Die Idee, Keimlinge und Sprossen roh zu essen, ist in China schon seit mehreren Tausend Jahren bekannt. Auch Seefahrer stellten fest, dass keimende Sojabohnen in der Not ganz gut schmeckten und dabei noch zusätzliche Kräfte verliehen. In Europa ist der Sprossen- und Keimling-Trend noch keine 100 Jahre alt, er wird aber von Jahr zu Jahr populärer. Ganz neu ist hingegen die Idee, Sprossen auch in der Tierfütterung zu verwenden.

Wurden früher vor allem Sojasprossen gekeimt, so werden heute Saat-Mischungen angeboten. Hülsenfrüchte wie Linsen, Erbsen oder Kichererbsen und Getreidesorten (vorwiegend Weizen) ergänzen Klee- und Kohlarten. Keimlinge sind die ganzen, noch ganz kleinen, eben erst «geschlüpften» Baby-Pflanzen. Sprossen hingegen sind genau genommen nur die oberirdischen Teile des Keimlings. In der Praxis wird aber meist einfach von Sprossen gesprochen, auch wenn der ganze Keimling gemeint ist.

Die Mischung macht’s
Saat-Mischungen bereichern nicht nur dank ihrer Vielfalt. Die verschiedenen Pflanzen tun einander auch gegenseitig gut. So wirken Rettich- und Radieschensprossen gegen unerwünschte Keime und gegen Schimmelpilze. Die verschiedenen Nähr- und Vitalstoffe einer Mischung addieren sich nicht nur, sondern sie begünstigen gegenseitig die Aufnahme in den Körper. Die Absorption von Eisen (vor allem in den Getreidekeimlingen) etwa wird begünstigt, wenn gleichzeitig Vitamin C (etwa aus Alfalfa) eingenommen wird. Vitamin C ist nicht nur in der menschlichen Ernährung ein Schlüsselvitamin, sondern auch in derjenigen der Meerschweinchen, weshalb sich in deren Ernährung die Sprossen- und Keimlingsfütterung sehr empfiehlt.

Nicht zu unterschätzen ist der hohe Gehalt an Mineralstoffen wie Magnesium, Kalium und Phosphor sowie Spurenelementen in den Sprossen. Weiter enthalten sie viele Ballaststoffe und sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe, zu denen Carotinoide, Flavonoide, Phytoöstrogene zählen – Stoffe also, die antimikrobiell wirken und sogar die Fruchtbarkeit der Häsinnen günstig beeinflussen können.

Sprossen und Keimlinge können in temperierten Räumen gut während des ganzen Jahres angebaut werden. Für die Anzucht geeignete Keimgläser oder -apparate sind für wenig Geld zu kaufen. Ganz Cleverere machen sich ihr Keimglas zum Nulltarif selber. In den Deckel eines alten Einmachglases werden einige Löcher gebohrt – fertig ist die Miniatur-Sprossenplantage. Oder man spannt mittels eines Gummirings einen Lappen über die Öffnung des Glases. Zentral für den Erfolg der Sprossenzucht ist, dass das Wasser gut ablaufen kann, während die Samen im Glas bleiben.

Aus der Dunkelheit ans Licht
Die Samen oder Körner werden während einiger Stunden eingeweicht, nur so können sie in relativ kurzer Zeit viel Feuchtigkeit aufnehmen. Allerdings dürfen die Samen oder Körner nicht zu lange im Wasser bleiben, denn sie können so nicht genügend Sauerstoff aufnehmen. Deshalb wird das Wasser aus dem Glas abgegossen, die Samen gespült und das Glas so aufgestellt, dass das überschüssige Wasser ablaufen kann. Einmal täglich wird nun die Saat gründlich gespült. So wird das Kohlendioxid, das bei den Stoffwechselvorgängen entsteht, weggespült. Für Kichererbsen und Leinsamen ist mehrmals tägliches Spülen empfohlen. Wenn die Samen an einem dunklen Ort gekeimt haben, können sie anschliessend ans Licht gebracht werden. So wird der Gehalt an «guten» Nährstoffen gefördert und der Nitratgehalt bleibt niedrig.

Die meisten Sprossen sind nach drei bis fünf Tagen zur Fütterung bereit. Bockshorn­kleesamen sind bereits in zwei Tagen so weit; Luzerne (Alfalfa) braucht bis zu sieben Tage. Rettich entwickelt mit zehn Tagen grüne Blätter. So kommen sie bei den Kaninchen meist besser an als Keimlinge.Unmittelbar vor der Fütterung werden sie noch einmal gut gewaschen, das gibt ihnen die nötige Frische und sie werden von den Tieren als Delikatesse empfunden. Manchmal braucht es etwas Geduld, bis die Kaninchen das wertvolle Frischfutter kennengelernt haben und akzeptieren.

Sauerstoff, Wärme und Feuchtigkeit – es braucht wenig, um die Lebensgeister in den Samenkörnern zu wecken. Interessanterweise weisen die Sprossen einen weit höheren Anteil an Nähr- und Vitalstoffen auf als die Samen. Der Stoffwechselprozess und die damit verbundenen Ab-, Um- und Aufbauvorgänge machen aus der eingelagerten Stärke, den Eiweissen und den pflanzlichen Ölen besser verdauliche Nährstoffe wie Einfachzucker, essenzielle Aminosäuren und Vitamine. Der Vitamingehalt steigt dabei um ein Mehrfaches, und auch der Mineralstoffgehalt multipliziert sich.

Doch manchmal wollen die Samen nicht keimen. Dafür gibt es unterschiedliche Erklärungen. Vielleicht ist das Saatgut zu lange oder falsch gelagert worden. Wenn die Saat austrocknet, kann sie auch nicht mehr keimen.   Deshalb sollten die Keimgefässe nicht direkt an oder auf der Heizung oder in der Sonne stehen. Wenn die Samen zwar keimen, aber schlecht aufgehen, liegen sie möglicherweise zu eng, sodass nicht alle Pflänzchen optimale Bedingungen vorfinden.

Überziehen sich die Samen gar mit Schimmel, ist dies nicht nur unappetitlich, sondern auch gefährlich. Schimmelpilze und damit verbunden weitere Mikroorganismen machen die Sprossen ungeniessbar oder gar giftig für Tiere (und Menschen!). Möglicherweise wurde das Saatgut zu wenig gespült, es stand an einem für den Keimprozess nicht idealen Ort oder es wurde unsauber gearbeitet.

Welche Samen und Körner sind geeignet?
In speziellen Shops werden Futtersaaten angeboten, welche die entsprechenden Samen und Körner im für Nagetiere richtigen Verhältnis enthalten. Die Futter-Körnermischungen für Geflügel oder Kaninchen sind nicht ideal, denn meist enthalten sie auch Zutaten, die nicht sauber von der Saat getrennt werden können. Ungeeignet ist auch gebeiztes Saatgut. Diese Samen wurden behandelt, damit sie im Boden nicht von Ungeziefer gefressen werden.

Als Keimlinge geeignet sind die Getreidearten Hafer, Weizen, Amarant, Triticale, Roggen und Weizen. Weiter empfehlen sich Bockshornklee, Brokkoli- und Leinsamen, Sesam und Sonnenblumenkerne. Selbstverständlich ist auch die Luzerne (Alfalfa) sehr gut geeignet. Denn deren Vitamin-C-Gehalt steigt beim Keimen um das Fünffache, der Vitamin-A-Gehalt um das Dreifache und der Vitamin-E-Gehalt um einen Drittel.

Grundregeln der Sprossenzucht

  • Die Temperatur im Raum muss zwischen 18 und 20 Grad Celsius betragen.
  • Samen und Körner stets feucht, aber nicht nass halten.
  • Zum Quellen Samen oder Körner in Wasser einweichen.
  • Wasser ins Glas füllen und durch Schwenken spülen. Das Glas umdrehen und Wasser durch den Deckel abfliessen lassen. Wichtig: das Glas zum Belüften etwas geneigt aufstellen.
  • Sprossen oder Keimlinge können im Kühlschrank wenige Tage aufbewahrt werden.

Achtung: Keine schimmligen Keimlinge und Sprossen verfüttern (Brokkoli bildet zarte Fa-serwürzelchen, die nach Schimmel aussehen, aber unproblematisch sind)

Der Keimapparat
In sogenannten Keimapparaten, bei denen Keimschalen mit einem Siphonhütchen aufeinandergestellt werden, läuft das Wasser automatisch durch die Schalen und befeuchtet mehrere Generationen von Sprossen in einem Arbeitsgang. Damit es funktioniert, dürfen keine kleinen Samen den Ablaufkanal verstopfen. Die Samen quellen auf, sie dürfen deshalb nicht zu dicht aufeinanderliegen.