Für eine artgerechte und damit gesunde Pferdefütterung ist eine ausreichende Versorgung mit kaufähigem Raufutter unabdingbar», sagte Brigitta Wichert vom Institut für Tierernährung der Vetsuisse Fakultät der Universität Zürich kürzlich in einem Vortrag über Pferdeernährung. Die Begründung dafür liegt in der Natur des Pferdes. Als ehemaliges Steppentier war das Pferd den ganzen Tag auf Wanderschaft mit der Futtersuche beschäftigt. Dabei selektierte es Gräser und Pflanzen und frass praktisch ununterbrochen, bis zu 20 Stunden am Tag.

Der gesamte Organismus des Pferdes, insbesondere sein Verdauungsapparat, ist auf diese kontinuierliche Aufnahme von rohfaserreichem Pflanzenmaterial ausgelegt. Daran hat sich nichts geändert, auch wenn das Pferd vom Steppenbewohner zum modernen Sport- und Freizeitpartner eine grosse Entwicklung durchlaufen hat.

Heu kommt Steppengras am nächsten
Heute bestimmt der Mensch, was das Pferd frisst und seine natürliche Ernährung ist aus mehreren Gründen nicht mehr möglich. «Sport- und Arbeitspferde haben einen höheren Energiebedarf, dafür aber weniger Zeit zum Fressen, sodass die Versorgung mit der ursprünglichen Nahrung den Bedarf gar nicht mehr decken könnte», sagt Brigitta Wichert. Moderne Pferdehaltung findet meist auf engem Raum statt: Es sind in der Regel nicht genug Weideflächen vorhanden, auf denen Pferde sich satt fressen könnten. Ausserdem entsprechen die heutigen Weiden nicht mehr der ursprünglichen Futtergrundlage des Pferdes. «Das Gras ist viel nährstoffreicher und liefert vor allem mehr Energie und Eiweiss, sodass wenig gearbeitete Pferde, die ganztägigen Weidegang haben, dadurch zu fett werden», erklärt die Futterexpertin.

Dem ursprünglichen Steppengras – und damit den Bedürfnissen des Pferdes – am nächsten kommen langfaseriges, gut strukturiertes Heu und Stroh. Werden gemäss der geltenden Grundregel für pferdegerechte Fütterung pro Tag mindestens 1 bis 1,5 Kilo Heu pro 100 Kilogramm Körpergewicht des Pferdes gefüttert, bedeutet das für ein 600 Kilogramm schweres Pferd also eine Menge von wenigstens 6 bis 9 Kilogramm Heu.

Ist das Heu zu knapp, zu teuer, oder reagiert ein Pferd allergisch auf Heustaub, kann auch Silage oder Haylage verfüttert werden. Silage ist in der Regel bezogen auf die Trockensubstanz energiereicher als Heu, was bei der Rationsberechnung berücksichtig werden muss. Ersetzt man das Heu im gleichen Umfang (bezogen auf die Trockensubstanz) mit Silage, wird das Pferd zu dick, füttert man weniger, wird das Kaubedürfnis nicht befriedigt. Deshalb ist es sinnvoll, dem Pferd zusätzlich Stroh anzubieten.

Stehen Pferde auf sauberem Stroh, an dem sie zwischendurch knabbern können, oder wird gezielt Stroh zugefüttert, entstehen dadurch zwei Vorteile: Der Rohfaseranteil an der Nahrung, der mit Heu alleine kaum abgedeckt werden kann, wird weiter erhöht und das Pferd ist noch länger mit Kauen beschäftigt. Die Rohfaser im Stroh ist allerdings für das Pferd schwerer verdaulich als jene im Heu und kann bei zu grosser Menge zu Verstopfungen im Dünn- oder im Dickdarm führen. Ein Kilogramm Stroh pro hundert Kilogramm Körpergewicht des Pferdes ist gemäss Brigitta Wichert gut vertretbar; sie warnt aber: «Höhere Gaben sind gefährlich.»

Auch für das Gemüt des «Dauerfressers» Pferd ist die Aufnahme von Raufutter respektive die damit verbundene Kautätigkeit von grosser Bedeutung. An einem Kilogramm Heu knabbert das Pferd rund 40 bis 60 Minuten lang. Beim Kauen entspannt es sich und seine Herzfrequenz sinkt. Das natürliche Kaubedürfnis wird gestillt und das Pferd ist sinnvoll beschäftigt. Es steht in dieser Zeit weder gelangweilt in seiner Box herum noch sucht es sich unerwünschte Ersatzhandlungen wie Holznagen oder Kotfressen. Das lange, ruhige Mahlen von Raufutter ist zudem notwendig für einen gleichmässigen Zahnabrieb.

Raufutter sollte stets verfügbar sein
Beim Kauen wird die Ohrspeicheldrüse aktiviert, die eine grosse Menge an Flüssigkeit produziert, mit der das zerkaute Heu gründlich eingespeichelt wird. Der gut durchfeuchtete Futterbrei neutralisiert den sauren Mageninhalt, der mit Salzsäure durchsetzt ist und bei ungenügender Pufferung die Magenschleimhaut angreifen kann. «Dadurch werden auch ein optimaler pH-Wert für die Verdauung im Dünndarm gewährleistet sowie gute Bedingungen für die mikrobielle Verdauung im Dickdarm geschaffen», erklärt Wichert.

Wichtig ist ausserdem, dass Raufutter regelmässig angeboten wird, am besten gut verteilt den ganzen Tag über. Wird zusätzlich Kraftfutter verabreicht, sollte das Heu immer davor gefüttert werden, Stroh jedoch danach. Ein Pferd sollte nie länger als vier Stunden am Tag ohne die Möglichkeit zur Aufnahme von Raufutter sein, ansonsten kann es zu Magenproblemen, Koliken oder Verhaltensstörungen kommen. Um die Fresszeit zu verlängern ohne die Menge zu erhöhen, kann zu verschiedenen Massnahmen gegriffen werden. Die einfachste ist das Mischen von Heu mit Stroh, es kann aber auch in engmaschige Heunetze gefüllt oder über einen Raufutterautomaten verabreicht werden.

Nicht nur Art, Menge und Verabreichungsform von Raufutter sind entscheidend, sondern auch die Qualität. «Das Pferd ist besonders sensibel gegenüber verdorbenen und kontaminierten Futtermitteln», schreiben Ueli Wyss und Brigitte Strickler von Agroscope in ihrem Merkblatt «Gute Raufutterqualität für Pferde» (ALP aktuell, Nr. 41).

Drei Merkmale bestimmten die Qualität des Raufutters: Der Gehalt an Nährstoffen, allen voran der erwähnten Rohfaser. Die botanische Zusammensetzung, wobei ein gräserreicher Mischbestand aus 80 Prozent Gräsern (zum Beispiel Knaulgras, Fromental, Wiesenschwingel, Wiesenrispe, Fuchsschwanz, Raigras), 15 Prozent Kräutern und 5 Prozent Leguminosen als optimal erachtet wird. Ausserdem muss das Raufutter frei von Staub, Erde, Unkraut, Giftpflanzen und Kadavern (Botulismusgefahr!) sein und sich durch eine geringe Belastung mit Schimmelpilzen und Bakterien auszeichnen.   

Heu mit Nase, Augen und Händen prüfen
Relevant ist auch der Zeitpunkt der Ernte: Heu für die Pferdefütterung wird im Idealfall in der ersten Hälfte der Grasblüte geschnitten. Sorgfältige Erntearbeiten sind dabei ebenso wichtig, wie gute Witterungsbedingungen, damit das geschnittene Gras gründlich trocknet. Heu kann sechs bis acht Wochen nach der Ernte verfüttert werden, aber bei guten Bedingungen – sauber, trocken, vor Sonnenlicht geschützt – auch problemlos ein bis zwei Jahre gelagert werden. Anhand einer Prüfung mithilfe der Sinne seiner Nase, Augen und Hände kann der Pferdebesitzer eine erste Qualitätsbeurteilung vornehmen. Gutes Heu riecht angenehm und aromatisch, ist also weder fad noch muffig. Es sieht grünlich bis bräunlich aus, viele Stängel und Rispen sind erkennbar und es ist nicht offensichtlich verunreinigt. Die Struktur fühlt sich im Griff kräftig, rau und steif an und ist nicht zu weich.

Ein Laie kann die Qualität von Heu allerdings nur grob beurteilen. Auch über die Nährwerte sagt eine sensorische Prüfung wenig aus. Dieser kann auch von einer erfahrenen Person anhand des Entwicklungsstadiums und der botanischen Zusammensetzung nur geschätzt beziehungsweise in Tabellenwerten nachgeschlagen werden. Wer sich bezüglich der Qualität seines Raufutters unsicher ist, sollte es von einem Labor testen lassen.