Johnny meidet die Katzentoilette seit Monaten. Stattdessen benutzt der stattliche schwarze Kater die Badewannenvorleger, das Sofa, sogar das Bett seiner Menschen als Ersatz. Die sind verzweifelt und vermuten Protestverhalten. Krank kann der Kater nicht sein, denken sie, denn er frisst wie gewohnt und miaut auch nicht auffällig viel. Tatsächlich aber projizieren Johnnys Menschen ihr eigenes Schmerzverhalten auf den Kater. Denn für sie klingt «Miau» klagend, ähnlich wie wir Zweibeiner bei Schmerzen «Au» rufen. Aber bei Katzen von fehlenden Schmerzlauten auf fehlende Schmerzen zu schliessen, ist trügerisch. «Miau» hat bei den Samtpfoten universelle Bedeutung, nur wird es selten oder gar nicht verwendet, um auf unangenehme Empfindungen aufmerksam zu machen.

Stattdessen senden Katzen Signale, die wir oft übersehen. Oder falsch deuten. Gerade bei Unsauberkeit unterstellen Menschen recht schnell Protestverhalten, aber nicht viele Katzenhalter denken an etwas, das ebenfalls nahesliegt: Schmerzen beim Urinabsatz. Dabei wissen die Tierärzte, dass eine Erkrankung der Harnwege, die sogenannte «Feline Lower Urinary Tract Disease» (FLUTD), häufig auftritt und für ein Meideverhalten sorgt. Die Katzen machen die Toilette, den Ort der Schmerzen, für das Brennen verantwortlich und suchen nach Alternativen. Und weiche, warme Unterlagen und alle Arten von Textilien werden von Katzen offensichtlich immer dann bevorzugt, wenn ihnen die Toilette Probleme bereitet.

Dass die Samtpfoten ihre Befindlichkeit so hervorragend verbergen können, hängt mit ihrer stammesgeschichtlichen Entwicklung zusammen. Da sie keine Gruppen- oder Rudeltiere sind, ergibt es für sie keinen Sinn, Schmerzen zu zeigen. Anders als bei sehr sozialen Tieren schützt die Gruppe sie nicht vor Feinden. Der eher einzeln lebenden Katze könnte es vielmehr gefährlich werden, weil sie damit Signale der Schwäche an andere Tiere sendet.

Und diesen Instinkt, ihr Unwohlsein zu verbergen, haben die Katzen auch in menschlicher Obhut behalten. Allerdings zu ihrem Nachteil. Denn von ihrem Menschen könnte die Samtpfote ja eigentlich Hilfe erwarten. Aber weil sie lange Zeit perfekt überspielen kann, was ihr Schmerzen bereitet, resultieren unter Umständen chronische Schmerzen. Und während akute Verletzungen und Erkrankungen noch eher erkennbar sind, wird es bei chronischem Schmerz wirklich schwierig, denn der zeigt sich oft in langsamen Verhaltensveränderungen. Das können kleine, für Katzenhalter leicht zu übersehende Dinge sein.

Schmerz bleibt im Gedächtnis haften
Je nach Leiden bewegen sich die Tiere schwerfälliger, klettern nicht mehr so mühelos und springen vorsichtiger – ein Indiz für mögliche Gelenkerkrankungen. Auch der Zustand des Fells ist ein Indikator: Lässt die Beweglichkeit nach, putzen sich die Büsis weniger, vor allem an schwer zu erreichenden Stellen wie den Flanken oder am hinteren Rücken. Dort kommt es dann zu Verfilzungen und Verklebungen.

Etwa 25 bis 30 Prozent aller Hauskatzen – bei den älteren sind es noch viel mehr –  leiden an «felinen odontoklastischen resorptiven Läsionen» (FORL), einer Zahnerkrankung, die eine Entkalkung der Zahnsubstanz zur Folge hat und sehr starke Schmerzen verursacht. Zahnschmerzen äussern sich oft in mühsam anmutendem Kauen und machen sich durch Maulgeruch bemerkbar. Bei fortschreitender Krankheit lässt die Katze das Futter stehen.

Typische Schmerzsymptome, die jeden Katzenbesitzer misstrauisch machen sollten, sind nachlassender Appetit, Gewichtsverlust, fehlende Spiellust, Berührungsempfindlichkeit, Kot- und Urinabsatz ausserhalb der Toi­lette oder deutlicher Rückzug. Dann muss schleunigst der Tierarzt aufgesucht werden. Hilfreich für die richtige Diagnose sind für ihn genaue Beobachtungen der Katzenbesitzer, auch Film- oder schriftliche Aufzeichnungen über die Dauer oder Häufigkeit bestimmten Verhaltens.

Da Schmerzzustände eben nicht nur für den Menschen, sondern auch für die Katze «erlernbar» sind, führen wiederkehrende Schmerzen auch zu einem intensiveren Empfinden. Auch bei den Katzen gibt es so etwas wie ein Schmerzgedächtnis. So können sogar sanfte Berührungen an einst schmerzhaften Stellen als unangenehm wahrgenommen werden, auch wenn die Ursache nicht mehr vorhanden ist.

Und die Schmerzschwelle kann mit der Zeit immer weiter herabsinken. Deshalb hat die Schmerzbekämpfung so eine grosse Bedeutung. Wichtig ist, dass frühzeitig und ausreichend Medikamente eingesetzt werden, um schnelle Linderung zu verschaffen. Dabei gilt aber grösste Vorsicht vor Präparaten oder auch Hausmitteln, die für die Therapie beim Menschen gedacht sind. Sie können Nebenwirkungen haben oder sogar zu schweren Schäden bei der Katze führen.

Der Wohlfühl-Check für Ihre Katze

  • Hat Ihre Katze ab und zu die berühmten «verrückten Minuten»? Rast sie übermütig durch die Wohnung und spielt mit allem, was ihr in die Quere kommt?
  • Macht sie regelmässig Gymnastik, dehnt und streckt sie den ganzen Körper?
  • Betreibt sie regelmässig Fellpflege?
  • Sucht sie die Aufmerksamkeit ihres Menschen? Streicht um die Beine, gibt Köpfchen oder fordert Körperkontakt?
  • Gähnt sie ausgiebig?

Alles das sind Signale für Wohlbefinden. Bleiben ein oder mehrere dieser Signale auf Dauer aus, kann das ein Zeichen für Schmerzen sein.