Eine Anleitung für einen Kinobesuch ist normalerweise weder üblich noch nötig. Bei «Becoming Animal» (Tierisch werden) ergibt sie aber durchaus Sinn. Sollte die Wahl auf diesen Film fallen, empfiehlt der Text auf einem dazugehörigen Flyer Folgendes: Setzen Sie sich und legen Sie Ihre Hände auf Ihre Oberschenkel. Atmen Sie über die Nase ein, geniessen Sie, wie der Atem durch die Nase ausströmt und warten Sie, bis der neue Atem wieder einströmt. Spüren Sie, wie sich Ihr Körper in den Sitz schmiegt. Blenden Sie Ihre Gedanken und Sorgen aus und lassen Sie sich auf den Film ein, der Sie, sobald es dunkel wird, in eine andere Dimension der Natur entführen wird. 

Dieses ambitionierte Versprechen ist nicht zu hoch gegriffen. Vorausgesetzt, man hält sich an die vorherigen Empfehlungen. Das ist am Anfang gar nicht so einfach. Denn alles, was der Zuschauer zu sehen bekommt, ist ein wiederkäuender Elch – minutenlang. Am Ende des Films taucht das imposante Tier erneut auf und kommt einem nicht mehr so seltsam vor. Zu diesem Zeitpunkt ist längst klar, dass es sich bei «Becoming Animal» nicht um eine klassische Tier- oder Naturdokumentation handelt. Vielmehr wird der Kinobesucher Zeuge einer philosophischen Sinneswahrnehmung in der Wildnis des Grand Teton National Park im US-Bundesstaat Wyoming.

Der in Toronto geborene Schweizer Regisseur Peter Mettler und die schottische Filmemacherin Emma Davie ergründen zusammen mit dem amerikanischen Erkenntnis- und Umweltforscher David Abram das Verhältnis zwischen Mensch und Tier. Dabei begegnen sie Schnecken, Bisons, Raben und Fischen. 

Ein Filmtrip auf der «Droge» Natur
Über allem schwebt stets die Frage, wie weit die Technik des Menschen eine Distanz zur Natur geschaffen hat. Denn eines steht fest: Die zweibeinigen «human animals» pflegen anders als die Tiere schon lange keinen ungebrochenen Kontakt mehr mit ihrer sinnlichen Umgebung. Sie konzentrieren sich zum Beispiel lieber auf das Festhalten ihrer Umwelt mit ihren Smartphones, statt die Natur bewusst zu erleben.

Dass die Entstehung von «Becoming Animal» selbst auf moderner technischer Ausrüstung basiert, macht das Filmteam immer wieder auf ironische Weise deutlich. Etwa als ein Computer nicht vor einem Bären, sondern vor der geringen Distanz zu einem Baum warnt. Es sind aufheiternde Momente eines intensiven Filmtrips auf der «Droge» Natur. Ein Trip, der noch lange nach dem Kinobesuch anhält.

«Becoming Animal», Dokumentarfilm, 78 Minuten, Verleih: Outside the Box, ab sofort in ausgewählten Schweizer Kinos.

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