D ie warmen Temperaturen der letzten Wochen in Kombination mit den gros­sen Niederschlagsmengen haben dazu geführt, dass sich die Zecken-Population extrem vermehren konnte. Entsprechend aktiv sind die blutsaugenden Parasiten momentan – und sie hinterlassen ihre Spuren. Laut dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) wurden bis Ende Mai 11 000 Arztbesuche wegen Zeckenstichen sowie 2900 akute Fälle von Borreliose gemeldet. Auch die kostenlose Präventions-App «Zecke» der Zürcher Universität für angewandte Wissenschaften ZHAW verzeichnete für April und Mai so viele Stichmeldungen wie im gesamten Vorjahr. «Eine so hohe Aktivität wie im vergangenen Mai hatten wir noch nie», sagt Werner Tischhauser, Umweltingenieur und Zeckenexperte der ZHAW.

Zu den Opfern von Zecken zählen aber nicht nur Menschen, Hunde und Katzen, sondenr auch Pferde. Obwohl eine adulte Zecke bei einer Blutmahlzeit bis zum Hundertfachen ihres eigenen Körpergewichts aufnehmen kann, ist der Blutverlust für den Wirt nicht problematisch. Gefährlich für Mensch und Tier sind die verschiedenen Krankheiten, die durch Zecken übertragen werden. 

Viele Infektionen bleiben unbemerkt
Eine davon ist die Lyme-Borreliose, die durch den bakteriellen Erreger Borrelia burgdorferi hervorgerufen wird. In der Schweiz trägt im Durchschnitt jede fünfte Zecke diese Borrelien in sich, in manchen Gebieten sogar jede zweite. Jährlich werden laut Sentinella-Meldesystem des BAG beim Menschen zwischen 12 000 und 14 000 neue Infektionen diagnostiziert. Die Dunkelziffer ist allerdings gross. Werner Tischhauser schätzt, dass die Zahl der tatsächlichen Infektionen rund drei Mal höher liegt, da viele Zeckenbisse und Borreliose-Erkrankungen oft unbemerkt bleiben oder nicht als solche erkannt werden. 

Auch für Pferde gibt es keine verlässlichen Zahlen oder Statistiken zu Borreliose-Erkrankungen. Blutuntersuchungen haben jedoch gezeigt, dass in Europa fast jedes dritte Pferd Kontakt mit dem Erreger hatte. Doch nicht jedes Pferd, das mit Borrelien infiziert ist, erkrankt auch klinisch. Bei einem Grossteil wird das körpereigene Immunsystem mit den Bakterien fertig. Sie zeigen nach einer Infektion keine Symptome, während andere Tiere Tage oder Wochen später krank werden. Die Frühsymptome wie leichtes Fieber, fehlender Appetit oder Mattigkeit sind jedoch unspezifisch und werden vom Pferdebesitzer oftmals gar nicht erkannt oder als vorübergehende Unpässlichkeit angeschaut. 

Unbehandelt wandern die spiralförmigen Borrelien weiter durch den Pferdekörper und können Gewebeschäden und schmerzhafte Entzündungen, zum Beispiel in den Gelenken, auslösen. Die Symptome sind dann vielfältig und reichen von Bewegungsunlust und Steifheit über Muskelverspannungen, Gelenkschwellungen bis hin zu wechselnden Lahmheiten. In seltenen Fällen befallen und schädigen die Borrelien Organe wie die Augen, Leber, das Herz oder das Nervensystem.

Aufgrund der Krankheitsanzeichen alleine kann die Diagnose Borreliose nicht gestellt werden. Und nicht alle undefinierbaren Lahmheiten und therapieresistenten Allgemeinerkrankungen lassen sich auf Lyme-Borreliose schieben. Doch selbst bei einem begründeten Borreliose-Verdacht ist der Nachweis am lebenden Pferd schwierig. Eine Ansteckung kann mittels Antikörpertiter-Test im Blutserum zwar festgestellt werden. Ein positives Ergebnis ist jedoch kein Hinweis auf das Vorliegen einer akuten Infektion. Es sind weitere aufwendige Tests nötig, zum Beispiel kann versucht werden, den Erreger aus Blut, Rückenmarks- oder Gelenksflüssigkeit oder Hautstanzproben direkt nachzuweisen. Da auch dies nicht immer gelingt, bleibt es vielfach beim Verdachtsfall.

Das Mittel der Wahl bei einer bakteriellen Infektion wie der Lyme-Borreliose ist Antibiotika. Je frischer die Infektion, desto besser sind die Aussichten auf eine vollständige Heilung. Die Krankheit wird bei Pferden meist erst im chronischen Stadium erkannt, was die Behandlung schwierig und langwierig macht. 

Aktive und inaktive Borrelien 
Die Borrelien kommen im Pferdekörper in zwei verschiedenen Stadien vor: aktiv und inaktiv. Das Antibiotikum wirkt nur auf die aktiven Erreger. Die Therapie muss deshalb über einen längeren Zeitraum konsequent durchgeführt werden. Dazu gibt es verschiedene Behandlungsschemen. Bewährt haben sich Antibiotikagaben – entweder oral vom Pferdebesitzer verabreicht oder vom Tierarzt per Injektion in die Muskulatur oder Vene gespritzt – über einen Zeitraum von mindestens 21 Tagen oder erst über 10 Tage, dann 10 Tage Pause, und nochmals über 10 Tage. Antibiotika-Kuren bergen immer das Risiko von Nebenwirkungen, von denen beim Pferd besonders die Kolitis gefürchtet ist. Zur alternativen Behandlung setzen Homöopathie beziehungsweise Phytotherapie auf pflanzliche Wirkstoffe wie Goldrutenkraut, Propolis, Spirulinaalgen oder Knoblauch, wobei deren Wirksamkeit sehr umstritten ist.

Lyme-Borreliose lässt sich nicht immer erfolgreich behandeln. Das berühmteste Beispiel dafür ist das Pferd Chacco Blue, das dem ehemaligen deutschen Olympiareiter und Pferdezüchter Paul Schockemöhle gehörte. Der damals 14-jährige und höchst erfolgreiche Sport- und Zuchthengst brach im Sommer 2012 tot zusammen – ein halbes Jahr zuvor war bei ihm Lyme-Borreliose als Krankheit diagnostiziert und behandelt worden.

Der beste Schutz vor einer Infektion mit Lyme-Borreliose und anderen durch Zecken übertragbaren Krankheiten ist das Verhindern von Stichen. Beim Pferd, das sich auf der Weide und beim Ausreiten in Zecken-Gebiet aufhält, ist das jedoch fast nicht möglich. Verschiedene Insektenschutzmittel zum Aufsprühen sollen gegen Zecken wirken, was aber nicht immer ausreichend der Fall ist. 

Für Pferdebesitzer ist es beruhigend zu wissen, dass ihr vierbeiniger Liebling nicht sofort nach einem Stich dem Infektionsrisiko ausgesetzt ist. «Nachdem sich eine Zecke bei ihrem Wirt festgesaugt hat, dauert es zwischen 16 und 24 Stunden, bis die Übertragung der Borreliose-Erreger beginnt», sagt Experte Werner Tischhauser.

Hoffen auf einen heissen Sommer
Je rascher eine Zecke entfernt wird, desto besser. Entdeckt man bei sich oder seinem Haustier eine Zecke, packt man das Tier so nah wie möglich an der Haut mit einer feinen Pinzette, einer Zeckenzange – oder notfalls auch mit den Fingernägeln – und zieht es mit einem festen Ruck heraus.

«Bleibt dabei der Kopf der Zecke drin, ist das nicht so schlimm. Die krankmachenden Erreger sitzen im Magen der Zecke, weshalb der Körper so rasch wie möglich entfernt werden sollte», sagt Tischhauser. In den ersten Stunden nach einem Stich sind die Zecken noch nicht so festgesogen, sodass sie beim Pferd beim täglichen Putzen mit Striegel und Bürste abgestreift werden. 

Zu einer Entspannung der Zeckenplage könnte ein heisser Sommer führen. «Zecken vertragen keine Hitze. Nach vier bis fünf Tagen mit über 30 Grad nimmt ihre Aktivität deutlich ab», sagt Tischhauser. Nach einer kurzen Sommerpause haben die kleinen Blutsauger dann im Herbst, in der Regel zwischen September und Oktober, nochmals eine zweite Hochsaison. Die veränderten klimatischen Bedingungen haben jedoch dazu beigetragen, dass die Zeitenspannen, in denen die Zecken aktiv sind, immer länger werden.