Schnappt das Pferd mit seiner Beisskraft von rund einer Tonne zu, ist das für den Menschen sehr schmerzhaft. Auf diese Weise gingen schon Finger verloren. Häufiger sind jedoch Quetschungen und allenfalls Fleischwunden. Fliesst Blut und ist die letzte Tetanusimpfung schon längere Zeit her, ist der Gang zum Arzt ohnehin angebracht. Doch meistens bleibt es bei einem blauen Fleck, einem tief sitzenden Schreck und der Frage: «Wieso hat das Pferd zugebissen?»

Das Pferd ist von Natur aus kein Kämpfer. Es ist nicht territorial, hat also weder ein Revier zu erobern noch zu verteidigen. Die meisten Auseinandersetzungen im Herdenverband sind daher Rangordnungskämpfe, wobei Kraft vor allem mit Imponiergehabe und Drohen demonstriert wird. «Im Allgemeinen begnügen sich Pferde mit kampfvermeidenden Verhaltensweisen, zu denen Droh- und Unterlegenheitsgebärden gehören», schreibt die renommierte Verhaltensforscherin Margrit Zeitler-Feicht in ihrem Buch «Pferdehaltung».

Dabei werde immer nur so viel aggressives Verhalten gezeigt, wie es die Situation erfordert. Wenn das Herdengefüge stabil ist und ausreichend Platz vorhanden ist, genügen gemäss Zeitler-Feicht in der Regel ein leichtes Ohrenanlegen oder Verziehen der Nüstern und Maulwinkel, um andere Tiere in ihre Schranken zu weisen. Aggressive Drohformen werden überwiegend von Pferden gezeigt, die eine ranghöhere Position innehaben. Dazu zählt die Expertin auch das Drohbeissen und das Beissen. 

Das Pferd muss die Regeln kennen
Für übertriebene Aggressivität, auch dem Menschen gegenüber, gibt es eine genetische Komponente. Es ist bekannt, dass gewisse Hengstlinien vor allem in der Springpferdezucht aggressives Verhalten vererben. Es kommt allerdings häufiger vor, dass Rangordnungsprobleme in der Beziehung mit dem  Pferdebesitzer oder Reiter, Angst oder Schmerzen der Auslöser für das aggressive Verhalten sind. 

Grundsätzlich müssen Pferde von klein auf gewisse Verhaltensregeln erlernen, damit der Umgang mit ihnen auch später problemlos und vor allem gefahrlos erfolgen kann. Natürlich ist es niedlich, wenn das putzige kleine Fohlen einem an den Fingern nuckelt oder spielerisch an der Jacke herumknabbert. Doch wächst das Fohlen zum kraftvollen Jungpferd heran, wird aus dem Spiel schnell schmerzhafter Ernst. Ein Grossteil der Pferde sucht im Zusammenleben mit dem Menschen immer wieder die Grenzen. Wird der Zahnkontakt zwischen Mensch und Pferd nicht von Anfang an strikt unterbunden, ist es schwierig, dem Vierbeiner nachträglich klarzumachen, weshalb Knabbern, Zuschnappen und Beissen nun nicht mehr erwünscht sind. 

Gegen das spielerische und oftmals freche und fordernde Beissen und Schnappen nach Kleidungsstücken – in denen das Pferd zu Recht Leckerlis vermutet – hilft nur strenge Konsequenz in der Zurechtweisung. Das kann ein strenges «Nein» sein, verbunden mit einem Klaps auf die Nase, der dem Pferd nicht wehtut, ihm aber deutlich zeigt, dass sein Verhalten unerwünscht ist. Noch mehr Erfolg hat, wer die Absichten seines Pferdes vorausahnt und es mit einem deutlichen «Nein» und der erhobenen Hand schon in die Schranken weist, bevor es zuschnappen kann. Unterlässt das Pferd dann das Beissen, muss es ausgiebig belohnt werden. Durch diese positive Verstärkung wird es umkonditioniert, es lernt, dass friedliches Verhalten erstrebenswerter ist als Beissen.

Ursachenforschung betreiben
Manche Pferde machen sich jedoch ein Spiel daraus, eine Reaktion des Menschen zu provozieren. Dann hilft nur konsequentes Ignorieren, was wiederum vom Pferdebesitzer oder Reiter ein hohes Mass an Geduld und Durchhaltevermögen verlangt. Belohnt wird er früher oder später mit einem Pferd, das gelernt hat, dass seine Provokationen nichts bringen und sie früher oder später einstellt. 

Manche Pferde beissen, weil sie Schmerzen haben oder in einer bestimmten Situation starkes Unbehagen empfinden, zum Beispiel beim Aufsatteln oder dem Anziehen des Sattelgurts. Im ersten Fall muss eine gründliche Abklärung durch den Tierarzt vorgenommen werden, sobald die Ursache für die Schmerzen beim Pferd gefunden werden, normalisiert sich in der Regel auch das Verhalten wieder. Das Gleiche gilt für Situationen wie das Satteln: Hier muss erst Ursachenforschung betrieben werden. Wehrt sich das Pferd, weil der Sattel drückt oder weil es die bevorstehende Arbeit mit negativen Gefühlen verknüpft? 

Schwieriger wird es mit Pferden, die aus Angst oder Unsicherheit aggressiv reagieren und beissen. Sehr oft haben diese Vierbeiner in ihren Leben schon eine Menge erlebt – und nicht nur gute Erfahrungen mit Menschen gemacht. Fehler in der Aufzucht, unsachgemässe Behandlung, Gewalt, Überforderung in der Ausbildung, falsche Haltung – das alles kann dazu beitragen, dass Pferde aggressiv werden. Jedes Pferdeschicksal muss dabei einzeln betrachtet werden und ein individueller Lösungsweg gefunden werden. Doch selbst dann kann es lange dauern, bis das Pferd wieder zu einer positiven Grundhaltung dem Menschen gegenüber findet, wieder Vertrauen fasst und nicht mehr versucht ist, sich mit Beissen zu wehren.