Wie ein Model auf dem Laufsteg
50 Fragen zu Giraffen
Niemand kann sich dem Reiz von Giraffen entziehen. Auch Dr. Monica Bond ist den anmutigen Exoten erlegen. Die schweizerisch-amerikanische Doppelbürgerin erforscht ihr Leben seit Jahren. 36 Fragen über Giraffen hier, 14 weitere Fragen auf dem verlinkten Artikel.
Wie viele Giraffenarten gibt es?
Das ist noch nicht klar. Die Weltnaturschutzunion IUCN betrachtet sie immer noch als eine Art mit neun Unterarten, aber die meisten Giraffenexperten glauben, dass es sicherlich mehr als eine Art gibt. Manche Genetiker sprechen von drei, manche von vier und andere sogar von sechs. Auf diesem Gebiet gibt es noch viel zu tun.
Beschreiben Sie bitte den Savannen-Lebensraum?
Giraffen sind die Ikonen der afrikanischen Savanne. Eine Savanne ist ein Ökosystem, das aus Bäumen, Büschen und Grasland besteht. Die Bäume stehen so weit aus-einander, dass das Blätterdach offen ist und das Sonnenlicht den Boden erreichen kann und Gräser unter und um die Bäume sowie Büsche ringsherum wachsen.
Sie leben in Tansania, sehen Sie da täglich Giraffen?
Wir leben auf unserer Forschungsstation inmitten des Serengeti-Nationalparks und sehen Giraffen tatsächlich meist täglich. Manchmal, wenn wir auf unserer Veranda sitzen, ganz leise sind und uns nicht bewegen, kommen sie ganz nah und fressen die Blätter der Bäume in der Nähe unseres Hauses. Wenn wir in unserem Studiengebiet unterwegs sind und nach Giraffen Ausschau halten, sehen wir manchmal mehr als 100 an einem Tag.
Können Sie die Individuen auseinanderhalten?
Wir können einzelne Giraffen an ihren einzigartigen Fleckenmustern erkennen. So beobachten wir Tausende von Giraffen über ganze Ökosysteme hinweg. Wirmachen das seit mehr als zwölf Jahren.
Was genau erforschen Sie an Giraffen?
Die Giraffenpopulationen sind rückläufig. Deshalb liegt der Schwerpunkt unserer Forschung darin, zu verstehen, was den Giraffen schadet und was ihnen hilft, zu überleben und sich besser fortzupflanzen. Auf diese Weise können wir die wirksamsten Schutzmassnahmen ermitteln. Wir wollen verstehen, wie sich Giraffen in der Landschaft bewegen, damit wir die wichtigsten Lebensräume schützen, miteinander verbinden und ihnenermöglichen können, dorthin zu gehen, wo sie möchten. Wir untersuchen, was sie fressen, wie gross die von ihnen genutzte Fläche ist, welche genetischen Unterschiede es zwischen den Populationen gibt, wie sich natürliche Raubtiere, der Mensch und das Klima auf ihr Überleben auswirken, wie sie wachsen und warum sie einen so langen Hals und lange Beine haben.
Forschen Sie auch zur besonderen Fellzeichnung?
Ja, wir wollen im Rahmen eines neuen Forschungs-projekts alles über die Giraffenflecken erfahren. Wir kartieren die Gene, die mit den Fleckenmustern der Giraffen verbunden sind, untersuchen, wie sich die Unterschiede in den Flecken auf ihr Überleben auswirken, und berechnen, wie sich die Fleckenmuster in verschiedenen Teilen Tansanias unterscheiden. Letztendlich wollen wir wissen, warum Giraffen diese schönen Flecken haben.
Was würden Sie eine Giraffe gerne fragen?
Ich würde gerne wissen, wie sie sich gegenseitig erkennen. Zum Beispiel, ob sie eine andere Giraffe an ihren Flecken erkennen können oder ob sie andere Merkmale wie den Geruch benutzen. Ich möchte auch wissen, ob sie sich über grosse Entfernungen hinweg mit Infraschall verständigen, wie wir es von Elefanten kennen.
Wie kommunizieren Giraffen untereinander?
Hauptsächlich visuell und durch Geräusche, aber wir wissen, dass Giraffen neue Kälber riechen, die sichgerade einer Gruppe angeschlossen haben. Also ist auch ihre Geruchsfähigkeit gut ausgebildet.
Wie machen sich Giraffen bemerkbar?
Giraffen machen sehr wenig hörbare Geräusche, aber wenn sie verärgert sind, habe ich sie schnauben oder niesen gehört, und sie haben ihre Mähne, die Ohren und Köpfe geschüttelt. Sie signalisieren auch eine mögliche Gefahr, indem sie ihren Kopf sehr aufrecht halten und ihre Nasenlöcher aufblähen.
Was zeichnet Giraffen aus?
Giraffen haben eine einzigartige Gestalt, die mit keinem anderen Säugetier vergleichbar ist. Sie sind die grössten Tiere der Welt und sofort erkennbar.
Sind Giraffen zoologisch gut erforscht?
Die Physiologie der Giraffen wurde bereits ausgiebigerforscht. Da sie in freier Wildbahn leicht zu finden und zu beobachten sind, hat man auch viel darüber geforscht, was sie fressen, wie die Männchen kämpfen und wie sie sich sonst noch verhalten. Die Forschung hat aber nur an der Oberfläche gekratzt.
Ist das Verbreitungsgebiet von Giraffen in den letzten Jahrzehnten geschrumpft?
Ja, es gibt mehrere Länder und Regionen innerhalb ihrer Verbreitungsgebiete, wo keine Giraffen mehr vorkommen.
Wie sind Giraffen unterwegs, einige Weibchen mit einemMännchen, in Familienverbänden oder als Einzelgänger?
Giraffenweibchen leben in der Regel in Herden von fünf bis sechs Tieren, bilden aber mit 60 bis 90 anderen Weibchen eine soziale Gemeinschaft, die starke und dauerhafte Bindungen zueinander unterhält. Wie bei den Menschen sind diese assoziierten Weibchen nicht immer zusammen. Manchmal trennen sie sich und gehen in verschiedene Herden, um zu fressen oder zu trinken oder andere Giraffensachen zu erledigen, und dann treffen sie sich zu verschiedenen Zeiten wieder. Sie arbeiten zusammen, um auf die Babys der jeweils anderen aufzupassen und sie vor Raubtieren zu schützen.
Welche Rolle spielen die Männchen?
Ausgewachsene Männchen wandern durch die Savanne und suchen nach Herden von Weibchen, deren Urin sie auf Hormone testen, um festzustellen, ob sie für eine Paarung bereit sind. Weibchen können das ganze Jahr über in der Brunst sein. Die erwachsenen Männchen bleiben einige Zeit bei der Gruppe und ziehen dann weiter, wenn keine Weibchen zur Paarung bereit sind. Die Männchen verbinden durch ihre Kontakte und durch das Wanderverhalten mehrereWeibchengemeinschaften zu einer Supergemeinschaft.
Gibt es eine Hierarchie bei Giraffen?
Junge männliche Giraffen, die ihre Mütter verlassen haben, aber noch nicht alt genug sind, um sich erfolgreich zu paaren, schliessen sich zu Junggesellenherden zusammen. Dort kommt es zu Kämpfen untereinander, die Dominanzhierarchie wird aufgebaut. Wir glauben, dass dies den Giraffen hilft, schnell zu erkennen, welche Männchen stärker sind, sodass sie wissen, dass sie diesen Männchen den Vortritt lassen müssen, wenn es zu einem Streit um die Weibchen kommt.
Bilden Giraffen Reviere?
Wir glauben nicht, dass Giraffen ein Territorialverhalten haben, aber ihre sozialen Strukturen halten die meisten Tiere in einem klar abgegrenzten Gebiet, und es gibt nur sehr wenige Giraffen, die von einer Gemeinschaft in eine andere wandern.
Kämpfen Giraffen miteinander?
Oh, ja, das tun sie! Die Menschen nennen sie sanfte Riesen, aber die Männchen können ziemlich heftige Kämpfe austragen. Ausgewachsene Männchen kämpfen in einer Form, die «Necking» genannt wird. Sie stehen sich gegenüber und stossen gegeneinander, um zu sehen, wer stärker ist, und sie schwingen ihre Hälse herum und schlagen die anderen Männchen mit ihren Kopfhörnchen.
Werden die Hörnchen also als Waffen benutzt?
Es handelt sich dabei um hautbedeckten Knochen. Manchmal haben wir bei Männchen Wunden gesehen, die wie zwei Einstichlöcher aussehen. Sehr wahrscheinlich stammten sie von den Gehörnknöchelchen eines anderen Männchens.
Wie viele Halswirbel haben Giraffen?
Giraffen haben die längsten Hälse aller Säugetiere, aber sie haben nur sieben Wirbel, genau wie die meisten anderen Säugetiere. Aber jeder der Halsknochen ist sehr, sehr gross.
Sind Giraffen gefährdet?
Giraffen werden in der Roten Liste der IUCN insgesamt als gefährdet eingestuft. Einige der verschiedenen Giraffenarten sind direkt bedroht und stehen auf der Roten Liste. Es ist sehr wahrscheinlich, dass ihr Bestand weiter zurückgeht, wenn ihr Lebensraum nicht besser geschützt wird.
Warum genau sind Giraffen gefährdet?
Da sie gross sind, brauchen sie viel Platz. Ein Grossteil ihres Lebensraums wurde aber für Farmen und Städte verwendet, und die Bäume, die sie als Nahrung brauchen, werden für Brennholz gefällt. Ein weiteres grosses Problem ist das Töten von Giraffen wegen ihres Fleisches, manchmal auch wegen ihrer Knochen und Häute. Die Menschen, die Giraffen töten, tun dies nicht, um ihre Familien mit dem Fleisch zu versorgen, sondern es wird von kriminellen Organisationen auf Märkten in Städten verkauft, um Profit zu machen. Der Verlust des Lebensraums und die illegale Tötung für Fleisch sind die grössten Bedrohungen dieser grossartigen Geschöpfe.
Ist es für die Arterhaltung wichtig, dass Giraffen in Zoos gezüchtet werden?
Die Zucht von Giraffen in Zoos ist nicht notwendig. Es ist viel effektiver, Giraffen in freier Wildbahn zu schützen, wo sie mit ihrem Lebensraum vertraut und von ihren Familien und Freunden umgeben sind. Wir müssen ihnen einfach mehr Lebensraum geben.
Haben Giraffen natürliche Feinde?
Giraffenkälber sind sehr anfällig für Angriffe von Löwen, Leoparden und Hyänen. Die Mütter schützen ihre Babys, indem sie nach Raubtieren treten, und es ist bekannt, dass sie Löwen töten, die ihre Kälber angreifen. Ausgewachsene Giraffen sind aufgrund ihrer Grösse – sie sind fast 5 Meter gross und wiegen bis zu 1000 kg – weitgehend immun gegen natürliche Raubtiere. Manchmal aber kann sie ein entschlossenes Löwenrudel zur Strecke bringen. In einem Nationalpark in Zentraltansania gab es einmal ein richtig grosses Löwenrudel, das gelernt hat, wie man erwachsene Giraffen angreift.
Wandern Giraffen weit herum?
In trockeneren Lebensräumen leben sie auf mehreren Hundert Quadratkilometern. In feuchteren Lebensräumen sind ihre Verbreitungsgebiete kleiner, umfassen aber immer noch rund hundert Quadratkilometer. Sie bewegen sich innerhalb ihres Verbreitungsgebiets, sind aber keine Wandertiere wie Gnus und Zebras, deren saisonale Verbreitungsgebiete weit voneinander entfernt sind. Allerdings nutzen Giraffen zu den verschiedenen Jahreszeiten unterschiedlicheLebensräume, da die Vegetation in bestimmten Gebieten je nach Jahreszeit und Niederschlagsmenge besser verfügbar ist.
Welche Beziehung haben Menschen in Afrika zu Giraffen?
In Tansania ist die Giraffe das Nationaltier. Die Frauenfussballmannschaft heisst «Twiga Stars»: Twiga ist das Suaheli-Wort für Giraffe. Die Menschen finden Giraffen schön und sie mögen sie, weil sie nicht wie andere Wildtiere Felder zerstören und nicht gefährlich sind.
Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie Giraffen in afrikanischer Savanne sehen?
Obwohl ich in meinem Leben schon Tausende von Giraffen gesehen habe, bin ich jedes Mal, wenn ich eine sehe, aufs Neue beeindruckt. Sie sind so anmutig und elegant und schlendern durch die Savanne wie ein Supermodel auf dem Laufsteg. Einer meiner Freunde, ein Giraffenforscher, sagte, sie sähen so unwahrscheinlich aus wie ein Einhorn – und ich stimme ihm zu.
Woraus bestehen die Hörnchen und wozu dienen sie?
Giraffen haben eigentlich keine Hörner. Hörner bestehen aus Keratin, wie unsere Fingernägel. Die Auswüchse am Kopf werden Ossicone oder Stirnzapfen genannt und bestehen aus hautbedeckten Knochen, die mit dem Schädel verschmolzen sind. Sowohl männliche als auch weibliche Tiere haben sie. Bei den Männchen sind die Stirnzapfen grösser als bei den Weibchen und die Oberseite ist flach und oft unbehaart, vielleicht wegen der Kämpfe.
Wovon ernähren sich Giraffen?
Sie fressen hauptsächlich Blätter von Bäumen und Sträuchern. Besonders gern fressen sie die Blätter von Akazien. Manchmal fressen sie aber auch Samenkapseln, Früchte und Gräser sowie Kräuter. Ich habe sie auch schon Blumen fressen gesehen.
Wie viele Giraffen gibt es ungefähr noch in Afrika?
Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Giraffenpopulationen in den letzten 30 Jahren um 40 Prozent zurückgegangen sind und es heute weniger als 100 000 Exemplare in freier Wildbahn gibt.
Gleichen Giraffenpopulationen Verluste durch Wilderei aus?
Wenn Wilderer erwachsene Giraffen töten – insbesondere erwachsene Weibchen, die für das Wachstum der Population am wichtigsten sind –, führt dies leider zum Zusammenbruch der Population.
Was ist das grösste Problem beim Giraffenschutz?
Das illegale Töten und der Verlust von Lebensraum.
Können die Probleme, die Giraffen bedrohen, gelöst werden?
Ja, aber es braucht viel politischen Willen, um der Wilderei Einhalt zu gebieten. Und es braucht auch eine Landnutzungsplanung, die sicherstellt, dass der Lebensraum nicht von Farmen und Städtenbeansprucht wird. Diese beiden Massnahmen werden die Giraffen schützen und ihr Gedeihen ermöglichen.
Brauchen Giraffen abgeschiedene, menschenleere Gebiete?
Glücklicherweise haben wir bei unseren Forschungen herausgefunden, dass Giraffen sehr gut neben Viehhirten leben können. Die Menschen können also mit den Giraffen zusammenleben, wir müssen den Tieren nur den nötigen Freiraum lassen.
Wie gross muss eine Giraffenpopulation sein, damit sie langfristig überleben kann?
Sie muss gross genug sein, damit sich die Tiere mit Artgenossen paaren können, die nicht zu ihrer unmittelbaren Familie gehören. Es gibt keine absolute Mindestzahl, aber eine Population mit mindestens einigen Tausend Individuen in einer Landschaft von mehreren Tausend Quadratkilometern ist ein guter Anfang.
Sind Giraffen entwicklungsgeschichtlich alte Tiere?
Die Familie der Giraffenartigen (Giraffidae), zu denen Giraffen und Okapis gehören, spaltete sich vor etwa 20 Millionen Jahren vonGabelböcken oder Pronghorns ab. Die Giraffe spaltete sich vor etwa 11 Millionen Jahren von den Okapis ab. Die moderne Giraffe ist etwa eine Million Jahre alt. Vor langer Zeit gab es in Eurasien verschiedene Giraffenartige. Einige hatten seltsame Stirnzapfen. Die moderne Giraffe hat den längsten Hals von allen Giraffen, die es je gab.
Was sind die nächsten Verwandten von Giraffen?
Der engste Verwandte der Giraffe ist das Okapi, das im Herzen des Kongo lebt. Wie die Giraffe hat auch das Okapi eine blaue Zunge und Stirnzapfen.
Zur PersonDie Biologin Dr. Monica Bond wurde in New York in den USA geboren. Ihre Mutter ist Schweizerin, Monica Bond ist schweizerisch-amerikanische Doppelbürgerin. Sie war in den letzten sieben Jahren als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Zürich tätig. Seit zwölf Jahren lebt sie in Tansania und forscht über Giraffen. Sie hat mehr als 50 wissenschaftliche Artikel veröffentlicht.
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