Thule und Tuvalu – zwei Orte, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Thule, in Grönland gelegen, ist die nördlichste Ortschaft der Erde. Der Inselstaat Tuvalu liegt auf Korallenriffen mitten im pazifischen Ozean. Die beiden Orte verbindet ein klimatisches Drama: Die Erderwärmung raubt ihnen ihre Existenzgrundlage.

Die Menschen im kalten Thule leben seit Generationen vom Jagen auf dem Eis. Selten ergreifen die Männer dort andere Berufe, denn das Fleisch und dessen Verkauf sichert das Leben der Familien. Doch unaufhaltsam schmilzt den Nachkommen eines Inuit-Volkes das Eis davon. Und so werden die Monate, in denen die Männer auf dem Eis Wale oder Robben jagen können, immer weniger. Gefror das Meer einst im Oktober zu, geschieht das heute frühestens im November. Die Jäger sind gezwungen, ihre Jahrhunderte alten Traditionen aufzugeben und sich nach neuen Lebensgrundlagen umzusehen.

Das schmelzende Eis bedroht auch Tuvalu. Der höchste Punkt der Inseln liegt nur vier Meter über dem Meeresspiegel, der beständig ansteigt. Am Strand von Tuvalu liegen entwurzelte Palmen, es sieht aus, als sei ein Sturm über die Atolle gefegt. Eher früher als später werden die Tuvaluer ihre Heimat verlassen müssen.

Durch das Schicksal verbunden
Soweit die Fakten. Man kennt sie schon, die Bilder abgelegener Flecken Erde, die schwer an der von Industrienationen verschuldeten Hypothek zu tragen haben. Von Gunten aber entschied sich, zwei scheinbar völlig unzusammenhängende Orte in eine unmittelbare Verbindung zu bringen und ihnen ein Gesicht zu geben. Er gewann das Vertrauen der Menschen in Thule und Tuvalu und begleitete sie ein Stück auf ihrem archaischen Leben, das sie so bald nicht mehr werden führen können.

Da ist etwa das Paar Takuao und Patrick Malaki, sie ist Lehrerin, er Fischer und Kanubauer. Die beiden wissen, in Tuvalu liegt keine Zukunft. Aber der Gedanke, die Heimat, in der man mit den Gezeiten lebt und sich von dem ernährt, was die Insel hergibt, zu verlassen, treibt ihnen die Tränen in die Augen. Sie spare so viel Geld wie möglich, um ihren Kindern die Ausreise und eine Zukunft im Ausland zu ermöglichen, sagt die 44-jährige Takuao. «Ich selber will hier sterben.» Wie viele Tuvaluer schwanken auch die beiden zwischen dem Wissen um die Realität und der Hoffnung auf ein Einsehen Gottes.

Bester Schweizer Film am Visions du Réel
Von Gunten konnte im Mai für «ThuleTuvalu» am Dokfilmfestival Visions du Réel in Nyon die mit 15'000 Franken dotierte Auszeichnung für den besten Schweizer Langfilm entgegen nehmen. Die Jury sagte damals über das Werk, es vereine «alle Qualitäten eines grossen Dokfilms». Der Regisseur kommentiert nicht, aber Einspielungen zu Entscheidungen der grossen Industrienationen den Klimawandel betreffend sprechen Bände. Welche Schönheit mit der Eislandschaft und den Riffen im Ozean verloren gehen wird, zeigt Kameramann Pierre Mennel in eindrucksvollen Naturaufnahmen.

Elegant gestaltet sind auch die Schnitte und Übergänge: Waren noch Augenblicke zuvor Eis und Schnee im Bild, ist das Meer plötzlich grünlich statt eisblau, die Fischer im Wasser tragen nun kurze Hosen – der Weg von Thule in den Süden Tuvalus ist scheinbar kurz.

Denn obwohl tausende Kilometer sie trennen, einen die beiden Orte die Trauer um den Verlust ihrer Heimat. Dass die Veränderungen ihrer Leben nur Vorboten einer neuen Welt sind, vermochte die Industrienationen bisher kaum aufzurütteln.

Deutschschweizer Kinostart: 30. Oktober

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