Gleich am Anfang der Ausstellung werden die Besucher mitgenommen auf eine eigentümliche Reise. Man unternimmt einen gemächlichen Ritt zwischen Grasbüscheln und Zweigen hindurch, vor sich stets zwei spitze, schuppige Ohren. Man hört Raschel- und Kratzgeräusche, allmählich wird das Blickfeld unscharf, es ruckelt hin und her und man scheint in der Erde zu wühlen. Auf einer grossen Leinwand nimmt man die Sicht eines Gürteltiers ein, auf dessen Rücken der Videokünstler Sam Easterson eine Kamera befestigt hat.

Während Fotografien in den Medien meist einen Blick von aussen auf Tiere werfen, ermöglicht diese Arbeit einen Wechsel der Perspektive. Obwohl: Wie genau ein Gürteltier seine Umgebung wahrnimmt, wird uns auch so verborgen bleiben. Dennoch ermöglicht das Kunstwerk eine Annäherung ans Ziel, das sich das Fotomuseum Winterthur gesetzt hat: Mit der Ausstellung «Beastly/Tierisch» will die Institution dazu anregen, die Beziehung zwischen Mensch und Tier neu zu denken.

Die Kuratoren Duncan Forbes, Matthias Gabi und Daniela Janser handeln unterschiedlichste Dimensionen der Wahrnehmung ab. Einige Darstellungen sind eher ungewöhnlich: Die Betrachter finden sich übergrossen Körperteilen von Schnecken gegenüber, deren glänzender Schleim geradezu aus den Bildern herauszuquellen scheint. Die Maulwerke wirken in der vergrösserten Nahansicht grotesk. Ebenso die Pferdeschnauze, die isoliert vom Körper am Halfter knabbert. 

Auf einem anderen Foto krabbeln Ameisen und andere Insekten über Landschaften mit Überresten der menschlichen Zivilisation. Den Betrachtern wird deutlich vor Augen geführt: Das Getier wird die Menschheit über Jahrmillionen überdauern. Tiere waren lange vor uns und werden sein, wenn niemand sie mehr fotografiert, zeichnet, streichelt oder sonstwie benutzt.

Peinliche Schmuserei
Ein Schmunzeln dürfte die 3-D-Animation von Nicolas Deveaux hervorrufen: Eine Reihe Giraffen stolziert, die Häupter hoch erhoben, in ein Hallenbad und vollführt dort waghalsige Sprünge. Die Tiere stürzen sich von den Sprungbrettern, zeigen athletisch perfekte Saltos und tauchen kopfüber ins Wasser ein. Zum Schluss verbiegen sich die Giraffen anmutig vor ihren unsichtbaren Zuschauern, senken ihre langen Hälse zum Bassin herab und trinken daraus. Die Darbietung wirkt überraschend echt und ziemlich absurd. 

Die Ausstellung setzt ihre Betrachtenden dem Spannungsfeld zwischen der Verniedlichung von Tieren und deren brutaler Behandlung aus. Um eine Instrumentalisierung handelt es sich in beiden Fällen. Einerseits gibt es da Fotos einer Festgesellschaft, die sich an einem jungen Schweinchen mit Mäscheli um den Hals ergötzt und es mit einer Milchflasche füttert. Oder eine ganze Serie kitschiger Bilder von jungen Hündchen und Kätzchen, die eine philosophische Lebensweisheit illustrieren. Geradezu erschaudern lassen die peinlich nahen Aufnahmen einer Frau, die mit ihrer Katze schmust; die Mimik in sexueller Erregung verzerrt, der Speichel scheint geradezu von den Fotografien zu triefen.

Absolut nervtötend wirkt die sich alle paar Sekunden wiederholende Melodie, die von einem rosaroten, aufziehbaren Plüschhäschen in einem Kurzfilm ausgeht. Ist es die Absicht der Ausstellungsmacher, dass sich der Sound über die ganzen Räume verbreitet? Kitsch und Künstlichkeit als alles dominierender Aspekt – ist es das, was man dem Besucher einhämmern will? Es ist nicht die einzige Arbeit, die sich einem nur halbwegs kunstgewohnten Publikum nicht vollständig erschliesst. Auch bei der texanischen Landschaft aus der Vogelperspektive von Mishka Henner lassen einen die Ausstellungsmacher ziemlich allein. Was hat das mit Tieren zu tun? Der Hinweis, dass es sich bei den braunen Parzellen um eine Rindermast handeln könnte, ist im Titel versteckt: «Tascosa Feedyard, Bushland, Texas». Etwas gar offensichtlich scheint jedoch der grosse Spiegel mit dem Abbild eines jungen Affen. «Portrait des Künstlers» – lautet der Titel.

Tiere machen selber Kunst
Eines der eindrücklichsten Werke ist das Schwarz-Weiss-Video von Christoph Brünggel und Benny Jaberg. Während gut fünf Minuten sieht man Vogelschwärmen zu, die wunderbare Muster fliegen – Choreografien, wie sie eine Ballettinszenierung nicht harmonischer und ausgeklügelter hinkriegen würde. Der Kurzfilm verblüfft in seiner Einfachheit und verdeutlicht, dass die Tierwelt auch ohne das Zutun von Künstlern bereits grossartige Kunst bietet. Doch seit wir Menschen mehr in Bildschirme schauen als in den Himmel, braucht es Museen, damit wir diese Darbietungen wieder neu entdecken.

Im letzten Raum, der sogenannten Galerie, stellen die Ausstellungsmacher den Kunstwerken Tierdarstellungen gegenüber, wie sie uns vertraut sind. Aneinandergereihte Postkarten, Tierbilder aus dem Internet, YouTube-Filmchen und eine Sequenz des Playstation-Games Afrika, in dem Fotojournalisten möglichst gute Safari-Bilder schiessen müssen. 

Wer nun erschöpft ist, lässt sich in die gemütliche Sitzecke sinken und blättert ein wenig in den aufliegenden Zeitschriften und Büchern mit weiteren Tierbildern. Natürlich fehlt hier auch die «Tierwelt» nicht.