Die Sonne scheint über dem Wallis, wärmt das Tal auf und lässt die Schneeberge erstrahlen. Auf seiner Facebook-Seite warnt Robin Métrailler vor der Lawinengefahr Stufe 4; «seid sehr vorsichtig und geniesst diesen schönen Samstag», lautet sein Fazit. Sein Beitrag wird innert 24 Stunden 134-mal geteilt, 26-mal kommentiert, 186-mal mit einem «Gefällt mir»-, «Wow»- oder «Traurig»-Emoticon markiert. 

So warm ist es an diesem Tag, dass der 17-Jährige die Jacke unter dem Arm trägt und im T-Shirt durch sein Dorf geht, Muraz im Unterwallis. In einem Café sitzen zwei ältere Männer an einem Tisch. Robin begrüsst den einen, dieser stellt den Jüngling sogleich seinem Bekannten vor: «Kennst du den? Das ist Monsieur Météo. Der beste Junge von Muraz.» 

Beim Klimawandel hält er sich raus
Die Spezialität von Métrailler sind lokale Vorhersagen für das Wallis und die Westschweiz. «Ich schaue mir die Prognosen von MeteoSchweiz und Quellen wie meteociel.fr an, vergleiche sie und passe sie den regionalen Gegebenheiten durch die Berge und den Genfersee an», erklärt er. Klar interessiert er sich auch fürs Wetter im Ausland, doch auf seiner Site thematisiert er es nur selten, etwa wenn ein starker Hurrikan auf die USA trifft. 

Ganz raus hält er sich aus den Diskussionen zum Klimawandel. Das würde so viele Kommentare generieren, dass er sie nicht mehr managen könnte, sagt er. Zudem halte er es nicht für seine Aufgabe als 17-Jähriger, Erwachsenen zu sagen, sie lägen falsch. Wenn ihn jemand danach fragt, sagt er aber seine Meinung: dass die Erwärmung nicht nur auf natürliche Schwankungen zurückgeht, sondern auch auf menschliche Aktivitäten. 

Mit mindestens einem Post am Tag informiert Robin Métrailler auf seiner Facebook-Seite über das Wetter:

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Einmal täglich werde er nach dem Klimawandel gefragt. Viel öfter kontaktieren ihn aber Menschen, die eine aktuelle Einschätzung der Wetterlage in ihrer Gemeinde oder ihrem Skigebiet möchten. An diesem Tag mit stabilem Sonnenschein ist es ruhig, er kriegt nur zwei Dutzend Anfragen. Am Nachmittag wird er noch auf die Piste gehen im Skigebiet Portes du Soleil, aber eigentlich hat er wilderes Wetter lieber. Gewitter, Stürme, Schneefall, das sind die Phänomene, die ihn interessieren. Und dies seit der frühen Kindheit. 

Er erinnert sich noch an ein Unwetter im Jahr 2006 – er war damals vier –, als wilde Bäche durch die Häuser der Nachbarn flossen. Ihn fesselten auch die Erzählungen seiner Grosseltern über vergangene Gewitter und Katastrophen, die ihnen als Bauern die Erträge zunichtemachten. Und besonders faszinierte ihn immer der Schnee. «Ich wache oft auf, wenn es in der Nacht zu schneien beginnt», erzählt er. «Schon als Kind schlief ich schlecht bei Schneefall.» 

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Métraillers Begeisterung fürs Wetter wuchs und wuchs während der Kindheit und Jugend, er begann Fachbücher und Zeitschriften darüber zu lesen, Websites zu konsultieren, eigene Beobachtungen zu machen. Und er redete darüber, so oft, dass es der Familie zuweilen zu viel wurde. Die Mutter ist Lehrerin, der Vater Anwalt, und auch die grossen Schwestern haben nichts mit dem Wetter am Hut. Immer wieder mal hiess es zu Hause: «Jetzt red doch nicht ständig übers Wetter.» Na gut, sagte sich Robin, dann teile ich meine Leidenschaft halt auf Facebook mit. Am 8. Juni 2017 eröffnete er die Seite «Météo Robin», tags darauf machte er einen ersten aktuellen Post zum Wetter, einen Hinweis auf den bevorstehenden Hitzetag. 

Die Überschwemmung als Durchbruch
Ernst genommen wurde er mit seinem Hobby damals noch nicht. «Freunde und Familie, alle, aber wirklich alle, haben sich über mich lustig gemacht», erzählt er. «Meine Schwestern sagten, das interessiere niemanden, ich solle damit aufhören.» Unbeirrt machte er weiter, auch wenn die Zahl der Abonnenten zuerst nur langsam anstieg. 

Dann kam jener Tag im August 2018, als Sion überschwemmt wurde. «Ich gebe zu, mich faszinieren speziell die Ereignisse mit grossen Schäden, denen der Mensch machtlos ausgesetzt ist», sagt Métrailler. Elf Stunden habe er an jenem Tag am Bildschirm seines Handys geklebt. Eine Bekannte sendete ihm ein Video zu, das zeigte, wie die Strässchen der Kantonshauptstadt zu Flüssen geworden waren. Er stellte es auf seine Facebook-Seite, und es wurde 200 000 Mal angeklickt. Von da an ging es richtig los, es kamen rund 1000 Abonnenten pro Monat dazu. Als Robin im Herbst die Zehntausender-Grenze knackte, publizierte die Regionalzeitung «Le Nouvelliste» einen Artikel über ihn. Inzwischen hat er über 18 000 Abonnenten.

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Es sei schon komisch gewesen, als ihn plötzlich wildfremde Leute erkannten, erzählt er. Das passiere ihm öfter als seiner Mutter, obwohl sie CVP-Grossrätin ist. Und es komme nicht nur im Wallis vor, einmal sei er zum Beispiel in Bulle FR von einem Fremden auf seine Wetter-Site angesprochen worden. Er freut sich über solche Begegnungen, kann er doch mit diesen Menschen über seine Leidenschaft sprechen. Via Facebook kommen allerdings so viele Anfragen, dass er nicht alle beantworten kann; bei unruhigem Wetter sind es oft mehrere Hundert pro Tag. Und das Ganze ist ja immer noch ein Hobby – das Gymnasium will er daneben nicht allzu sehr vernachlässigen, ist die Maturität doch Voraussetzung für die von ihm angestrebte Berufskarriere.

In dieser Hinsicht hat er eine genau Vorstellung: Nach der Matur geht es an die ETH, Studium der Meteorologie und Klimatologie. Danach zu MeteoSchweiz. Und dort ganz nach oben. Das Ziel: Direktor. «Es gibt Leute, die halten das für anmassend», sagt Robin Métrailler. «Ich selber sage, es ist ehrgeizig. Ich stecke mir gerne hohe Ziele. Natürlich weiss ich nicht, ob ich es schaffe. Es wird schwierig, da es diesen Posten nur einmal gibt.»

Erste Aufträge hat er schon
Bislang verfolgt Métrailler seinen Weg zielstrebig. Das Gymnasium besucht er auf Deutsch in Brig, als Schwerpunktfach hat er Italienisch gewählt, damit er zusammen mit seiner Muttersprache Französisch am Ende drei Landessprachen beherrscht. So seien die Chancen am besten, eine Anstellung bei MeteoSchweiz zu erhalten, sagt er. 

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Über einen Bekannten seines Vaters hat er bereits Kontakt zu seinem Wunsch-Arbeitgeber geknüpft. Jeweils in den Sommerferien fährt er zu MeteoSchweiz nach Genf und schreibt auch den Wetterbericht für den aktuellen Tag. Dieses Jahr wird er den grössten Teil der Sommerferien mit seiner Familie in den USA verbringen. Nicht auf Tornadojagd, wie er es sich gewünscht hätte, aber er hofft, zumindest das eine oder andere amerikanische Gewitter zu Gesicht zu bekommen. 

Erste Schritte, um sein Hobby zum Beruf zu machen, hat er bereits geschafft: Er liefert einer Walliser Versicherung sowie der regionalen Website «Tout un canton» Wetter­bulletins – gegen Bezahlung. Bislang finanziert er sich damit hauptsächlich den abendlichen Ausgang mit Freunden. Doch wenn er im Herbst 18 wird, wird er das Geld brauchen, um den Führerschein zu machen und sich ein Auto zu kaufen, mit dem er zu spannenden Wetterereignissen fahren will. 

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