Die Dramaturgie ist hollywoodreif. Ein unglücklicher Umstand, der sich später als Startschuss für die Erfüllung eines Traumes herausstellen soll; erbarmungslose Rückschläge, die sich mit emotionalen Erfolgsmomenten abwechseln; Zweifel, die mit einer gehörigen Portion Optimismus weggewischt werden, und ein Happy End, das fast zu schön ist, um wahr zu sein. Die Geschichte des Ehepaars Molly und John Chester scheint der Feder eines Kitschautoren entsprungen zu sein. Geschrieben hat sie jedoch das Leben. 

Aber der Reihe nach: Die Chesters müssen wegen ihres laut bellenden Hundes Todd ihre Wohnung in Los Angeles aufgeben. Statt mit diesem Umstand zu hadern, versuchen sie eine Vision zu verwirklichen, die ihre Freunde als Spinnerei abtun: die Gründung eines traditionellen Bauernhofs mit einer überwältigenden Vielfalt an Pflanzen, Obstsorten und glücklichen Tieren. Die Sache hat allerdings zwei entscheidende Haken. Denn das Paar hat nicht die geringste Ahnung von Landwirtschaft, und die erworbenen 81 Hektar in den kalifornischen Hügeln scheinen totes Kapital zu sein, weil der Boden unfruchtbar ist.

Ausgerechnet der verschrobene Berater Alan York sorgt dafür, dass der grosse Traum nicht zu schnell zerplatzt, sondern mehr und mehr Formen annimmt. Der Experte für biodynamische Landwirtschaft steckt alle Mitarbeiter mit seinem Enthusiasmus an und lässt sich auch nicht aus der Ruhe bringen, als der Aufbau eines Bewässerungs- und Kompostsystems bereits das komplette Jahresbudget auffrisst. Tatsächlich erweisen sich diese Schritte als Schlüssel zum Erfolg. Was der krebskranke York nicht mehr erlebt: Seine Prophezeiung vom sich irgendwann selbst regulierenden Ökosystem tritt nach ein paar Jahren ein.

Spannungen zwischen Farm und Film
Der preisgekrönte Filmemacher John Chester hat den Aufbau seines Lebenstraumes mit der Kamera dokumentiert und ist dabei an seine Grenzen gestossen, wie er offen zugibt. «Fast acht Jahre lang haben wir jeden Tag gedreht. Es gab also eine ständige Spannung zwischen den Bedürfnissen der Farm und des Films», sagt Chester. Der Lohn dieser Strapazen hat sich doppelt ausgezahlt. Neben dem florierenden Landwirtschaftsbetrieb ist mit «Unsere grosse kleine Farm» (Originaltitel: «The Biggest little Farm») eine Kinoproduktion entstanden, die die Seele streichelt und dem Zuschauer eindrücklich die Weisheit der Natur vor Augen führt.

Selbst vermeintliche Plagen wie Stare und Käfer, die zu gewaltigen Einbussen der Obsternten führen, oder Kojoten, die unzählige Hühner reissen, erweisen sich mit der Zeit als nützlich, indem sie andere Schädlinge dezimieren. Alle leisten in der grossen Vernetzung des Lebens ihren Beitrag. Zwar müssen die Chesters einsehen, dass es nicht möglich ist, in vollkommener Harmonie mit der Natur zu leben, doch ihre Farm ist ein Musterbeispiel nachhaltiger Landwirtschaft. Und der dazugehörige Dokumentarfilm in­spirierender als jeder Hollywoodstreifen. 

«Unsere grosse kleine Farm», 91 Minuten, Verleih: Impuls Pictures, ab sofort im Kino.

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