begehen damit eines der wichtigsten ihrer acht Jahreskreisfeste, die Auferstehung der Natur, die Vereinigung zwischen Himmel und Erde. Wer jetzt an einen verspäteten Aprilscherz denkt, da hier von Hexen die Rede ist, sollte weiterlesen. Denn es gibt sie wirklich, diese Wesen, die oft als magisch oder teuflisch bezeichnet werden. Und sie leben nach dem Kalender der Kelten, für die der 1. Mai früher der Startschuss war, mit der Aussaat zu beginnen. Noch heute steht der Maibaum für diese Verbindung, wenn er als sinnbildliches Phallussymbol in die Erde gesteckt wird und diese befruchtet. 

Hexen waren die Sündenböcke für Kälteperioden, Unwetter und Krankheiten
Eine von ihnen ist Wicca Meier-Spring. Als Inhaberin des Hexenmuseums im aargauischen Auenstein hat sich die Mittvierzigerin in den vergangenen drei Jahrzehnten intensiv mit der Mythologie und Historie rund um das Hexendasein beschäftigt und bekennt sich selber zur weissen Magie. Daher verwendet sie auch ihren zweiten Vornamen «Wicca» als Erstnamen. Er ist angelsächsisch für «guter Mensch» und die Bezeichnung für eine gute Hexe. Doch was genau sind Hexen und weisse Magie? «Das ist eine Lebenseinstellung», erklärt sie. «Wir sind sehr naturverbunden, haben geschärfte Sinne und verlassen uns noch auf unser Bauchgefühl. So nehmen wir vieles wahr, was andere Leute übersehen.» Ausserdem liege Hexen dran, anderen zu helfen. «Wenn es uns gut geht, soll es auch den anderen gut gehen. Das ist der Kreislauf der Natur und so bleibt alles im Fluss.» 

Hakennase und Buckel sind bei Meier-Spring übrigens Fehlanzeige. Das Einzige, was auf ihr Dasein als Hexe schliessen lässt, ist das Leuchten in ihren Augen. Daran, so sagt sie, erkenne sie auch andere Hexen. Und davon gebe es allein in der Schweiz weit über 3000. Einige von ihnen legen Tarot-Karten, andere lesen aus der Hand. Meier-Spring sagt, sie sei zwar auch mit der Gabe geboren, in die Zukunft sehen zu können, sehe aber nur Dinge, die in ihrem persönlichen Umfeld passieren. 

Mit ihrem 2009 eröffneten Hexenmuseum möchte sie aufklären, über Brauchtum und Legenden informieren, für die Umwelt sensibilisieren und den während der Hexenverfolgung gestorbenen Menschen gedenken. Mehr als 10 000 Frauen, Männer und Kinder wurden allein in der Schweiz zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert hingerichtet. Warum? Weil sie mit Heilkräutern arbeiteten, rote Haare hatten oder sich mit vermeintlich dämonischen Tieren umgaben. «Die Hexen waren die Sündenböcke für Kälteperioden, Unwetter oder Krankheiten mangels Verständnis für die Naturwissenschaft», sagt die Historikerin. 

Die tierischen Sündenböcke waren zu jener Zeit schwarze Katzen, Füchse, Eulen und andere nachtaktive Tiere. Papst Innozenz setzte dem Ganzen die Krone auf, als er 1484 offiziell verkündete, dass Hexen die Gestalt ihrer Tiere annehmen könnten, da sie mit dem Teufel einen Pakt geschlossen hätten. Das gläubige Volk schloss sich dieser Meinung rasch an.

Aufgrund dieser landläufigen Meinung landeten nicht nur schwarze Katzen, die seit jeher mit schwarzer Magie in Verbindung gebracht werden, auf dem Scheiterhaufen. Auch Füchse waren als dämonisch verschrien. Die Ausstellung im Hexenmuseum erklärt warum: «Vor allem in der Schweiz vermutete man, dass rothaarige Frauen sich nicht mehr gänzlich zurückverwandeln konnten und somit Hexen seien, die sich bei Vollmond in Füchse verwandeln.» Und das Talent der Eule, ihren Kopf um 270 Grad drehen zu können, beflügelte ebenso den früheren Aberglauben. Der Vogel wurde zum Hexenboten und sein Auftauchen galt als schlechtes Omen. 

Tatsächlich aber gilt die Eule als Vogel der Weisheit und soll schon im alten Griechenland der Göttin Athene zur Seite gestanden haben. Diese Auffassung entspricht jener der Hexen, denen die Verbundenheit mit Tieren auch heute noch sehr wichtig ist. «Wir glauben, dass jedes Tier eine Seele hat», sagt Meier-Spring. «Zudem würden wir nie ein Tier töten. Rituelle Blutopfer sind Hollywood, nicht die Realität.» Daher geht ein Teil der Einnahmen aus ihrem Hexenmuseum auch an den WWF, zwei Tierheime und an zwei Wölfe, die in einem Nationalpark in Indiana, USA, leben. 

Fliegt der Rabe dreimal übers Dach, stirbt jemand aus dem Haus
Ebenfalls als teuflisch galten die Kröten. Sie sollten mit ihren goldenen Augen direkt in die Seele der Menschen blicken können. So heisst es im Museum: «Als Haustiere der Hexen würden sie mit einem Glöckchen um den Hals und in rote Seide gekleidet gehalten. Im Kopf der Tiere befinde sich der Krötenstein, ein begehrter Talisman. Hexen sollten mit seiner Hilfe erkennen können, wer ihnen schaden wolle. Die Kröte wurde auch als Grossmutter des Teufels angesehen.» Dagegen seien Kröten im Volksglauben eigentlich «Glücksbringer eines Hauses und wurden früher als Dank mit Milch von einem silbernen Löffel gefüttert». Als Unglücksbote und damit als Vorhut der Hexen galt auch der Rabe. Flog er dreimal über dasselbe Dach, würde jemand aus dem Haus sterben, waren früher viele Menschen überzeugt. Sein krächzendes Rufen soll die Stimme Satans gewesen sein, und dass er auch Aas nicht verschmäht, machte seinen Ruf nicht besser. 

Ob an solchen Mythen etwas dran ist? Wer in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch Kröten oder schwarze Katzen sieht, sollte den Himmel zumindest etwas genauer im Blick haben. Um die Walpurgisnacht standesgemäss zu feiern, finden auch in der Schweiz sogenannte Ritualfeiern statt. Mit Meditation, Tanz, Gesang und einem die bösen Geister vertreibenden Feuer feiern Hexen die Ankunft des Sommers. Die Feiern sind geheim, nur für die Familie oder den Zirkel zugänglich. Das bekannteste, öffentliche Jahreskreisfest, woran auch viele Schweizerinnen teilnehmen, ist wohl das «Beltane Fire Festival» in Edinburgh, Schottland. Dieser heidnische Anlass soll übrigens der Auslöser für die Hexenverfolgung gewesen sein, da er der Kirche mit ihren Ritualen und Weissagungen ein Dorn im Auge war. So verbreitete sich im Zuge der Christianisierung schnell das Gerücht, dass es Hexen seien, die sich in dieser Nacht treffen, um sich mit dem Teufel zu vermählen.