Herr Gruber, Sie schreiben in Ihrem Buch «Kuscheltierdrama», dass unsere Haustiere oft leiden. Was ist das Problem?
Wir vermenschlichen Tiere immer mehr, das kann gefährlich werden. Werden Tiere zum Ersatz für fehlende Sozialpartner, bekommt ihnen das nicht immer gut. Grosse Sorgen bereiten uns auch die Folgen von Zucht auf Schönheit oder Extravaganz, wenn diese auf Kosten der Tiergesundheit gehen. Leider sehe ich als Pathologe viel zu viele Dramen, wenn Haustiere zu Kuscheltieren werden.  

Wie kann zu viel Tierliebe ein Drama sein?
Manchmal werden bei zu engem Kuscheln gefährliche Erreger übertragen. Typische Beispiele sind Chinchillas und Kaninchen, für die zu enger Körperkontakt tödlich enden kann. Ein Mädchen kam mal mit ihrem toten Chinchilla zu mir. Mir fiel auf, dass das Mädchen ein kleines Fieberbläschen an der Lippe hatte. Wenn sie also mit ihrem Chinchilla viel gekuschelt und geschmust hat, kann sie ihn angesteckt haben. Und mit menschlichen Herpesviren kann das Immunsystem eines Chinchillas nicht umgehen. 

Zu viel Kuscheln kann auch zu absurden Symptomen führen. Beispielsweise zu Schrumpfhoden, wie Sie schreiben. 
Ja, sowas sehen wir leider öfter, das ist wirklich kurios. Es ging um einen Rottweilerrüden namens Haro, der in sehr schlechtem Zustand zur Tierärztin kam. Haro zeigte kein Interesse mehr an Hündinnen, seine Hoden waren geschrumpft und er verlor sein Fell. Die Tierärztin war ratlos und schickte mir eine Hautbiopsie, um den Haarausfall zu klären.  

Was war das Problem?
Ich fand heraus, dass er eine schwere Hormonstörung hatte. Die Frage war, weshalb? Dank etwas Detektivarbeit fand ich heraus, dass die Besitzerin ihren Haro abends gerne mit ins Bett nahm, um mit ihm intensiv zu kuscheln. Weil sie in den Wechseljahren war, strich sie sich vorher mit Östrogen-Creme ein. Haro mochte diese Creme und leckte sie ab. Dadurch nahm er eine hohe Dosis des weiblichen Hormons auf. Haro litt an einer Östrogenvergiftung!  

Konnte man ihm helfen?
Und wie! Nachdem das abendliche Kuscheln im Bett unterbunden wurde, erholte er sich und wurde wieder zum Casanova der Nachbarschaft. 

Die wenigsten schmusen mit ihren Hunden so intensiv im Bett oder küssen ihr Haustier ab. Wo gibt es sonst Probleme?
Bei der Ernährung. Es liegt ja im Trend, auf Fleisch zu verzichten. Seinem Hund oder noch schlimmer seiner Katze eine vegetarische oder vegane Ernährung aufzuzwingen, kann verheerende Folgen haben. Hunde könnte man theoretisch vegetarisch ernähren, man muss aber dabei sehr vieles beachten und bestimmte Stoffe zusätzlich ergänzen, damit es zu keinen Mangelerscheinungen kommt. Für Katzen kann eine vegetarische Ernährung den Tod bedeuten. 

Das Haustier für Kinder schlechthin ist das Meerschweinchen. Was gibt es da zu beachten?
Meerschweinchen sind Fluchttiere. Das heisst, dass sie schnell gestresst sind, wenn man mit ihnen zu viel kuschelt oder sie zum Beispiel von oben aus dem Käfig nehmen will. Sie können dann Todesangst haben, weil sie glauben, dass sie von einem Raubvogel gepackt werden. Besser nimmt man Filzhöhlen oder ein Heukistchen, in denen man die Tiere behutsam und etwas von der Seite hochnimmt. Dann darf man sie auch vorsichtig anfassen und testen, ob sie das auch selbst mögen. 

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass nicht nur wir für unsere Haustiere zur Gefahr werden können, sondern auch die Haustiere für uns. Wo müssen wir vorsichtig sein?
Bei der Hygiene. Man sitzt zum Beispiel am Tisch, isst sein Brötchen, streichelt zwischendurch den Hund, und isst sein Brötchen weiter. Das ist eine schlechte Idee. Im Fell des Hundes können sich Eier von vielen Parasiten befinden: von Darmparasiten, Spulwürmern, Hakenwürmern und natürlich des vielgefürchteten Fuchsbandwurms. Der ist nicht zu unterschätzen. Den Fuchsbandwurm holt man sich eben oft nicht bei Beeren im Wald, sondern von seinem Haustier. 

Die Lösung ist wohl kaum, unsere Hunde und Katzen nicht mehr zu streicheln?
Das wäre übertrieben. Wenn man sich nach dem Streicheln die Hände wäscht oder der Hund sicher entwurmt ist, ist man schon auf der sicheren Seite. 

Sie haben selber einen Hund. Was sind Ihre wichtigsten Regeln im Umgang mit ihm?
Ich habe einen 13 Jahre alten kastrierten Mischlings-Rüden, den wir aus dem Tierheim holten. Mir ist wichtig, das Tier Tier sein zu lassen und es seiner Natur entsprechend zu behandeln. Ich mag meinen Hund sehr, aber ich liebe ihn nicht wie einen Menschen und begegne ihm auch nicht auf Augenhöhe: Er weiss, wer der Chef ist. 

Sie kritisieren auch sogenannte Qualzüchtungen, die einigen Hunderassen das Leben schwer machen. Bei welchen Rassen hat der Mensch besonders gepfuscht?
Zucht auf vermeintliche Schönheit, Extravaganz oder menschenähnliche Köpfe bereitet uns Tierärzten und Tierpathologen zunehmend Sorgen. Bei extrem kurznasig gezüchteten Möpsen oder Französischen Bulldoggen zum Beispiel. Ihnen wurde die Nase so kurz gezüchtet, dass sie bei kleinster Belastung oder Aufregung nicht mehr richtig atmen und nur noch röcheln, im Extremfall sogar daran ersticken. Auch besonders grosse Hunderassen wie die Deutsche Dogge oder der Irische Wolfshund haben aufgrund ihrer herangezüchteten Grösse oft orthopädische Schäden und ein erhöhtes Risko für Knochenkrebs. 

Neben Hunden sind Katzen als Haustiere beliebt. Wie geht es ihnen bei uns?
In der Regel besser. Sie sind weniger domestiziert und extrem gezüchtet. Anders als Hunde sind Katzen auch eigenwilliger und geben schnell zu verstehen, wenn ihnen etwas nicht passt. Ich glaube, dieses Selbstbewusstsein fasziniert Menschen an den Katzen. Viele Katzenhalter wünschen sich selbst so einen starken Charakter, wie ihn ihre Katzen haben.  

Sie haben im Jahr rund tausend Tiere auf dem Seziertisch. Machen Sie diese Fälle betroffen?
Manche sind unvermeidbar und Routine, denn die meisten Menschen gehen ja gut mit ihren Tieren um. Aber andere Fälle machen mich nachdenklich. Deshalb habe ich auch das Buch geschrieben und möchte somit den Tierhaltern ein paar Tipps und Tricks mit auf den Weg geben, damit es nicht zum Kuscheltierdrama kommt. 

Achim Gruber ist Leiter der Tierpathologie an der Freien Universität Berlin und seit sechs Jahren Forschungsdekan der tiermedizinischen Fakultät. In den Fokus der Öffentlichkeit geriet der 53-Jährige im Jahr 2011, als er den berühmten Eisbären Knut des Berliner Zoos nach dessen Tod untersuchte. Gruber ist verheiratet, Vater von drei Kindern und lebt in Berlin. 

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Achim Gruber: Das Kuscheltierdrama
1. Auflage 2019
Gebunden, 301 Seiten 
Verlag: Droemer, ca. 24 Franken 
ISBN: 978-3-426-27781-2