Jetzt müssen alle anpacken. Jimpa will nämlich nicht so recht. Da steht er, zwischen Stall und Klauenstand, der Yakbulle. Fast ein Würfel, so breit wie lang. Und er will irgendwie weder vor noch zurück. Hinten schieben die Lehrlinge Adrienne und Thibaud, vorne am Strick zieht Anita Hirschi mit aller Kraft. Sie lacht. «Wenn er jetzt nachgibt, sitz ich auf dem Hosenboden.»

Ein paar Minuten und ein paar sanfte Steckenzwicke auf den Yakpopo später lässt sich Jimpa endlich in den Klauenstand bewegen. Links und rechts ist nicht mehr viel Platz übrig, aber so stoisch der Bulle eben auf dem Beton stand, so ruhig lässt er jetzt die Pediküre per Schleifscheibe über sich ergehen. Es tönt wie beim Zahnarzt und riecht nach verbrannten Haaren, aber Hirschi hat erstmal Ruhe und beginnt zu erzählen.
«Damit ich hier oben Land kaufen durfte, musste ich mir entweder Kühe oder eine Hektare Himbeeren zulegen.» Dass es keine Himbeeren wurden, ist der Tierliebe von Hirschi geschuldet. Und dass es keine gewöhnlichen Kühe wurden, vielleicht ihrem Exzentrismus. Denn Hirschi hat hier oben in Lamboing BE, wo der Röstigraben ein Hügelzug ist, der im Chasseral gipfelt, mehr als einfach nur einen Bauernhof zusammengestiefelt.

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Mehr Platz zum Schlittenfahren
Angefangen habe es mit Schlittenhunden, sagt die blonde Bielerin in der schwarzen Jeans und dem schwarzen Langarmshirt, dessen Aufschrift schon verrät, wie der Betrieb hier oben heisst: «Mini Zoo Zahir». Aber an so etwas dachte sie damals noch lange nicht. «Ich bin in einer tierliebenden Familie aufgewachsen, war immer die, die über die Sommerferien die Klassentiere mit nach Hause nehmen durfte.» 

Hirschi schmunzelt, als sie verrät: «Ich wusste genau, dass die Lehrerin sie nachher nicht zurückhaben wollte, habe es meiner Mutter aber nie verraten.» Einen Hund allerdings durfte Hirschi nie haben. Bis sie einen geschenkt bekam. «Das war ein Drama daheim, als ich mit einem Schlittenhund ankam.» Zum Glück war Hirschi da schon in der Handelsschule. Sie zog mit ihrem damaligen Partner bald darauf hoch auf das Plateau über dem Bielersee, wo es genug Schnee und Platz zum Üben gab, besorgte sich im Tierheim noch ein paar weitere Hunde und fuhr begeistert Schlittenhunderennen.

Ich war immer die, die über die Sommerferien die Klassentiere mit nach Hause nehmen durfte.

Anita Hirschi

Dabei sollte es nicht bleiben. Auf ihren Ausfahrten und Spaziergängen durch den Berner Jura begegnete sie immer wieder jungen Freibergerpferden, die für die Fleischproduktion gezüchtet wurden. «Ich kannte diese Fohlen, sie taten mir extrem leid.» Also verhandelte sie mit den Bauern und kaufte ein paar der Pferde zum Fleischpreis, um sie vor dem Schlachter zu bewahren. 

Nun, beritten unterwegs, entdeckte sie den alten kleinen Bauernhof etwas oberhalb von Lamboing. «Ich hab mir oft gedacht, das Haus hier oben will ich.» Natürlich kam es auch so. 1997 war es, als sie per Handschlag zur neuen Besitzerin des Hofes wurde. Zu den Hunden und Pferden gesellten sich bald auch Kleintiere ums Haus. «Ich hatte plötzlich Platz. Dann haben Bekannte von mir gemeint, sie wollen ihre Hühner nicht mehr, also nahm ich sie auf. Andere überliessen mir ihre Meerschweinchen.»

Trekking mit Yaks geht nicht gut
Es ging nicht lange, bis Hirschi einen landwirtschaftlichen Kurs absolvierte und Land dazukaufte, damit mehr Tiere Platz hatten – hier kommen auch die Kühe ins Spiel; ursprünglich versuchte es Hirschi mit Hochlandrindern, heute ist es die fünfköpfige Yakherde, die verwaltungstechnisch als Rindvieh gilt.

Um Spenden anfragen ist für mich betteln, das kann ich nicht.

Anita Hirschi

Die Yaks hätten eigentlich einmal Trekkingpartner für Ausflüglergruppen abgeben sollen, aber das war nicht so einfach, erinnert sich die heute 52-Jährige: «Wenn die einmal am Fressen sind, kannst du alleine spazieren gehen, dann bringst du die nicht mehr vom Fleck.» Also kamen Kamele dazu. Und Ziegen. Bald auch Schafe und Schweine. Und ein kleines Arabergestüt, «Zahir», das dem ganzen Betrieb den Namen leiht. Von einem Zoo schliesslich übernahm sie ein Luchspärchen, das dort einem Leoparden weichen sollte. Ein anderer Zoo gab Emus ab, ein weiterer Kattas. Irgendwann konnte Anita Hirschi nicht mehr anders als einsehen: Sie hat hier oben selber einen kleinen Zoo.

Heute bietet sie Kindergeburtstage, Ponyreiten und Trekkings an, aber auch Coachings für Kinder mit Asperger-Syndrom; Temposünder packen bei Hirschi mit an, um ihre Verkehrsbussen abzuarbeiten und drei Lernende werden zu Wildtierpflegern ausgebildet. Zudem ist der Mini-Zoo jeden Nachmittag offen für jedermann, der einen «Fünfliber» dabei hat – zumindest zu Nicht-Corona-Zeiten.

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Löcher im Kattanetz
All das stemmt Anita Hirschi, zusammen mit ihrem Partner und den Lernenden, während sie nebenbei noch einem 100-Prozent-Job in der Pharmabranche nachgeht. «Eigentlich hätte ich das alles gerne selbsttragend gemacht», sagt sie selber. Eine Weile lang habe sie auch versucht, sich mit dem Zoo selber zu finanzieren. «Aber irgendwann hatte ich den ‹Gagg in der Hose›.» Was, wenn ein Gehege repariert werden muss? Was, wenn ein Tier ins Spital muss? «Letztes Jahr allein musste ich innert vier Monaten 13’000 Stutz Tierarztkosten zahlen – allein für zwei Tiere, die krank waren.»  

Anders als viele andere Kleinzoos finanziert sich Hirschi also selber. «Ich habe extrem Mühe damit, um Spenden anzufragen», sagt sie. «Das ist für mich betteln, das kann ich nicht.» Dabei sieht sie selber immer wieder, wie gut sie einen Zustupf brauchen könnte. Hier zum Beispiel, im Kattagehege, wo Hirschi nun steht und eine Handvoll Weinbeeren feilhält. Die Halbaffen mit dem flauschigen, schwarz-weiss gestreiften Schwanz hüpfen ohne Scheu auf die Äste neben Hirschi. Einer stützt sich auf ihrer Schulter ab, stibitzt ihr ein paar Rosinen und verdrückt sie eilig. Hirschi zeigt hoch. «Das Netz hier hat mal dem EHC Biel gehört. Das hat im alten Eisstadion die Pucks hinter dem Tor aufgefangen.» 

Jetzt hat es Löcher. «Letzthin ist einer der Kattas auf der Vogelvoliere gesessen und hat an einem Ast geknabbert. Gottseidank sind die Tiere familientreu und wir konnten sie wieder zusammenbringen. Aber eigentlich ist das kein Zustand.» Ein neues Netz wäre dringend nötig, aber eben, Anita Hirschi mag nicht betteln. Dabei würde in Biel unten bestimmt noch irgendwo eins herumhängen – beim Eishockey wird es ja zurzeit nicht gebraucht.