Auf der Suche nach der menschlichen Persönlichkeit haben Wissenschaftler über die Jahre das Modell der «BigFive» entwickelt. Demnach lassen sich die vielen Facetten der menschlichen Persönlichkeit auf die fünf Merkmale Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus reduzieren. So kann die Persönlichkeit oder der Charakter eines Menschen etwa beim Merkmal «Verträglichkeit» auf einer Skala von «mitfühlend, freundlich, herzlich» bis «kalt, streitsüchtig, unbarmherzig» eingestuft werden. Die meisten Fachleute sind sich inzwischen einig, dass sich der Mensch mithilfe des «BigFive»-Modells gut einschätzen lässt.

Dass auch Tiere Persönlichkeiten besitzen, wurde von der Wissenschaft hingegen während Jahren verneint. Wobei «Persönlichkeit» – sowohl beim Menschen als auch bei der Katze – als konsistentes Muster für Fühlen, Denken und Verhalten verstanden werden kann. Inzwischen wurde und wird die Persönlichkeit von Tieren intensiv untersucht und Verhaltensbiologinnen sind sich weitgehend einig, dass sogar Oktopoden und Taufliegen Persönlichkeit haben. Umso erstaunlicher, dass zum beliebten Haustier Katze entsprechende Forschung bisher weitgehend fehlte. 

Nicht mehr nur Störungen im Visier
Um diese Lücke zu schliessen, hat ein Team von Wissenschaftlern aus Australien und Neuseeland nun die Persönlichkeit von 2802 Hauskatzen von ihren Besitzern anhand von 52 Kriterien bewerten lassen und daraus ein «BigFive»-Modell für die Persönlichkeit von Katzen erstellt. Gemäss einem  in der Online-Fachzeitschrift «Plos One» veröffentlichten Bericht wurde bisher vor allem an Verhaltensstörungen geforscht und kaum an der «gesunden» Persönlichkeit.

Mit den sogenannten «Feline Five» wollen die Forscher zu einem besseren Verständnis und damit zu einer besseren Haltung von Katzen beitragen. Konkret kann etwa Unterbringung und Pflege der Persönlichkeit der jeweiligen Katze angepasst und dadurch ihre Lebensqualität verbessert werden. Auch soll eine genauere Platzierung von Heimkatzen möglich sein. Laut dem Bericht gibt es fünf Faktoren, welche die Persönlichkeit von Katzen darstellen: Neurotizismus (unsicher, ängstlich, angstvoll vor Menschen, misstrauisch und schüchtern), Dominanz (Mobbing, Dominanz, Aggressivität gegenüber anderen Katzen), Impulsivität (unberechenbar, rücksichtslos), Verträglichkeit (zärtlich, menschenfreundlich, sanftmütig) und Extraversion (aktiv, wachsam, neugierig, erfinderisch, klug).

Das Wissen um die Persönlichkeit einer Katze ist gemäss den Autoren der Studie vor allem bei Extrem-Werten entscheidend. So sollten die Besitzer von scheuen Katzen mit einer hohen Punktzahl beim Merkmal Neurotizismus darauf achten, ob ihr Tier im Austausch mit anderen Tieren oder Menschen gestresst ist. Solche Tiere profitieren von
zusätzlichen Versteckmöglichkeiten im Haus und von einem Zugang zu ruhigen Orten. Im Gegensatz dazu neigen Katzen mit einer geringen Punktzahl dazu, grössere Spaziergänge zu unternehmen, was ihr Risiko für Krankheiten und Verletzungen durch Verkehr oder Kämpfe erhöht.

Intelligente und neugierige Katzen mit einer entsprechend hohen Extraversionsrate benötigen zusätzliche Stimulation und eine komplexere Umweltanreicherung, um Langeweile zu vermeiden. Sie müssen unterhalten und herausgefordert werden und brauchen soziale Interaktion mit Menschen und anderen Tieren. Niedrige Werte für Extraversion sind hingegen mögliche Alarmzeichen und können auf altersbedingte beziehungsweise sonstige Gesundheitsprobleme oder Störungen der Gehirnfunktion hinweisen. Eine Katze mit einer auffälligen Ungeschicklichkeit und Ziellosigkeit sollte darum dem Tierarzt vorgestellt werden.

Hohe Werte für Impulsivität können Hinweise auf ein stressiges Umfeld sein, das sich negativ auf die Gesundheit und das Wohlbefinden auswirkt. Verhält sich eine Katze also unberechenbar und rücksichtslos, ist der Gang zu Verhaltenstherapie angezeigt, um mögliche Stressoren zu identifizieren. Erzielt die Katze hingegen niedrige Werte beim Merkmal Impulsivität, ist dies ein zuverlässiger Hinweis darauf, dass sich die Katze in ihrem Umfeld wohlfühlt und die Routine geniesst.

Plausibel und hilfreich
Erfreulich sind auch hohe Werte für die Verträglichkeit. Solche Katzen fühlen sich wohl und sind zufrieden. Sie sind eine Bereicherung für andere Katzen und haben zudem gute Chancen aus Tierheimen adoptiert zu werden. Auf der anderen Seite der Skala findet sich das Gegenteil: Katzen mit einer geringen Verträglichkeit, die über eine gereizte und aggressive Persönlichkeit verfügen. Ein solches Verhalten kann gemäss den Feline-Five-Autoren auf eine mangelnde Sozialisation oder Frustration zurückgeführt werden. Weil auch Krankheiten und Schmerzen als mögliche Stressoren infrage kommen, wird ebenfalls eine Abklärung durch den Tierarzt empfohlen. 

Auf Verhaltenstierärztin Ruth Herrmann aus Olten SO machen die «Feline-Five» einen plausiblen Eindruck. Solche offene Modelle wie die der Persönlichkeitszüge seien sehr aktuell und viel besser als abgeschlossene Modelle, die nur ein «entweder oder» zulassen. Eher etwas schwierig finde sie den Begriff der Dominanz, weil dieser oft mit Missverständnissen und Rangordnungen verbunden werde. Gut sei hingegen, dass in gewissen Fällen Abklärungen empfohlen würden: «Das Expertenauge kann mit seiner Aussenansicht oft wichtige Impulse geben.» 

Die Ergebnisse der «Feline Five» deckten sich mit ihren eigenen Erfahrungen als Tierärztin und Tierhalterin, sagt Herrmann weiter und ergänzt: «Ich denke, dass das Modell sehr hilfreich sein kann, damit Katzenbesitzer ihre Katzen besser verstehen können und ihre Haltung optimiert wird.» Nun gehe es darum, dass man noch breiter überprüfe, wie gut die eingeleiteten Massnahmen wirkten.