E ine gute Geschichte wird nicht besser, je öfter sie erzählt wird. Die Geschichte von Tarzan ist so eine: Ein Junge von adligem englischem Blut wird nach dem Tod seiner Eltern von Affen aufgezogen und wächst zum Herrscher über den afrikanischen Dschungel heran. Hundertmal gesehen. Er verliebt sich in die hübsche Jane. Hundertmal gesehen. Irgendwann reist er  dann – freiwillig oder unter Zwang – nach England, in die Zivilisation, und sehnt sich zurück in den Dschungel. Hundertmal gesehen.

Der neue Film «Legend of Tarzan» startet vielversprechend anders. Tarzan heisst jetzt  John Clayton, hat den Lendenschurz gegen edlen Zwirn eingetauscht und fühlt sich ganz wohl im Viktorianischen England. Keine Sehnsucht nach Dschungelromantik. Und doch sind die Filmemacher nicht konsequent und zeigen Tarzans Kindheit in tagträumerischen Rückblenden. Zuweilen wirken sie wie ein Kompromiss für das Publikum, das sich den «klassischen» Tarzan wünscht.

Der Urwaldjodel kommt doch noch
Etwas Geduld braucht der Zuschauer, dann sieht er Tarzans Rückkehr nach Afrika auch so. Ein amerikanischer Revolverheld – weshalb auch immer der in London auftaucht – überredet ihn dazu, mit ihm und Jane in den Kongo zu reisen. Ja, in den Kongo. Die Geschichte spielt endlich nicht mehr irgendwo in Afrika, sondern in der belgischen Kolonie. Auch zeitlich wird sie verortet – wir befinden uns im späten 19. Jahrhundert. Der König von Belgien ist kurz vor dem Bankrott und sieht seine Rettung in den Diamantenminen und in der Versklavung der Kongolesen. Das gibt dem Film eine politische Dimension, die sich als zweischneidiges Schwert erweist.

Einerseits haucht sie der altbekannten Story neues Leben ein, gibt den Bösewichten eine Motivation; sie sind nicht einfach böse, sondern gierig. Andererseits führt sie dazu, dass die Leinwand eher einen Kriegsfilm als einen exotischen Wohlfühlfilm zeigt. Die belgischen Kolonialtruppen sind neben Tropenhelmen mit Gewehren, Pistolen und Kanonen ausgerüstet, legen die Eingeborenen in Ketten und lassen den Dschungel bluten. Der neue Tarzan ist kein Kinderfilm.

Die düstere Stimmung setzt sich auch unter dem Blätterdach fort. Die Gorillas zeigen sich von ihrer unberechenbaren Seite, greifen auch mal ihren Zögling Tarzan an, als er sich endlich wieder im Regenwald zeigt. Sie sind jedoch fantastisch animiert, genauso wie die Unzahl anderer Wildtiere – Löwen, Krokodile, Flusspferde, Gnus: Technisch ist der Actionstreifen brillant umgesetzt. Und John Clayton wird allmählich wieder zu Tarzan, dem Herrn über die Tiere. Spätestens hier merkt nicht nur er, was er vermisst hat, sondern auch der Zuschauer.

Als der Oberbösewicht Leon Rom Tarzans Geliebte Jane entführt, kommt die Urwald-Action so richtig in Schwung. Apropos Schwung: Wenn das 3-D-Kino für etwas erfunden wurde, dann für Tarzans Lianenschwingerei. Ein Augenschmaus. Und wenn Tarzan endlich seinen obligatorischen «Ooo-i-o-i-ooo»-Urwaldjodel brüllt, ist der Film definitiv das, was man von ihm erwartet. Auch wenn der Schrei beim ersten Mal noch etwas rostig klingt.

«Legend of Tarzan», Actionfilm, 110 Minuten, ab sofort im Kino.

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