Das Yin gegen das Yang, das Innere gegen das Äussere, zwei entgegengesetzte Kräfte, die ohne einander nicht können und sich ergänzen. Befinden sich beide Pole im Einklang, kann die Lebensenergie ungehemmt fliessen. Staut sie sich irgendwo oder ist sie zu gering, kann es zu Verspannungen, Hautproblemen und anderen Erkrankungen kommen. Die Chinesen heilen mit diesem Wissen bereits seit Jahrtausenden. Auch bei uns wird die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) immer mehr genutzt, unter anderem durch Akupunktur und Akupressur. Denn der richtige Druck an den richtigen Punkten aktiviert die Selbstheilungskräfte, löst so Blockaden und bringt Seele und Körper ins Gleichgewicht. 

Da sich nicht jeder bereitwillig Nadeln in den Körper stecken lässt, hat sich auch in der Tierwelt die Akupressur als hilfreiche Methode erwiesen, zahlreichen Krankheiten und Wehwehchen den Kampf anzusagen. Obwohl eine vollständige Heilung allein durch diese Massagetechnik ausgeschlossen wird, geht die Akupressur, wie die TCM im Allgemeinen, immer der Ursache auf den Grund, hilft so die Heilung zu beschleunigen und wird daher gern in Kombination mit anderen Behandlungen, als Nachbehandlung von Verletzungen oder präventiv eingesetzt.

Die fünf Wandlungsphasen
Holz = Leber und Gallenblase
Feuer = Herz / Herzbeutel und Dünndarm
Erde = Milz / Bauchspeicheldrüse und Magen
Metall = Lunge und Dickdarm
Wasser = Niere und Blase

In den Genuss kommen oft beanspruchte Tiere wie Pferde. Die Gründe dafür sind vielfältig. Natalie Niquille ist Therapeutin bei «HealthBalance», dem Tiergesundheitszentrum in Niederuzwil SG. Sie ist schon mit so manchen Beschwerden konfrontiert worden. Mal geht es um den Bewegungsapparat, um Verspannungen oder Arthrose, mal um Lungen- oder Hautprobleme wie etwa Nesselfieber, oft um Koliken und andere Magen-Darm-Konflikte und oft auch um Störungen im Hormonhaushalt und im Verhalten. Auch kann man damit beispielsweise Pferde auf ein Turnier vorbereiten, «indem man die Muskulatur, Sehnen und Bänder stärkt», sagt Niquille. Tiere, die mitunter stark gestresst seien, könnten beruhigt werden. Dafür muss man nur die richtigen Punkte drücken.

Diese Punkte befinden sich auf den Meridianen, den Körper durchflies­senden Energieleitbahnen, die mit den Organen verbunden und nach ihnen benannt sind; zum Beispiel Lungen-Meridian, Nieren-Meridian oder Herz-Meridian. Fast alle zwölf Bahnen verlaufen symmetrisch über beide Körperhälften. Je nachdem, um welche Beschwerde es sich handelt, drückt man den zuständigen Punkt mit Daumen oder Zeigefinger mindestens 30 Sekunden lang, meist rund zwei Minuten, und macht dabei kreisende Bewegungen, bis das Pferd entspannt ist.

Akupressur gegen Nervosität
Manche Pferde sind allerdings von Natur aus anfangs etwas unruhig, weiss die Therapeutin Sonja Walser aus Mettmenstetten ZH. Sie bietet Akupressur bei Pferden und Hunden an. «Sie wollen sich bewegen, merken, dass etwas in ihnen bewegt wird», sagt sie. Nach einiger Zeit kämen aber auch solche Patienten zur Ruhe. Sie habe ein Kundenpferd, das seit Jahren koppe, also eine Verhaltensstörung zeige. «Während der Akupressur vergisst es dieses Verhalten, auch wenn Gegenstände, an denen es koppen könnte, vorhanden sind», erzählt die Fachfrau, die gerade bei Verspannungen und Nervosität auf Akupressur schwört. 

Ist man zeitlich flexibel und hat man einen Temperamentsbolzen im Stall, bringt man ihn am Besten zur Dösezeit, etwa am frühen Nachmittag, zur Massage. Ausserdem gibt es eine Organuhr, nach der die Organe zu gewissen Uhrzeiten höhere Aktivitäten haben. «Hier kann man die Wirkung stärken, wenn man die Behandlung in der besonders aktiven Zeit des Organs macht», erklärt Natalie Niquille. 

Wie lange eine Akupressur dauert, kommt auf die Anzahl der Druckpunkte und auf die Geduld des Pferdes an. Wie viele Behandlungen man insgesamt braucht, um Ergebnisse zu sehen, ist ebenfalls unterschiedlich. Laut Niquille sind im Schnitt zwei bis sechs Sitzungen nötig, um wieder ein Gleichgewicht herzustellen. Es sei denn, es handelt sich um eine chronische Erkrankung, dann gibt es die Massagen in regelmässigen Abständen. Je länger das Ross danach in der Tiefenentspannung bleibt, desto günstiger wirkt sich dies übrigens auf seine Gesundheit aus. Denn die Ruhe trügt. In dieser Zeit arbeiten die Selbstheilungskräfte auf Hochtouren. 

Gleichgewicht von Yin und Yang
Um die richtigen Akupunkturpunkte zu erwischen und dem Leid auf den Grund zu gehen, greift die TCM auf ein paar Tricks zurück und stützt sich auf die fünf Wandlungsphasen, die Funktionskreisen und damit Organen zugeordnet sind (siehe Kasten). Ist ein Patient dominant, schnell verärgert, mutig, unruhig und neigt zu Muskelverspannungen, gehört er zum Holztyp und hat möglicherweise Probleme mit Leber oder Gallenblase. Es bedarf aber noch mehr, um eine Erkrankung zu diagnostizieren. So nimmt Niquille bei der Anamnese an verschiedenen Stellen den Puls, der ihr Auskunft über den Zustand der Funktionskreise gibt. Etwa ob sie zu viel Energie enthalten oder zu wenig. Danach inspiziert sie unter anderem die Zunge, um etwas über allgemeine Störungen wie Feuchtigkeit oder Trockenheit im Körper zu erfahren, sowie das  Exterieur des Pferdes und den Geruch. 

Dazu kommen noch die sogenannten Agenzien, krankheitsauslösende Faktoren, wie etwa Wind oder Wut, unterteilt in äussere, innere und neutrale Kräfte, die sich ebenfalls wieder den Funktionskreisen zuordnen lassen. «Diese und andere Zusammenhänge und mögliche Schädigungen des Gleichgewichts von Yin und Yang müssen analysiert und abgeklärt werden, um die genaue Ursache herauszufinden», erklärt Niquille. Danach könne man die jeweiligen Funktionskreise mit den unterschiedlichen Punkten auf den Meridianen wieder ins Gleichgewicht bringen. Das Tückische: Da die Funktionskreise alle zusammenarbeiten, kann es auch sein, dass der Verdacht auf eine Störung im Bereich Leber und Gallenblase fällt, diese aber durch Niere und Blase ausgelöst wird.

Selber Hand anlegen sollte man übrigens nicht. Laut Sonja Walser kann man zwar den einen oder anderen Punkt selber behandeln, generell reiche ein theoretisches Wissen aber nicht. «Man muss auch gut geerdet sein und eine grosse Portion Gefühl in den Händen und Fingerspitzen haben.» Natalie Niquille weist zudem darauf hin, dass man durch falsche Akupressur auch Schaden zufügen kann: «Es gehört ein fundiertes Wissen, aber auch ein sehr gutes Gespür für das Tier dazu. Dies darf nicht unterschätzt werden!»