Die Katze streckt ihren Rücken durch, macht die Vorderbeine lang und fährt ihre Krallen aus. Dann geht es los: rechts, links, rechts, links, ratsch, ratsch, ratsch. Was der Mensch am wertvollen Möbel so gar nicht schätzt, ist für Katzen vollkommen normales Verhalten. Im Idealfall wetzen unsere Samtpfoten ihre Krallen an einem Kratzbaum oder in freier Natur an Baumstämmen. «Leider sehen die meisten der auf dem Markt erhältlichen Kratzbäume zwar umwerfend aus, lassen das Herz von unseren Hauskatzen aber nicht höherschlagen», sagt Anja Wegmann.

Vor allem Form und Material der meisten Kratzbäume kritisiert die Katzenpsychologin aus Affoltern am Albis ZH. In der Regel seien die Kratzbäume im Stamm nicht hoch genug. «Um sich gut strecken zu können, braucht eine Katze mindestens einen Meter Kratzlänge.» Aus Mangel an perfekten Kratzstellen weichen viele Katzen gerne auf Korbmöbel oder Fussabtreter aus. «Ihr Indoor-Lieblingsmaterial ist nämlich Sisal», sagt Wegmann. 

Entspricht die Kratzstelle erst einmal der Vorstellung einer Katze, dann wetzt sie dort gerne mal schnell beim Vorbeigehen ihre Krallen – und dies gleich aus mehreren Gründen. Da Krallen ebenso wie die menschlichen Finger- und Zehennägel kontinuierlich wachsen, hat die Natur eine entsprechende Pediküre eingebaut. Durch Kratzen entfernen Katzen regelmässig die schalenförmigen Horntüten der vorderen Krallen und halten ihre spitzen Dolche somit schön scharf und stets einsatzbereit. Zum Einsatz kommen Krallen nämlich vor allem als Waffe für Angriff oder Verteidigung respektive als Werkzeug zum Ergreifen, Graben und Klettern. Gerade beim Beutefang sind die Krallen wichtige Instrumente. Die Krallen an den Hinterpfoten halten Katzen übrigens durch Abknabbern in Form. 

Wie alle angeborenen Verhaltensweisen ist das Kratzen unverzichtbar für das körperliche und seelische Wohl.

Katharina Aeschimann
Tierpsychologische Beraterin I.E.T.

Kratzen ist für Katzen aber mehr als nur banales Krallenschleifen. Vielmehr ist es ein angeborenes Verhalten, das neben der Erhaltung der Funktionsfähigkeit eine ebenso wichtige Funktion erfüllt. «Wie alle angeborenen Verhaltensweisen ist das Kratzen unverzichtbar für das körperliche und seelische Wohl», erklärt Katharina Aeschimann, tierpsychologische Beraterin I.E.T. aus Winterthur ZH. Katzenjunge lernten durch Kratzen zum einen ihre Krallen zu kontrollieren. Zum anderen bei den Dehnbewegungen als Teil des Komfortverhaltens den Körper zu strecken sowie Muskeln und Sehnen spielen zu lassen. Dass hierbei gleichzeitig gekratzt wird, hält Aeschimann eher für einen Zufall. «Nach dem Schlafen strecken sich Katzen gerne auf dem Kratzbaum und kratzen dann noch bisschen, weil es sich grad so schön anbietet.» 

Italienische Studie gibt Hinweise
Da das Kratzverhalten von Katzen bislang nur ansatzweise wissenschaftlich erforscht wurde, kann Aeschimann ausschliesslich auf eigene Erfahrungswerte zurückgreifen. Das Entfernen der Krallenhülle hält die Katzenpsychologin daher ebenso nicht für einen bewussten Grund des Kratzens. «Das passiert eher nebenbei, wenn aus einem anderen Grund gekratzt wird.»

Ferner sieht Aeschimann das Krallenwetzen an Sofa, Teppich oder Kratzbaum nicht unbedingt als Schärfen der Krallen. «Mehrheitlich handelt es sich hierbei um ein Markieren.» Eine italienische Studie fand hierzu Näheres heraus: Hormone und Geschlecht scheinen ausschlaggebend für das markierende Kratzen an Möbeln zu sein. Ungeachtet eines vorhandenen Kratzbaumes oder der Möglichkeit zum Freilauf wetzen intakte Kater laut den Wissenschaftlern von der Universität Pisa ihre Krallen sehr gerne an Möbeln. Kastrierte Kater, intakte und kastrierte Kätzinnen hingegen täten dies selten. Dies entspricht auch Aeschimanns Erfahrung. «Die meisten Hauskatzen sind kastriert und das eliminiert das Markierverhalten zu mindestens 90 Prozent.» 

Üblicherweise markieren Katzen durch Duftmarken, doch kennzeichnen sie ihr Revier auch optisch: Beides gehört zur intraspezifischen Kommunikation. Hierfür bevorzugen Katzen laut Aeschimann in der Regel eine senkrechte Fläche, an der sie dann kratzen bis sich gut sichtbare Krallenspuren zeigen. Olfaktorisch markieren Katzen ihre Kratzspuren oft noch zusätzlich, entweder durch Duftstoffe aus den an den Ballen gelegenen Schweissdrüsen oder mit Urin durch das bekannte Markieren mit aufgestelltem zitterndem Schwanz. So zeigen Katzen ihren Artgenossen die Grenzen des eigenen Reviers auf. 

Wenn man die eigene Katze kennt und sie beim Kratzen beobachtet, kann man die unterschiedlichen Gründe des Kratzens erkennen.

Katharina Aeschimann
Tierpsychologische Beraterin I.E.T.

Allein aufgrund der Art, wie eine Katze kratzt, kann man derzeit jedoch noch nicht auf ihre Beweggründe schliessen. Zu wenig ist bislang darüber bekannt. Aeschimann verlässt sich deshalb am liebsten auf den Kontext, in dem das Kratzen stattfindet. Der jeweiligen Situation kann die Verhaltensexpertin wertvolle Hinweise entnehmen, die den eigentlichen Grund des Kratzens erkennen lassen. «Wenn sich beispielsweise draussen zwei Kater begegnen, geht der Kater, welcher das Feld räumt, im Anschluss gerne zu einem Baum und kratzt dort ausgiebig.»

Nur mit dem Wissen, dass zuvor ein zweiter Kater anwesend war, könne das Baumkratzen korrekt ergründet werden. «In diesem Fall versucht der Kater nach verlorenem Kampf das geknickte Selbstwertgefühl wiederaufzubauen, einfach nur um den Frust abzubauen oder mit dieser Übersprungshandlung das Gesicht zu wahren.» Doch auch der Kater, der aus dem Zusammentreffen als vermeintlicher Sieger hervorging, kann am Baum kratzen. «In diesem Fall handelt es um eine Art Imponiergehabe.»

Kratzen wegen Aufmerksamkeit 
Ähnliches könnten Halter laut der Katzenpsychologin manchmal bei ihren eigenen Katzen beobachten. «Viele Halter kennen die Situation: Das Futternäpfchen ist leer und mit dem Blick ‹mein Mensch liebt mich nicht› geht die Katze zum Sofa und kratzt dort ihren Frust weg, dass es nicht noch mehr zu fressen gab.» Manchmal sei das Verhalten bereits «antrainiert» und die Katze wisse, dass sie umgehend Aufmerksamkeit erhält, sobald sie verbotenerweise am Sofa kratzt. 

Aeschimann kann Katzenhalter jedoch beruhigen: «Dass eine Katze vor lauter Frust gleich das Sofa auseinandernimmt oder wegen Nachbarskatzen beim Markieren die Türzarge verkratzt, kommt eher selten vor.» Katzenhalter möchte sie dazu ermutigen, ihre Samtpfoten besonders gut zu beobachten. «Wenn man die eigene Katze kennt und sie beim Kratzen beobachtet, kann man die unterschiedlichen Gründe des Kratzens erkennen. Sei es eine Spielaufforderung mit dem typischen Spielgesicht dazu oder das nachdrückliche Kratzen, weil sie gerade gefrustet ist.»