Dub ——— dub dub dub — dub — dub dub ——— dub – das Herz von «Cancun des Jordils» schlägt völlig unregelmässig. Colin Schwarzwald, der Spezialist für Pferdeherzen, hält sein Stethoskop an die Brust des grossen Wallachs. Es ist morgens kurz nach acht Uhr, sein Patient ist seit Mitternacht nüchtern und an mehreren Stellen rasiert. Der Eingriff, der dem siebenjährigen Sportpferd bevorsteht, wird in Zürich derzeit etwa dreimal pro Jahr gemacht. Die Klinik ist eines von nur etwa einem Dutzend Zentren weltweit, die mit der «transvenösen elektrischen Cardioversion» (TVEC) Erfahrung haben. Dabei soll ein kräftiger Stromstoss Cancuns Herz in den richtigen Rhythmus zurückbringen. 

Vor drei Wochen nahm seine Besitzerin mit ihm an einem Springkurs teil. «Er war energielos. Vor einem kleinen Hindernis wollte er stoppen, obwohl er die Woche zuvor noch problemlos 115 Zentimeter übersprungen hatte», berichtet sie. Als Cancun nach zwei Tagen Erholungszeit auch im Galopp viel langsamer war als sonst, rief sie den Tierarzt. «Wir wussten, da stimmt etwas nicht.» Die Diagnose: Vorhofflimmern.

Kostspieliger Eingriff
Bei dieser Herzrhythmusstörung bringen die Herzvorhöfe keine Kontraktion mehr zustande. Sie tragen etwa 20 Prozent zur Herzleistung bei, indem sie sich rhythmisch zusammenziehen und das Blut in die Herz-Hauptkammern pumpen. Gesteuert wird das durch elektrische Nervenimpulse. Beim Vorhofflimmern aber ist die «Stromleitung» defekt. «Vorhofflimmern ist beim Pferd die häufigste Herzrhythmusstörung, die zu einer Leistungseinbusse führt», sagt Schwarzwald, der seit 2012 die Pferdeklinik an der Vetsuisse-Fakultät der Universität Zürich leitet. 

Bei der kardiologischen Untersuchung mit EKG im Trab und im Galopp am Vortag entdeckte der Spezialist etwas Bedrohliches: «Bei Belastung bekommt Cancun zusätzlich noch gefährliche Herzrhythmusstörungen, die jederzeit zum Herzstillstand führen könnten. Ein solches Pferd können Sie nur noch auf die Weide stellen. Es zu reiten, wäre zu riskant.» Dasselbe gelte im Fall von Cancun auch für die medikamentöse Behandlung. Die Besitzerin entschied sich für den Eingriff, der rund 5500 Franken kostet. Das Know-how dafür hat Schwarzwald in den USA erworben. Inzwischen bildet er selbst Kollegen aus und ist einer der wenigen Pferdekardiologen, die auch wissenschaftlich tätig sind.

Als das grosse Pferd im Operationssaal eintrifft, ist es bereits mit einem Infusionsschlauch «verkabelt». Sensoren, mit Klemmen an den rasierten Stellen am Hals und an der Brust befestigt, zeichnen seine Herzströme auf. Die Narkoseärztin sorgt dafür, dass Cancun stehend schläft.

Schwarzwald setzt am Hals eine Betäubungsspritze. Hier wird er den ersten von zwei Kathetern einführen. Mit sterilen Handschuhen ausgerüstet, punktiert er die Halsvene und führt den rund 1,8 Meter langen und 2,3 Millimeter dünnen Katheter ein. Nun beginnen knifflige 90 Minuten. Seine Kollegin Katharyn Mitchell hält derweil eine Ultraschallsonde an den Brustkorb des Patienten. Auf einem Monitor verfolgt sie den Weg des Katheters. «Jetzt ist er im Herzvorhof», teilt sie dem Tierkardiologen mit.

Heikle Prozedur
Dieser Katheter soll aber noch weiter: Durch die rechte Hauptkammer des Herzens und weiter in die grosse Arterie, die zur linken Lunge führt. Behutsam schiebt Schwarzwald ihn vom Hals her vor, fast ist er am Ziel – da «biegt» die widerspenstige Katheterspitze wieder in die rechte anstatt in die linke Lungenarterie ab. Zum x-ten Mal. Es ist zum Haareraufen, aber der Herzspezialist bleibt ruhig. «Ich versuche es mit einem anderen Katheter», sagt er schliesslich. Mehrere Tausend Franken kosten solche High-Tech-Geräte. Dass die TVEC trotzdem kein Verlustgeschäft für die Pferdeklinik sei, liege daran, dass die Katheter sterilisiert und mehrfach verwendet würden. 

Den nächsten kann Schwarzwald auf Anhieb richtig platzieren. Auch der zweite Katheter, dessen Spitze im rechten Herzvorhof liegen muss, ist rasch gelegt. Ein Röntgenbild bestätigt die korrekte Lage. So wird der Stromstoss optimal durch das Herz fliessen.

Nun folgt ein heikler Teil der Prozedur: Das Pferd muss narkotisiert und abgelegt werden. Cancun bekommt ein ledernes Schutzpolster über den Kopf, um seine Brust wird ein EKG-Gerät geschnallt, das drahtlos übermittelt. Als das Pferd schliesslich auf einer Art Luftmatratze am Boden liegt, intubieren die Anästhesistinnen es, während die Tierpfleger sich um den Blasenkatheter kümmern und die Pferdebeine mit Polstern schützen. Jeder Handgriff des Teams sitzt.

«Viele Pferde mit Vorhofflimmern werden gar nicht bei uns an der Klinik vorgestellt», sagt Schwarzwald, während er wartet, bis «sein» Part weitergeht. Anders als beim Menschen, sei diese Herzrhythmusstörung bei Pferden keine typische Alterserkrankung. «Das kommt auch bei jungen Rennpferden vor. Ebenso kommt es vor, dass ein Pferd während einer körperlichen Belastung plötzlich tot umfällt.» Ursache dafür ist jedoch selten das Vorhofflimmern, sondern häufig andere Rhythmusstörungen infolge von schweren Herzklappendefekten oder Herzmuskelerkrankungen. Einen Vorteil haben Pferde immerhin: Die gefürchtete Komplikation des Vorhofflimmerns beim Menschen, der Schlaganfall, tritt bei ihnen nie auf. 

«Trotzdem ist es wichtig, Herzgeräusche abzuklären. Manche sind harmlos, andere bewirken gefährliche Herzrhythmusstörungen. Allein durchs Abhören lässt sich das nicht unterscheiden», sagt Schwarzwald. Solche bedrohlichen Herzrhythmusstörungen seien häufiger, als Tierärzte vermuten würden. 

Das Timing ist entscheidend
Inzwischen ist Cancun intubiert, der Sauerstoffgehalt in seinem Blut gemessen und alles parat für die TVEC. «Achtung, alle weg!», warnt Schwarzwald. Dann gibt das Gerät den 100 Joule starken Stromstoss ab. Ein heftiger Ruck geht durch das Pferd. Der Anblick ist nichts für schwache Nerven. Gebannt blickt das Team auf den Monitor – keine Veränderung der Herzstromkurve. Meist brauche es etwa vier Versuche, erklärt der Herzspezialist. Nach einigen Minuten Pause folgt der nächste Stromstoss, diesmal mit 125 Joule. 

Ganz wichtig ist das exakte Timing. Im falschen Moment verabreicht, könnte die Behandlung anstatt zu helfen zum lebensgefährlichen Herzkammerflimmern oder zum Herzstillstand führen. Wieder zuckt das Pferd zusammen. Dann bricht Jubel aus: Das Pferdeherz schlägt wieder normal: Dub —dub, dub — dub, dub — dub. Kurz darauf wird Cancun mit einer Transportvorrichtung in die Aufwachbox gehievt, in der er nach 40 Minuten wieder auf die Beine kommt. Eine Stunde später steht das Pferd in der Box. Ein EKG, mit Brustgurt befestigt, überwacht permanent seinen Herzschlag. Nach einer weiteren Herzultraschall-Untersuchung drei Tage später darf der Patient in den heimischen Stall zurück. 

Ob der Erfolg von Dauer ist, ist offen. «Bei Rennpferden haben etwa fünf Prozent einen Rückfall. Bei Warmblütern wie Cancun sind es 30 Prozent oder mehr», sagt Schwarzwald. Vorbeugend bekommt der Wallach deshalb einen Monat lang ein Herzmedikament und wird dann nochmals untersucht. Bleibt alles wie gehabt, wird er danach wieder die Sprünge nehmen, als wäre nichts gewesen.