Sobald sich ein anderer Welpe aus der Welpenspielgruppe Hündin Luna nähert, schreitet ihre Besitzerin forsch ein: «Luna, Fuss!» Um die junge Hündin vor möglichen Verletzungen zu schützen, ruft die Halterin ihren Welpen ständig aus dem Spiel. Auch zu Hause ist sie vorsichtig. Selbst Monate später als Junghund darf Luna keine Stufe allein erklimmen.

Sogenannte Helikopter-Halter (siehe Box) wie Lunas Besitzerin gibt es mittlerweile viele. «Meist handelt es sich um Frauen um oder über vierzig und vielfach um deren ersten Hund», sagt Manuela Albrecht, Hundetrainerin und -psychologin aus Wittenbach SG. In ihrer Welpenstunde beobachtet sie zusehends mehr überbehütendes Verhalten. «Schon im Welpenkindergarten wird der Hund gegenüber Artgenossen verteidigt. Jeder Hund wird als potenzielle Gefahr gesehen.» Mit der Hinwendung zum Tier meinen es solche Halter häufig zu gut. «Der Hund ist zumeist anstelle des Kindes getreten. Die Angst, ihn zu verlieren, ist gross. Denn heute ist der Hund ein vollständiges Familienmitglied und teilweise sogar Lebenspartner.» 

Wie viel Heli-Halter sind Sie?

> Reagieren Sie auf jedes ausser-gewöhnliche Geräusch Ihres Hundes? Sind Sie dabei schnell verunsichert?

> Meiden Sie Hundebegegnungen?

> Ändern Sie oft die Erziehungs-methode, wenn die vorherige nicht greifen will?

> Knurrt ein anderer Hund den Ihrigen an, bevorzugen Sie ein sofortiges Eingreifen anstelle
von Beobachten?

> Muss Ihr Hund die ihm beigebrachten Signale zwingend beherrschen?

> Wird Ihnen mulmig, wenn ein fremder Hund auf den Ihren zukommt?

> Tolerieren Sie Verhaltensmankos Ihres Vierbeiners grosszügig?

> Haben Sie Zweifel, dass eine andere Person nicht gut genug auf Ihren Hund aufpassen würde?

Je mehr Fragen Sie mit Ja beant-worten können, desto grösser ist Ihre Tendenz zum sogenannten «Helikoptern». Darunter versteht man eine überbehütende Verhaltensweise – wie ein Beobachtungs-Hubschrauber, der ständig über einem kreist und alles kontrolliert.

Insbesondere kleine Rassen werden stark betüddelt. «Aber ich kenne auch Besitzerinnen und Besitzer von Labradoren, Flat Coated Retrievern und Berner Sennenhunden, die stark helikoptern.» Männliche Halter seien ebenfalls nicht davor gefeit, meint Albrecht. Ihres Erachtens tendiert eine bestimmte Art Mensch zum Helikoptern. «Vielmals sind diese Personen von Natur aus ängstliche, verletzte oder enttäuschte Menschen.»

In der Beschützerrolle
Ihre Haltung rechtfertigen Helikopter-Halter oft gerne mit den Geschehnissen auf der Welt. Die Liste der potenziellen Gefahren, die Hund und Halter tagtäglich erwartet, ist wahrlich erschreckend: Giftköder, Autounfall, Beiss­- vorfall, Treppensturz, Misshandlung. «Solche Meldungen häufen sich leider. Halter möchten sich und ihrem Hund solches Leid natürlich ersparen.» Häufig zwingt der Mutter­instinkt Betroffene in die Beschützerrolle. «Sobald jemand dem Mutterinstinkt erliegt, wird es schwierig, mit ihm und seinem Hund zu arbeiten», weiss die Hundetrainerin aus Erfahrung. 

Des Weiteren kann Wiedergutmachung eine entscheidende Rolle spielen. «Viele Halter, die einen Hund aus dem Ausland oder schlechter Haltung übernommen haben, möchten, dass der Vierbeiner von jetzt an nur noch Gutes erlebt.» Überdies kann das Helikoptern durch eine gewisse Erwartungshaltung verstärkt werden. «Oftmals fühlen sich Welpenbesitzer unter Druck gesetzt, den familiären Neuzugang gleich in den ersten Wochen an möglichst vieles zu gewöhnen. Es wird Bus gefahren, in den Zug gestiegen, entlang von Autostrassen gelaufen, der Staubsauger benutzt. Da kann natürlich einiges schiefgehen.»

Kontakte und Erfahrungen
Damit in Zukunft nichts passiert, packt der Halter seinen Schützling in Watte. Ein Teufelskreis beginnt. «Geht eine Hundebegegnung schief, wird die nächste noch früher verhindert, der Hund sieht bald keine Hunde mehr oder verbindet Artgenossen mit einem schlechten Gefühl.» Aus Mangel an Kontakten und Erfahrung lerne der Hund die Hundesprache nicht. Speziell gröbere Kontakte würden nicht selten komplett fehlen. «Wird der Hund dann einmal angerempelt, reagiert er völlig inkompetent.» Der Vierbeiner läuft Gefahr, zum Deprivaten zu werden – ängstlich oder aggressiv gegenüber jeglichem Unbekannten. Im schlimmsten Fall können die Tiere zu seelischen oder gar körperlichen Krüppeln werden.

Dabei sind Erfahrungen jeglicher Art für ein Hundeleben sehr wertvoll. «Nur so kann der Hund eine gewisse Umweltsicherheit erreichen.» Albrecht rät Haltern daher dazu, weniger Bedingungen an das Tier zu stellen. «Wir sollten unseren Hunden erlauben, selbst Erfahrungen zu machen.» Dazu gehöre auch, dass Hunde manchmal entscheiden dürfen, was zu tun sei. 

Für Helikopter-Halter sei Abstand zum Hund oft der erste Schritt zu einem artgerechteren Umgang mit dem Vierbeiner. «Lässt man den Hund mal für einen Tag oder während des Urlaubs bei einer Vertrauensperson, merkt man rasch, dass der eine sehr wohl ohne den anderen überleben wird.»