Wenn Hans-Jörg Blaser aus Olten abends nach Hause kommt, sitzt er gerne am Rio Negro. Später steigt er die Kellertreppe hinunter und geniesst den Malawisee in Ostafrika. Eine schöne Reise und ganz ohne lange Flugstunden. Wie das gelingt? Hans-Jörg Blaser ist Aquarianer. Den Rio Negro geniesst der Umweltnaturwissenschaftler vor seinem viereinhalb Meter langen 3000-Liter-Aquarium im Wohnzimmer. Die Wassertemperatur schwankt zwischen 28 und 30 Grad, Skalare, Rotkopf-, Spritz- und Rote Neonsalmler ziehen durch die Fluten, Diskusfische funkeln zwischen dem Dunkelgrün von Amazonas-Schwertpflanzen, Beilbauchfische flitzen an der Wasseroberfläche. Im Quarzsand wuseln die Smaragdpanzer- und Sterbaswelse, ein Harnischwels raspelt eine Moorkienholzwurzel ab, eben wie im Rio Negro.

[IMG 2]

Einziger Unterschied: In Blasers Aquarium ist das Wasser nicht trüb bis bernsteinfarben, sondern glasklar. Es wird mechanisch über Bürsten, dann auch biologisch über Filterwatte und Lavasteine in einem Dreikammersystem gefiltert. Der richtige Strom vereint sich unterhalb der brasilianischen Stadt Manaus mit dem Amazonas. Bei Hans-Jörg Blaser steht er an der Wohnzimmerwand. Doch damit nicht genug: Beim Spezialisten sind viele weitere Flussabschnitte derTropen zu finden. Im Keller blubbert Wasser in rund 40 Aquarien. Der grosse, längliche Raum gleicht einer einzigartigen Märchenwelt. Farbig schillern Fische aus übereinanderliegenden Aquarien mit Steinaufbauten, Wurzeln und Wasserpflanzen.

[IMG 3]

An der Stirnseite tummeln sich der Rote Oskar und seine Kollegen. Sie blicken grimmig durch die Scheibe, schaukeln hin und her, fächeln. Doch die Oskars sind nicht etwa verstimmt. Pfauenaugenbuntbarsche schauen einfach so – und werden tatsächlich mit diesen beiden deutschen Namen angesprochen. «Wenn ich die Südamerikaner füttere, ist die Ruhe vorbei», sagt Blaser und lächelt. Er reicht den Amazonas-Fischen dreimal in der Woche Stinte, kleine Fische. Über den feinen, hellen Sand am Grund segeln Leopoldsrochen. Ob Blaser seinen Wohnzimmer-Rio-Negro toppen kann? Kann er – mit dem Oskar-Aquarium im Keller. Das 4200-Liter-Süsswasseraquarium hat er selbst gebaut und zur Haltung der Rochen eine kantonale Bewilligung erlangt.

Spannendes Programm im Nahseher

Die Leidenschaft für Fische begann beim 55-Jährigen bereits als Kind mit einem kleinen Aquarium und Guppys. Doch dabei blieb es nicht lange: «Während der Schulzeit, wandte ich mich schon den ostafrikanischen Buntbarschen zu.» Der Funken zu einem Feuer war entfacht. Wie kann sich jemand überhaupt für Fische begeistern? Hans-Jörg Blaser schmunzelt und erinnert sich an eine Anekdote mit Arbeitskollegen. Er erzählt: «An einem Grillabend sprachen wir über Fische und die Aquaristik.» Zwei Kollegen befanden, dass Fische langweilig seien. «Sie stutzten, als ich sagte, im Keller 40 Aquarien zu haben.» Und sie seien ins Grübeln gekommen und hätten sich gesagt: Wenn einer so viele Aquarien hat, muss doch etwas dran sein. «Ich habe sie dann in meinen Keller eingeladen.» Beide seien sehr erstaunt gewesen, dass es möglich war, einen Abend lang über Fische zu diskutieren. Die Faszination der Wunderwelt hinter Glas hat sie gepackt.

«Das ist mein Nahseher, viel besser als jeder Fernseher.»

Hans-Jörg Blaser über seine Aquarien

Hans-Jörg Blaser sagt mit Überzeugung: «Aquarien sind etwas vom Spannendsten, das es gibt!» Da gebe es immer Neues zum Beobachten. Der Aquarianer schwärmt vom Lebenszyklus der Fische. «Wenn sie klein sind, verstecken sie sich – werden sie grösser, gewinnen sie an Selbstvertrauen, schliesslich bilden sie ihre eigenen Reviere.» Die Aquarien seien der perfekte Ausgleich zum Berufsleben. «Das ist mein Nahseher, viel besser als jeder Fernseher», konstatiert der Fischfreund vor einem Aquarium mit Brabant-Buntbarschen aus dem Tanganjikasee in verschiedenen Altersstadien. Tatsächlich schaut er nicht TV. Der Rio Negro im Wohnzimmer genüge ihm vollauf.

[IMG 4]

Dass Aquarien beruhigend wirken, ist erwiesen. Eine Studie der britischen Plymouth-Universität hat bestätigt, dass bei Menschen, die in ein Aquarium sehen, der Blutdruck und die Herzfrequenz sinken. Probanden berichteten gar von einer steigenden Entspannung und guter Grundstimmung. US-Forscher stellten für eine Studie in Esssälen von Pflegeheimen Aquarien auf. Die Folge war, dass die Patienten ihre Portionen besser aufassen. Sie hätten im Schnitt ein Viertel mehr Nahrung zu sich genommen. Bei Demenzpatienten ist das besonders wichtig.

So schlüpfen junge Tropenfische

Hans-Jörg Blaser hält nicht nur Fische, er vermehrt sie auch. Damit dies gelingt, sind tiefgreifende Kenntnisse erforderlich. «Aquaristik ohne Wasserchemie ist schwierig», sagt der Experte. Einige grundlegende Fakten müsse ein Aquarianer schon verstehen, ganz besonders wenn er züchten wolle. Typische Bewohner tropischer Weichwasserflüsse könne er nur in weichem Wasser züchten. Das Wasser, das hier aus dem Hahnen fliesst, ist hart, das heisst, es enthält viel Kalk. «Kalk im Wasser dämpft die Reaktionen und bindet freie Ionen. Fische aus dem Amazonas benötigen einen tiefen Leitwert, also Wasser ohne Kalk mit freien Ionen, sodass ein neutraler pH-Wert entsteht», erklärt der Spezialist.

[IMG 7]

Um das zu erreichen, betreibt er eine Osmoseanlage, die im Zoohandel erworben werden kann. Sie entzieht dem Wasser den Kalk. Das Osmosewasser muss im richtigen Verhältnis mit Leitungswasser gemischt werden. Ohne Osmosewasser würden die Eihüllen von Schwarzwasserfischen, wie etwa des Roten Neons oder des Kaisersalmlers, reissen. Ganz anders ist es da bei den Buntbarschen ostafrikanischer Seen. «Sie leben in der Natur in ähnlichem Wasser, wie wir es bei uns haben», sagt Blaser. Er wechselt das Wasser in seinen Buntbarschbecken direkt mit Leitungswasser.

[IMG 6]

In Nebenzimmern seines Kellers sieht es wie in einem Verteilzentrum eines Wasserreservoirs einer mittelgrossen Gemeinde aus. Hans-Jörg Blaser hat ein ausgeklügeltes System an Leitungen geschaffen. «Bei so vielen Aquarien muss ich den Ablauf schon effizient gestalten», sagt er. Täglich wechselt er bis zu 15 Prozent des Wassers aller Becken. Durch Umlegen eines Hahns wird kaltes Wasser unten in jedes Becken eingelassen. «Warmes Wasser steigt, darum ist der Abfluss oben, so erreiche ich eine stete Wasserdurchmischung.» In jedem Becken betreibt der Aquarianer Mattenfilter, die mit Lufthebern funktionieren. «Dank den unterschiedlichen Strömungsschichten suchen sich Bakterien die entsprechenden Zonen im Filtermaterial aus.» Sie reinigen das Wasser biologisch.

Wenn ein Aquarium neu eingerichtet werde, sei es hilfreich, Filtermaterial eines funktionierenden Beckens zu verwenden. «Wenn sich die Bakterien von null an aufbauen müssen, ist es schwierig, ein Aquarium zu starten.» Blaser empfiehlt, beim Einstieg ein Bakterienprodukt aus dem Zoohandel zu verwenden, wenn kein Filtermaterial eines schon eingefahrenen Aquariums zur Verfügung stehe. Denn: Die Einlaufphase ist heikel, das System komplex. Die eingehende Beschäftigung mit der Aquaristik führt in die Biologie, Chemie und Geografie. Dank Geduld und Kenntnissen entsteht in einem Aquarium ein Kleinbiotop im Wohnzimmer.

An sechs Tagen füttert Blaser seine Fische meist mit gefrorenen Mückenlarven, Mysis, Krill und Artemia. Doch auch hier gilt es, die Bedürfnisse der Fische zu beachten. «Aufwuchsfresser haben einen langen Darm, darum bekommt ihnen dieses Futter nicht, es würde noch im Darm verderben.» Welse, die Algen abraspeln, oder Buntbarsche, die sie vom Felslitoral im See grasen, erhalten darum bei ihm viel Grünkost.

Erhaltung gefährdeter Fische im Zoo

Hans-Jörg Blaser züchtet Fische in ihren Ursprungsformen, also so, wie sie in der Natur schwimmen. Dies sogar bei den Guppys, die heute in zahlreichen Zuchtformen gehalten werden. Blaser bezieht seine Fische von Kollegen oder steht mit Zoos in Kontakt. Eine europaweit bekannte Institution punkto Aquaristik ist der Basler Zoo. Übrigens, einer der wenigen Zoos auf dem Kontinent, die so grosse Fischbestände haben. Der Kurator des Vivariums, Fabian Schmidt, betont: «Ich halte sehr viel vom Engagement privater Süsswasseraquarianer. Ohne deren Erfahrungen, Kenntnisse und Platzressourcen könnten Zoos die gefährdeten Fischarten nicht erhalten.»

[IMG 5]

Das Basler Aquarium zeigt im öffentlichen Bereich in 44 Schaubecken einen Querschnitt durch alle Gewässertypen der Welt. Die Unterwasserwelt ist Teil des 1972 gebauten Vivariums des Basler Zoos. Wie herausragend dieser Bau ist, zeigt die Tatsache, dass anlässlich seiner Eröffnung der Europäische Verband für Kuratoren von Aquarien EUAC gegründet wurde.

Die Ausstellung wird spannend inszeniert: Das Publikum wandelt von der Wasseroberfläche durch Flachwasserzonen stetig tiefer bis in die Meere der Welt. Tropische Süssgewässer Südamerikas, Afrikas, Asiens und Australiens werden im Basler Vivarium lebensecht dargestellt. Zudem schwimmen im Elefantenhaus und auch im Haus Gamgoas, wo die Nilkrokodile leben, afrikanische Fische in Grossgewässern. Weiter widmet sich der Zoo Süsswasserfischen Nordamerikas und Europas. «Wir pflegen vermehrt Arten, die in der Natur bedroht sind und die wir nachziehen können», sagt der Zoologe Schmidt. Dafür stehen im nicht einsehbaren Bereich 59 Becken allein für tropische Süsswasserfische zur Verfügung. Fabian Schmidt sagt, dass sich der Zoo finanziell beim Aufbau einer aquaristischen Abteilung in der Taman Prigen Ark, einer Zuchtstation für bedrohte Tiere in Indonesien, engagiert. Künftig sollen dort nebst seltenen Vögeln und Säugetieren auch bedrohte indonesische Schwarzwasserfische gezüchtet werden.

Gerade die Zucht und Erhaltung tropischer Süsswasserfische sei wichtig. «Es gibt viel weniger Lebensräume im Süsswasser als im Meerwasser», betont der Kurator. Süsswasserfischarten hätten oft kleinere, bedrohte Lebensräume. Deswegen sei eine höhere Artenzahl gefährdet als bei Meerwasserfischen. Das Hauptproblem sei die Zerstörung der fragilen, kleinen Lebensräume, Gewässerverschmutzung und die Ausbreitung einiger invasiver Arten. Im Verband EUAC werden heute erfolgreich Programme zum Schutz von Fischen umgesetzt, beispielsweise bei Zahnkärpflingsarten aus Zentralamerika. «Gerade auch angesichts der hohen Artenzahl bei Fischen sind wir aber auf private Züchter und deren Platzressourcen angewiesen», betont Schmidt. Glücklicherweise seien die Tierpfleger des Aquariums passionierte Aquarianer und hätten ein grosses Netzwerk, auch zu Aquaristikverbänden. Das komme dem Zoo und gefährdeten Fischarten zugute.

[IMG 8]

Auf die Detailversessenheit kommt es an

Die klassischen Zuchtprogramme für Zootiere sind auf Säugetiere ausgelegt. Sie eignen sich nur bedingt für die Aquaristik. Darum sind andere Initiativen gefragt. Wie zum Beispiel der Einsatz für den Rhone-Streber oder Roi du Doubs. Das sei wahrscheinlich einer der gefährdetsten Fische der Schweiz, sagt Schmidt. «Das Engagement des Basler Zoos endet nicht an der Zoogrenze», betont der Kurator, dessen Team auch diese Art züchtet. Zoomitarbeiter und Mitarbeitende der Lausanner Aquatis zählten die Population am Doubs bei nächtlichen Einsätzen im Feld. Ob Tropenfisch oder Doubs-Bewohner, das Basler Zoo-Aquarium hat die gesamte Ichthyologie, also Fischkunde, im Blick.

«Süsswasserfische haben kleine, bedrohte Lebensräume.»

Fabian Schmidt, Kurator Vivarium Zoo Basel

Täglich kümmern sich drei Tierpfleger ausschliesslich um die Aquarien. Zusätzlich ist für das ganze Haus ein Techniker zuständig. Zwischenzeitlich wird zur Beleuchtung der Aquarien nur noch LED verwendet. «Es ist wichtig, dass wir stets auf dem neusten Stand der Technik bleiben.» So werde immer wieder Neues getestet, erklärt Schmidt. Jedes Becken wird separat gefiltert. «Die kleinen Kreisläufe erfordern die volle Aufmerksamkeit der Pfleger.» Doch so könnten artspezifische Bedingungen geschaffen werden. Im Basler Aquarium werden Rieselfilter verwendet, ein rein biologisches System mit übereinanderliegenden Filtermedien, durch die das Wasser fliesst oder rieselt.

Die Wunderwelt unter Wasser, ob in den riesigen Zooaquarien oder im privaten Becken zu Hause, besteht aus vielen Elementen. Auch Fabian Schmidt streicht heraus: «Eine gewisse Detailversessenheit – bei der Technik und der Gestaltung –, mit der an den Becken gearbeitet wird, ist notwendig.» Und das Beispiel von Hans-Jörg Blaser zeigt, wohin ein kleines Aquarium in der Kinderzeit führen kann. Sicher ist: In Aquarien läuft immer ein spannendes Programm.