Als Pflanzenfresser und Steppenbewohner haben sich die Pferde über Jahrmillionen an ihre natürlichen Lebensräume angepasst und dabei ein hochspezialisiertes Verdauungssystem entwickelt, das mit keiner anderen Tierart vergleichbar ist. Doch durch die Domestizierung und die damit verbundene Um stellung von Haltung und Fütterung ist der sensible Magen-Darm-Trakt zur Schwach stelle des Pferdes geworden: Jeder Pferde halter fürchtet die sogenannte «Kolik», eine Sammelbezeichnung für Schmerzen im Bauch, die ganz unterschiedliche Ursachen haben können.

Um die Anfälligkeit des Verdauungsapparats zu begreifen, ist es von Nutzen, seine Funktion und Anatomie zu kennen. In freier Wildbahn ist das Pferd während mehr als 16 Stunden am Tag mit Fressen beschäftigt. Sein natürliches Nahrungsangebot umfasst Gräser, Kräuter, Sträucher, Blätter und anderes und ist rohfaserreich, arm an Kohlehydraten und Proteinen. Dieses Futter muss vor dem Schlucken intensiv gekaut, zerkleinert und eingespeichelt werden. Der Magen wird dadurch kontinuierlich mit kleinen Mengen gefüllt. Hier liegt bereits der erste wesentliche Unterschied zu unserer «modernen» Pferdehaltung, bei der nur zwei bis drei Mal am Tag gefüttert wird und grosse Mengen an energiereichem Kraftfutter den Verdauungsapparat stark belasten.

30 Meter, auf denen viel passieren kann
Im Magen wird ein Teil der Nährstoffe aufgespalten und der Futterbrei gut mit Magensaft durchtränkt, bevor er weiter in den Darm wandert. Dieser Darm ist rund 30 Meter lang: Ein weiter Weg für das Futter, auf dem die einzelnen Darmabschnitte gut zusammenarbeiten müssen, damit kein Stau entsteht und ein Haferkorn in wertvolle Energie umgewandelt werden kann.  

Die erste Station auf der Reise des Futters ist der bis zu 20 Meter lange Dünndarm. Er ist in ständiger Bewegung und wird in drei Abschnitte aufgeteilt: Der erste, unmittelbar am Magenausgang, ist der Zwölffingerdarm, dann folgen der Leerdarm und der Hüftdarm. Der Dünndarm übernimmt die weitere Verdauung von leicht verdaulichen Nährstoffen. Diese gelangen durch die Darmschleimhaut in den Blutkreislauf. Die Passierdauer des Darminhalts beträgt rund 90 Minuten, das sind 20 Zentimeter pro Minute. Füttert man Kraftfutter (Müesli, Hafer etc.) in zu grossen Mengen, wandert es zu schnell durch den Dünndarm: Die Enzyme schaffen den Abbau nicht und es drohen Verdauungsstörungen.

Die unlöslichen Stoffe wie die Rohfasern, die in Heu und Gras reichlich enthalten sind, wandern weiter zur nächsten Station: in den Dickdarm. Dieser lässt sich wiederum in vier Abschnitte unterteilen: Blinddarm, grosser und kleiner Grimmdarm und Mastdarm. Unter Gärung bauen dort Mikroorganismen und Bakterien, die zusammen die Darmflora bilden, die verbleibenden Stoffe ab. Obwohl der Dickdarm mit seinen rund acht Metern Länge wesentlich kürzer ist als der Dünndarm, verweilt das Futter hier bis zu 48 Stunden. In der Nähe der «Endstation», im Mastdarm, wird der Darminhalt durch Wasserentzug eingedickt. Die Ausbuchtungen des Mastdarms formen den Rest des einstigen Futters, das dann in der typischen «Rossbollen»-Form wieder ans Tageslicht kommt.

Um das hochempfindliche Gleichgewicht des Verdauungssystems zu stören, braucht es wenig: Ein Wetterwechsel, Stress, eine plötzliche Futterumstellung, verdorbenes Futter, zu wenig Raufutter oder zu grosse Mengen an Kraftfutter oder Durchblutungsstörungen in Folge von Bewegungsmangel können eine Kolik auslösen.

Krampf-, Aufgasungs- und Verstopfungskoliken treten relativ häufig auf und sind meistens haltungs- oder fütterungsbedingt. Der lange Dünndarm sowie der frei bewegliche Grimmdarm neigen ausserdem dazu, sich zu drehen oder zu verschlingen, was im schlimmsten Fall zu einem Darmverschluss führt, der unter Umständen eine lebensrettende Operation nötig macht.

Ein weitere häufige Ursache für Koliken sind Parasiten. Die sogenannten Palisadenwürmer zum Beispiel können die Blutgefässe schädigen. Dort bilden sich dann kleine Blutgerinnsel, welche die Gefässe verstopfen. In der Folge wird der betreffende Darmabschnitt unzureichend versorgt und kann sogar vollständig zum Erliegen kommen. Dann staut der Futterbrei und verstopft den Darm. Das regelmässige Entwurmen des Pferdes, am besten mit einem Breitspektrum-Wurmmittel, ist deshalb bereits im Fohlenalter ein Muss, um gesundheitliche Spätfolgen zu vermeiden.

Manchmal reicht sogar lediglich Stress, zum Beispiel auf Turnieren oder bei langen Transporten, um die Bauchmuskulatur zu verkrampfen und dadurch verschiedene Verdauungsstörungen wie Durchfall oder eine Stresskolik auszulösen.

Die Anzeichen für eine Kolik sind relativ deutlich und gut zu erkennen: Unruhiges Verhalten, Flehmen, Scharren mit den Vorderhufen, mit dem Kopf zum Bauch umsehen oder sogar gegen den Bauch schlagen, Hinlegen zu ungewohnten Zeiten und Schweissausbrüche sind typische Symptome einer Kolik. Bei schweren Kolikattacken beginnen Pferde vor Schmerzen regelrecht zu toben, manche bleiben beim Wälzen in ungewohnter Lage, etwa auf dem Rücken liegen. Doch die Heftigkeit der Schmerzen deutet nicht auf die Schwere einer Kolik hin: Bei einem vergleichsweise harmlosen Darmkrampf reagiert das Pferd viel stärker als bei einer gefährlichen Dickdarmverstopfung.

Der Transportanhänger muss parat sein
Eines haben Koliken jedoch gemeinsam: Sie sind ein Notfall, bei dem umgehend der Tierarzt benachrichtigt werden muss. Bis er eintrifft, sollte der Pferdebesitzer bei seinem Tier bleiben: Kranke Pferde suchen die Nähe zum Menschen. Da Wärme krampflösend wirkt, ist es ratsam, dem Pferd eine Decke aufzulegen. Auch ruhiges Führen im Schritt kann helfen, denn es bewegt die Bauchmuskulatur, was wie eine Massage wirkt. Aber wenn das Pferd nicht will, sollte man es nicht zum Laufen zwingen. Entgegen früheren Ansichten darf sich ein Pferd mit Kolik auch hinlegen und wälzen. Ist der Darm verdreht, kann er unter Umständen durch das Wälzen wieder in die richtige Position gelangen.

Bei jeder Kolik muss sich der Pferdebesitzer auf eine Fahrt in die nächste Pferdeklinik einstellen: Auto und Transportanhänger sollten also startklar sein. Ob und wann das Pferd letztendlich in die Klinik muss, entscheidet der behandelnde Tierarzt, der es dann auch überweisen wird.