Spitzmaus, Lemur, Eichhörnchen, Katze, Seehund und Grönlandwal haben eines gemein: Sie und viele weitere Säugetiere verfügen über Tasthaare um den Mund oder an anderen Körperstellen. Dass diese auch Vibrissen oder Sinushaare genannten Haare ein «mächtiges Tastorgan» darstellen, hielt bereits Stella Burnham Vincent 1912 in ihrer Dissertation fest. Die Forscherin hatte Ratten mit und ohne ihre Schnauzen-Tasthaare durch verschiedene Labyrinthe geschickt und festgestellt, dass sie zwar auch ohne Tasthaare ihren Weg fanden – aber mit diesen waren sie schneller unterwegs, hielten ihr Gleichgewicht besser und lernten den Weg zum Ziel eher.

Unterdessen haben zahlreiche weitere Studien aufgezeigt, wie wichtig die Tasthaare für verschiedene Säugetierarten sind. Grashüpfermäuse ohne Tasthaare etwa brauchen länger, um eine Grille zu erbeuten. Seehunde benötigen in trübem Wasser mehr Zeit, um einen Fisch zu fangen. Und Baumwollratten, die normalerweise gute Schwimmer sind, bekunden ohne ihre Tasthaare plötzlich Mühe, ihre Nase beim Schwimmen konstant über Wasser zu halten. Inzwischen ist auch klar, dass Ratten dank der Vibrissen die dreidimensionale Form und Oberflächenstruktur von Objekten erkennen können.

Mäuseroboter tastet sich durch Nebel
Was ein Tasthaar von einem normalen Körperhaar unterscheidet, ist nicht nur seine Länge und Dicke, sondern vor allem seine deutlich komplexer aufgebaute Wurzel, ein sogenannter Follikel-Sinus-Komplex. Dieser liegt in einer Kapsel aus Bindegewebe, die gut durchblutet und mit verschiedenen Rezeptoren ausgestattet ist, die jede Berührung des Haarschafts registriert und die Information ans Gehirn weiterleitet. Oft lassen sich Tast­haare auch durch Muskeln aktiv bewegen, sodass sie Oberflächen regelrecht abtasten können.

Genau das kann auch der sogenannte «Shrew­bot», ein Roboter nach dem Vorbild der Etruskerspitzmaus, den Forschende der Universitäten Sheffield und Bristol entwickelt haben. Etwa so gross wie ein kleiner Hund und mit Rädern versehen, die ihn in alle Richtungen fahren lassen, hat «Shrewbot» einen beweglichen Kopf mit einer Art Schnauze. Diese ist mit 18 Tasthaaren ausgestattet, die sich jede Sekunde mehrmals hin und her bewegen. Biegt sich ein Tasthaar bei Berührung, wird das Signal weitergeleitet und ein Computer erstellt ein dreidimensionales Bild der Umgebung. Als künftige Anwendung von Robotern mit Tasthaaren sehen die Forscher Einsatzgebiete mit schlechten Sichtverhältnissen. So könnten sie künftig etwa Feuerwehrleuten bei Grossbränden Orientierung bieten oder auf dem Meeresgrund nach Rissen in Rohren suchen.

Die Bürste spürt, ob es schon sauber ist
An einer weiteren Anwendung künstlicher Tasthaar-Sensoren tüfteln Forscher der Technischen Universität Ilmenau in Deutschland: Die Gruppe um Hartmut Witte möchte eine intelligenten Bürste entwickeln. Diese soll dank integrierter Tast-Borsten gleich während des Putzens spüren, wie sauber die zu reinigende Oberfläche schon ist und wie stark und wie lange sie noch geschrubbt werden muss. Oberflächen würden so sauber, ohne zu stark beansprucht und abgenutzt zu werden. «Wir denken weniger an Zahnbürsten, eher an Bürsten in Industrieprozessen», sagt Thomas Helbig, der für das Projekt verantwortliche Mitarbeiter.

Noch ist es ein langer Weg. «Im Moment sind wir noch tief in den Grundlagen», erklärt Helbig. So studieren die Forscher die Tasthaare von Ratten ganz genau – deren Geometrie, Oberflächenstruktur und physikalische Eigenschaften. Weiter modellieren sie im Computer das Biege- und Schwingverhalten und wie stark beispielsweise ein Tasthaar einen Reiz weiterleitet, wenn es an verschiedenen Stellen berührt wird. Zudem führen sie bereits Versuche mit künstlichen Tasthaar-Sensoren durch, die sie im 3-D-Drucker herstellen. Den ersten Prototyp einer intelligenten Bürste mit tastenden Borsten möchte Helbig bis in zwei Jahren entwickelt haben. 

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