Wer schwächelt, wird zurückgelassen und fällt den Wölfen zum Opfer. Auch wenn das moderne Freizeit- und Sportpferd im heimischen Stall in Sicherheit ist, trägt es diese Urangst in sich. Als  Herden- und Beutetier für Raubtiere vermeiden Pferde deutliche Schmerzäusserungen. Während der Hund jault, haben Pferde keinen Laut, mit dem sie auf Schmerzen aufmerksam machen: Sie leiden still. Das heisst nicht, dass Pferde weniger empfindlich sind, aber sie zeigen Schmerzen oft nur sehr subtil.  

Das Erkennen von Krankheits- und Schmerzanzeichen bei Pferden ist daher keine einfache Angelegenheit. Selbst erfahrene Pferdeleute werden unsicher, wenn ihr Pferd müde und lustlos ist oder sonst ein ungewohntes Verhalten zeigt und sich die Frage stellt: «Geht es meinen Pferd gut?» 

Die Zweifel und die Sorge um den Gesundheitszustand des Pferdes kann dazu führen, dass der Tierarzt ohne Grund aufgeboten wird – und das womöglich noch spät am Abend oder am Wochenende. Wird der Tierarzt hingegen nicht beigezogen, riskiert man im Ernstfall das Verschleppen einer schweren Krankheit. Den meisten Tierärzten ist es daher lieber, sie werden einmal zu viel als einmal zu wenig gerufen. Oft kann der Veterinär schon am Telefon entscheiden, ob ein sofortiger Besuch nötig ist. Das setzt allerdings voraus, dass es dem Anrufer möglich ist, die dafür notwendigen Informationen zu liefern. 

Schwitzen, scharren, wälzen

Jeder Besitzer, Halter und Reiter sollte eine kleine Gesundheitsbeurteilung seines Pferdes vornehmen können und die wichtigsten Parameter im Rahmen einer täglichen Minimalkontrolle überprüfen. Dabei achtet man auf Abweichungen vom Normalzustand und kann bei Veränderungen reagieren. 

Erste Hinweise ergeben sich aus der Umgebung des Pferdes und seinem Verhalten. Ist die Futterkrippe blitzblank leer gefressen, die Tränke benutzt, die Einstreu nicht zerwühlt, und das Pferd begrüsst seinen Menschen wie gewohnt und wirkt dabei zufrieden und entspannt, dürfte alles in Ordnung sein. Warnsignale sind hingegen ein verändertes Fress-, Kot- und Harnabsatzverhalten, offensichtliches Unwohlsein, eine angespannte Gesichtsmimik, schnelle Atmung sowie Schwitzen, Scharren oder häufiges Hinlegen und Wälzen, was auf eine Kolik hindeuten kann. 

Diese Schmerzen im Bauch- oder Beckenraum können Organe wie Niere oder Blase betreffen, aber besonders oft den hochsensiblen Verdauungstrakt. Dieser ist anfällig für eine Vielzahl von Störungen, die von einer Magenverstimmung über eine Krampf-, Aufgasungs- oder Verstopfungskolik bis zu einem lebensbedrohlichen Darmverschluss reichen können. Eine Kolik ist daher immer ein Notfall und muss von einem Tierarzt beurteilt und behandelt werden. Das Gleiche gilt für alle grossflächigen, blutenden Verletzungen und starke Lahmheiten.

Eine tägliche Kontrolle, zum Beispiel während des Putzens vor und nach dem Reiten, gibt aber auch Rückschlüsse auf kleinere Veränderungen im äusseren Erscheinungsbild. Das Fell eines gesunden Pferdes ist glatt, glänzend und ohne Verletzungen und Schwellungen. Die Gesichtsmimik sollte entspannt sein, die Augen ruhig und klar, die Nüstern sauber und trocken. Das Pferd sollte ruhig und geräuscharm atmen. Ein rasselnder Atem, ein erhöhte Atemfrequenz, Atemnot, sichtbar aufgeblähte Nüstern oder Husten über mehrere Tage müssen abgeklärt werden. Probleme mit den Zähnen können vorliegen, wenn das Pferd übel aus dem Maul riecht, schlecht frisst oder Futter aus dem Maul fallen und sich nur noch widerwillig aufzäumen lässt.

Schwellungen, Schrammen, Wunden

Gesunde Pferdebeine fühlen sich kühl an, sie sollten «klar» sein, ohne offensichtliche Verletzungen, Schwellungen und Verdickungen. Letztere sind vor allem gefährlich, wenn sie sich im Bereich der Sehnen befinden – auch wenn das Pferd (noch) nicht lahm geht. Kleinere Wunden und Schrammen müssen bei Entdecken sofort desinfiziert und die nächsten Tage beobachtet werden. Schwillt der Bereich an, könnte eine Infektion vorliegen. Die Hufe sollten äus­serlich unversehrt sein – auch von unten. Wie die Beine sollten sie sich gleichmässig kühl anfühlen. 

Wärme deutet auf eine Entzündung hin, zum Beispiel der Huflederhaut. Ein Blick auf die Hufeisen verrät, ob diese regelmässig abgelaufen werden. Ist das nicht der Fall, könnte ein Problem am Bewegungsapparat vorliegen. Bei Verdacht auf eine Lahmheit lässt man sich das Pferd erst im Schritt, dann im Trab vorführen. Ist das Pferd hochgradig lahm, belastet es also schon im Stehen ein Bein nicht mehr und hinkt im Schritt deutlich, sollte es bis zum Eintreffen des Tierarztes nicht mehr bewegt werden. 

Weitere wichtige Hinweise liefern dem Tierarzt Veränderungen der sogenannten PAT-Werte: Puls (im Normalbereich 28 bis 40 Schläge), Atmung (8 bis 16 Atemzüge pro Minute) und Temperatur (zwischen 37 und 38 Grad). Um die leiseren Warnsignale des Pferdekörpers wahrzunehmen, braucht es manchmal ein sehr feines Gespür. Doch dieses wächst, je länger und je besser ein Reiter sein Pferd kennt. Wer seinen Vierbeiner über Jahre betreut, bemerkt meist schon in einem sehr frühen Stadium, dass etwas nicht stimmt, und kann entsprechend reagieren.